Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Pädophilie in Frankreich: Beredtes Schweigen
> Vorzeigelinker Olivier Duhamel soll seinem Stiefsohn sexualisierte Gewalt
> angetan haben. Der Skandal regt französische Intellektuelle auf.
Bild: Mit ihrem Buch „La familia grande“ hat Camille Kouchner den Missbrauc…
Paris taz | „Da ich persönlich angegriffen werde und die Institutionen, für
die ich arbeite, schützen möchte, beende ich meine Tätigkeiten.“ Das ist
alles, was der bekannte französische Politologe Olivier Duhamel (70) zu den
schwerwiegenden Pädophilie-Enthüllungen seiner Stieftochter Camille
Kouchner gesagt hat.
Seither schweigt er. Um eine Art „Omertà“, das beschämte Verschweigen dur…
die Eingeweihten, in einer Pariser Patchworkfamilie geht es im Buch „La
Familia grande“, das am Donnerstag im Verlag Seuil erschienen ist.
Die 45-jährige Anwältin beschreibt darin, was alle im familiären Umkreis
längst wussten: Ihr Stiefvater Olivier Duhamel habe vor mehr als dreißig
Jahren ihren Zwillingsbruder, den sie im Buch „Victor“ nennt, zu oralem Sex
gezwungen, als er 13 oder 14 Jahre alt war.
Für die Justiz ist der mutmaßliche Straftatbestand höchstwahrscheinlich
verjährt. Für das Opfer der sexuellen Aggression aber bleibt der Schaden
ein Leben lang. „Verstehst du, welche Ängste uns seither quälen?“, fragt
die Autorin im Buch ihren Stiefvater, der als Politologe, sozialistischer
EU-Parlamentarier und regelmäßiger Fernsehkommentator eine „Figur“ der
linken Intelligenzija in Paris war.
## Schmutzige Wäsche
In diesem „Kaviarlinke“ genannten Prominentenmilieu wird die schmutzige
Wäsche hinter verschlossenen Türen gewaschen. „Victor“ selber wollte, wie
viele andere Opfer auch, lange nichts sagen. Seine 2017 verstorbene Mutter,
die schwere Alkoholprobleme hatte, stellte sich hinter den Täter und wollte
jedes Aufsehen vermeiden.
Nur die Tante, die Schauspielerin Marie-France Pisier, wollte den Skandal
publik machen, aber sie ertrank 2011 in einem Pool – angeblich war es ein
Suizid. Der abwesende Vater, der humanitäre „French Doctor“ und
sozialistische Minister Bernard Kouchner, wollte, als er die ganze Wahrheit
erfuhr, Duhamel verprügeln, dann schwieg auch er. Heute gratuliert er
seiner Tochter zu ihrem „Mut“: „Zu lange lastete dieses schwere Geheimnis
auf uns, jetzt ist es zum Glück gelüftet.“
Das Intellektuellenpaar Duhamel-Pisier war in der Vergangenheit in einer
Villa im südfranzösischen Sanary das Zentrum einer linken Schickeria, zu
der viele Prominente zählten, die jetzt nur beten können, dass ihr Name
nicht fällt.
Zu dieser großen „Familia“ von Angehörigen und Freunden gehört auch die
frühere Europaministerin Elisabeth Guigou. „Wir alle leben im Umkreis von
Opfern und Angreifern, ohne es zu wissen. Ich bin keine Ausnahme“,
rechtfertigt sich die Sozialistin, die seit dem 10. Dezember 2020 eine
unabhängige Kommission zu Untersuchung von Inzest und [1][sexueller Gewalt
gegen Kinder] leitet.
## Rücktritt gefordert
Der Leiter der von Duhamel maßgeblich beeinflussten Pariser
Politologie-Hochburg Sciences-Po, Frédéric Mion, dementierte zuerst, musste
dann aber gestehen, dass er 2019 von der Ex-Kulturministerin Aurélie
Filippetti vor Duhamel explizit gewarnt worden war. Am Donnerstag forderten
Studierende der Hochschule bei einer Demonstration Mions Rücktritt.
Wie 2019 beim Erscheinen von Vanessa Springoras Buch „Le Consentement“ über
den pädophilen Schriftsteller Gabriel Matzneff herrscht Panik unter
ehemaligen Bewunderern, die befürchten, wegen ihrer sträflichen
Mitwisserschaft angeprangert zu werden.
Der Skandal Duhamel zieht Kreise: Auf Twitter wird in Erinnerung gerufen,
dass Bernard Kouchner, von dem die Tochter schreibt, er habe die Kinder
„mit seinen Wutanfällen terrorisiert“, neben mehr als 60 anderen linken
Intellektuellen zu den Unterzeichnern einer von Matzneff 1977 verfassten
Pro-Pädophilie-Petition zählte, was er heute als „Dummheit“ bedauert. Die
Abrechnung findet nicht vor Gericht, sondern in den Netzwerken statt.
10 Jan 2021
## LINKS
[1] /Cohn-Bendit-und-Kindesmissbrauch/!5069298
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## TAGS
Schwerpunkt Frankreich
Pädophilie
Sozialisten
Sexualisierte Gewalt
sexueller Missbrauch
Kolumne Stadtgespräch
sexueller Missbrauch
sexueller Missbrauch
Grüne
Daniel Cohn-Bendit
## ARTIKEL ZUM THEMA
Gesetzesverschärfung in Frankreich: Mehr Schutz vor sexueller Gewalt
Die Abgeordneten stimmen dafür, sexuelle Handlungen von Erwachsenen an
unter 15-Jährigen zu kriminalisieren. Der Senat muss noch zustimmen.
Missbrauchsdebatte in Frankreich: Opfer reden dank #MeTooInceste
Zahlreiche Menschen teilen unter dem Hashtag ihre Erfahrungen mit
Übergriffen aus der Familie. Die Politik steht unter Druck.
Sexualisierte Gewalt durch Priester: Tricksereien statt Aufklärungswille
Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder in der katholischen
Kirche stockt. Der Kölner Bischof Rainer Maria Woelki gerät nun unter
Druck.
Sexueller Missbrauch: Grüne übernehmen Verantwortung
Erstmals entschädigen die Grünen drei Männer, die in einer Grünen-nahen
Kommune Opfer von sexuellem Missbrauch wurden.
Claudia Roth zur Pädophilie-Debatte: Grüne kündigen Entschuldigung an
Die Grünen werden sich für ihre Nähe zu pädophilen Gruppen in der
Vergangenheit entschuldigen. Es seien eindeutig und objektiv Fehler
passiert.
Cohn-Bendit und Kindesmissbrauch: Der Tabubrecher
Daniel Cohn-Bendit bekommt den Theodor-Heuß-Preis. Der Laudator hat seine
Teilnahme abgesagt. Dem Grünen-Politiker wird Kindesmissbrauch vorgeworfen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.