| # taz.de -- Sexualisierte Gewalt durch Priester: Tricksereien statt Aufklärung… | |
| > Die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt gegen Kinder in der katholischen | |
| > Kirche stockt. Der Kölner Bischof Rainer Maria Woelki gerät nun unter | |
| > Druck. | |
| Bild: Das Erzbistum Köln steht für schlechte Aufklärung | |
| Köln taz | Zur Geisterstunde war’s, Punkt 12 Uhr. Da begann mit einem | |
| Vorspiel im Kölner Dom die Katastrophe. Nur wenige Gläubige waren in das | |
| riesige, spärlich erleuchtete Gotteshaus am Rhein gekommen. Routiniert | |
| spulte Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki mit ein paar Messdienern, | |
| zwei Weihbischöfen und viel Weihrauch die Christmette zu Heiligabend ab. | |
| Wegen Corona durften nur zwei Mädchen auf einer Empore singen. | |
| Nach der Eucharistie schritt der Kardinal, ganz in weiß gekleidet, zum Ambo | |
| neben einem Busch weißer Weihnachtssterne und fand Worte der Entschuldigung | |
| – oder das, was er dafür hält: „Was die von sexueller Gewalt Betroffenen | |
| und Sie in den letzten Tagen und Wochen vor Weihnachten im Zusammenhang mit | |
| dem Umgang des Gutachtens zur [1][Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt] | |
| in unserem Erzbistum, was Sie an der Kritik darüber und insbesondere auch | |
| an der Kritik an meiner Person ertragen mussten – für all das bitte ich Sie | |
| um Verzeihung.“ | |
| Das war sie, die „Entschuldigung“ des Kardinals: Der – je nach | |
| Betrachtungsweise – kirchenrechtlich höchstrangige katholische Geistliche | |
| der Bundesrepublik hat sich nicht für sein Versagen bei der Aufarbeitung | |
| des Skandals um die [2][sexualisierte Gewalt an Kindern] entschuldigt. Auch | |
| sein Vertuschen und das Abwälzen persönlicher Schuld verschwieg er. | |
| Er hat sich dafür entschuldigt, dass seine wenigen verbliebenen Schäfchen | |
| Kritik ertragen müssen, weil sie noch bei ihm stehen. Es war ein | |
| kirchengeschichtlich einmaliger Vorgang, an Zynismus kaum zu überbieten. | |
| Entsprechend hagelte es Kritik. Von den Medien, klar – aber die sind Woelki | |
| seit Langem sowieso egal. Die sonst schweigsam-loyalen Mitbrüder im | |
| Bischofsamt kochen hinter den Kulissen seit Monaten vor Wut. Kardinal | |
| Reinhard Marx aus München beurteilte Woelkis Verhalten als „verheerend für | |
| uns alle“. Der Limburger Bischof Georg Bätzing, Vorsitzender der Deutschen | |
| Bischofskonferenz, nannte es „ein regelrechtes Desaster“, das „auf uns al… | |
| abfärbt“. | |
| ## Ein Abstieg mit Ansage | |
| Am härtesten aber war wohl die Kritik von Pastor Klaus Koltermann aus dem | |
| Seelsorgebereich Dormagen-Nord. | |
| Koltermann, ein jovialer Mann mit BVB-Mantel und fast 28-jähriger Erfahrung | |
| als katholischer Priester, schrieb an das Lokalblatt Neuss-Grevenbroicher | |
| Zeitung in einem knappen Leserbrief: „Die Erstkommunionkinder lernen in der | |
| Hinführung zur Beichte den offenen und ehrlichen Umgang mit persönlicher | |
| Schuld. Nicht zuletzt geschieht dies über eine Gewissenserforschung und | |
| Reue“, und weiter: „Leider kann ich in den Worten des Kardinals nichts | |
| dergleichen erkennen. Damit wurde nun noch restlich vorhandene | |
| Glaubwürdigkeit verspielt.“ | |
| Tatsächlich ist die Glaubwürdigkeit des Kardinals am Ende. Es ist ein | |
| Abstieg mit Ansage. Als Woelki, 64, noch Erzbischof von Berlin war, von | |
| 2011 bis 2014, da umwehte ihn, trotz seiner Dissertation an einer | |
| Universität des erzkonservativen Opus Dei in Rom, noch ein Hauch von | |
| Aufbruch. | |
| Er wohnte im eher schmuddeligen Wedding, wagte Gespräche mit dem Lesben- | |
| und Schwulenverband, kümmerte sich um Arme und Geflüchtete. Dann kam die | |
| Berufung nach Köln, als dortiger Erzbischof. Zurück in das große und reiche | |
| Bistum, in dem er unter seinem Vorgänger Joachim Kardinal Meisner Karriere | |
| gemacht hatte. | |
| ## Lügen im Radio | |
| Meisner war über Jahrzehnte der eiskalte Rechtsaußen der deutschen Kirche – | |
| reaktionär und papsttreu bis zum Erbrechen. Der kalte Krieger aus dem | |
| Stahlbad des DDR-Katholizismus hatte, ganz im Sinne Roms, aus seinem Bistum | |
| eine rechte Kaderschmiede gemacht: Woelki war unter Meisner bis 2011 | |
| Weihbischof am Rhein. Generalvikar war ab 2012 Stefan Heße, heute | |
| Erzbischof von Hamburg. Heiner Koch wurde 2006 Kölner Weihbischof, er | |
| folgte Woelki als Erzbischof an der Spree nach. | |
| Obwohl mittlerweile klar ist, dass die ganze Bistumsspitze unter Meisner | |
| öfter mit (meist vertuschten) Fällen von sexualisierter Gewalt zu tun | |
| hatte, log er 2010 nach dem bundesweiten [3][Aufkochen des | |
| Missbrauchsskandals] im Deutschlandfunk: Er habe von den vielen Fällen | |
| „nichts geahnt, nichts geahnt! Ich habe mir das doch nicht vorstellen | |
| können!“ | |
| Ist Woelki ehrlicher? Acht Jahre nach Meisners Aussage verkündete er als | |
| dessen Nachfolger: „Unser Kölner Erzbistum wird sich der Wahrheit stellen, | |
| auch dann, wenn diese schmerzlich ist. Und dazu gehört es, ungeschönt und | |
| ohne falsche Rücksichten aufzuklären.“ Eine Kölner Studie sollte alles | |
| offenlegen. | |
| Was folgte, war eine Tragödie. Im März 2020 sollte die Studie vorliegen. | |
| Aber das Bistum sagte die Präsentation kurzfristig ab. Offenbar hatte sich | |
| der Hamburger Erzbischof Heße hinter den Kulissen rechtlich gegen eine | |
| Veröffentlichung gewehrt. Wohl weil das Gutachten seine Zeit als Kölner | |
| Generalvikar unter Meisner – vorsichtig gesagt – negativ sah. Die Studie | |
| blieb unter Verschluss. | |
| ## „Ein moralischer Tiefpunkt“ | |
| Dann im Oktober 2020 der nächste Schlag: Plötzlich erklärte das Erzbistum | |
| das Gutachten als „untauglich“. Es erfülle nicht die Anforderungen an eine | |
| unabhängige Untersuchung. Dabei berief sich Woelki auf eine | |
| wissenschaftliche Einschätzung zweier Juristen. | |
| Schlimmer noch, die Missbrauchsopfer wurden für dieses üble Manöver | |
| benutzt. In einer Überrumpelungsaktion wurde dem Betroffenenrat des | |
| Erzbistums die Zustimmung abgerungen, dass nun ein neues Gutachten | |
| hermüsse. Es soll bis Mitte März 2021 fertig sein. | |
| Und Woelki wütete weiter: Eine Recherche des katholischen Publizisten | |
| Joachim Frank wies nach, dass Kardinal Woelki 2015 den Verdacht gegen einen | |
| Düsseldorfer Priester wegen schweren Missbrauchs nicht an den Vatikan | |
| gemeldet hatte, obwohl er das laut Kirchenrecht hätte tun müssen. Der | |
| Grund: der Gesundheitszustand des Verdächtigen – übrigens ein Freund | |
| Woelkis. Außerdem habe es der Betroffene abgelehnt, erneut auszusagen. Das | |
| aber stimmte so offenbar nicht, stellte der Betroffene kurz danach | |
| öffentlich fest. | |
| Der hoch anerkannte Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller schimpfte | |
| öffentlich: „Es ist ein moralischer Tiefpunkt erreicht – nicht nur | |
| rechtlich, sondern auch moralisch.“ Der katholische Theologe: „Ich weiß, | |
| ehrlich gesagt, nicht mehr: Was kann ein Kardinal noch tun, ehe er sich | |
| selbst aus dem Amt bewegt.“ | |
| ## Windige Anwälte | |
| Auf die Tragödie folgte die Farce. Vor wenigen Wochen sollten ausgesuchte | |
| Journalisten in einem Hintergrundgespräch die unter Verschluss gehaltene | |
| erste Studie zu sehen bekommen. Zumindest die angeblich so gravierenden | |
| methodischen Mängel. | |
| Zuvor aber hätten die anwesenden MedienvertreterInnen jedoch eine | |
| „Verschwiegenheitserklärung“ zu unterschreiben. Als die Journalistenschar | |
| dies verweigerte, wurde das Gespräch abgebrochen. Wieder eine Trickserei | |
| Woelkis. | |
| Übrigens: Die Kanzlei, die für die Verschwiegenheitserklärung zuständig | |
| war, hat wohl bereits weitere umstrittene Mandate angenommen. Darunter etwa | |
| von dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sowie von der | |
| AfD, wie die Welt recherchierte. | |
| Die Website der Kanzlei warb mit dem Versprechen: „Mit ‚Zuckerbrot und | |
| Peitsche‘ vermeiden wir negative Berichterstattung schon im Vorfeld. | |
| Sollten wir sie nicht ganz verhindern können, mildern wir sie zumindest | |
| ab.“ Am Rhein kursiert die Einschätzung, die Beratung des Erzbistums durch | |
| angebliche PR-Profis und Anwälte habe schon Hunderttausende Euro gekostet. | |
| Nach seinem Leserbrief in der Lokalzeitung erhielt Pfarrer Koltermann | |
| [4][ein Schreiben vom Erzbistum]. Darin wurde gedroht, seine Äußerungen | |
| stellten „möglicherweise schwerwiegende Verstöße gegen Deine | |
| Dienstpflichten als leitender Pfarrer“ dar. Und: „Diese Äußerungen können | |
| Maßnahmen nach sich ziehen.“ Sein Verhalten sei „nicht mit Deinen | |
| Loyalitätsobliegenheiten im seelsorglichen Dienst vereinbar“. | |
| Nun aber kam Solidarität von der katholischen Basis. In einer | |
| Online-Petition, unterschrieben von Hunderten, heißt es: „Pastor Koltermann | |
| ist loyal gegenüber der christlichen Tugend der Glaubhaftigkeit und zeigt | |
| mit seiner Wahrheitsliebe wahre Verbundenheit mit der katholischen Kirche. | |
| Er wendet sich aber deutlich gegen das Kölner Vertuschungssystem Woelki.“ | |
| Und weiter: „Wir verwahren uns gegen diesen Versuch der Einschüchterung. | |
| […] Herr Kardinal, wenden Sie weiteren Schaden von der Kölner Kirche ab und | |
| treten Sie zurück.“ Ein medialer Aufschrei und ein höfliches Schreiben | |
| Koltermanns an das Erzbistum zeigten Wirkung. Vor wenigen Tagen erklärte | |
| das Bistum: Der Vorgang sei erledigt und werde „keine weiteren Schritte | |
| nach sich ziehen“. | |
| Wie geht es nun weiter? Pfarrer Koltermann teilte der taz mit, für viele | |
| sei es klar, dass ein Rücktritt des Kardinals „erfolgen muss – das zeigen | |
| mir die unzähligen Briefe und E-Mails“. Es finde derzeit eine neue | |
| Vernetzung von Priestern und anderen pastoralen Kräften statt. „Es wird | |
| immer stärker das Verlangen ausgedrückt, furchtlos eine neue | |
| Gesprächskultur, Kommunikation schaffen zu wollen.“ Und er fügte hinzu: | |
| „Viele aus dem Klerus trauen es dem jetzigen Kardinal nicht mehr zu, dass | |
| er dieses Bistum noch glaubwürdig lenken oder führen kann.“ | |
| 19 Jan 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Philipp Gessler | |
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