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# taz.de -- Sexuelle Gewalt: Kulturgeschichte der Übergriffigkeit
> Revolutionäre Bewegungen wie die Wandervögel und die 1968er begünstigten
> Missbrauch, schreibt der Journalist Christian Füller.
Bild: Was aus den 70ern übrig blieb: Ursprünglich ein Plakat, vom linken Buch…
Was hat das antike Griechenland mit der Wandervogel-Bewegung, was haben
alternative Kinderläden mit dem Internet gemein? Es braucht einen genauen,
um nicht zu sagen einen monothematisch fokussierten Blick, um hier
Verbindendes zu entdecken.
Christian Füller ist einer, der diesen Blick zu seinem Markenzeichen
gemacht hat. Der Journalist und Bildungsexperte, der lange für die taz
arbeitete, schreibt seit Jahren über Kindesmissbrauch, er gilt als
streitbarer Experte, umstritten wegen seiner steilen Thesen.
Eine davon führte 2013 zum Zerwürfnis mit der taz: Missbrauch sei, so
behauptete Füller auf dem Höhepunkt der Debatte um Pädophiliefreundlichkeit
bei den Grünen, „in der grünen Ideologie angelegt“.
Die Vorliebe für kühne Thesen ist Füller, der 2011 ein Buch über die
Odenwaldschule schrieb, geblieben. In seinem neuen Buch „Die Revolution
missbraucht ihre Kinder“ entwirft er eine Kulturgeschichte der
Übergriffigkeit.
Auf 288 Seiten versucht er nachzuweisen, dass Teile der
bundesrepublikanischen Gesellschaft bereits seit der Wende zum 20.
Jahrhundert mit pädophilen Theorien infiziert sind. Es ist seine Antwort
auf die Frage „Wie konnte das passieren?“, die sich seit der Aufdeckung von
Missbrauchsserien an kirchlichen und reformpädagogischen Internaten viele
stellen.
## Unterhaltsam wie ein Krimi
Füllers Beweisführung liest sich unterhaltsam, beinahe wie ein historischer
Krimi. Zuerst nimmt er sich die Blütezeite der griechischen Kultur (etwa
470 bis 320 v. Chr.) vor. Eine zu Unrecht verklärte Epoche, wie Füller
meint: Eros, der Gott der handfesten Liebe? War nie etwas anderes als
kulturell verbrämte sexuelle Gewalt.
Die platonischen Gastmähler? Dort ging es keineswegs nur platonisch zu. Der
„Schenkelverkehr“, vorgenommen zwischen den Schenkeln eines Schülers durch
seinen Lehrer, galt als konstituierend für den „pädagogischen Eros“. Auf
den sollten sich Jahrtausende später führende Protagonisten der um 1910
entstehenden Wandervogel-Bewegung und schließlich prominente
Reformpädagogen berufen.
Wie wichtig päderastisches Gedankengut schon den in „Horden“ wandernden
Naturfreunden war, rekonstruiert Füller minutiös. Die Wandervogelbewegung
entstand um 1900 im Berliner Raum, ihr Markenzeichen waren das gemeinsame
Naturerlebnis, die Freikörperkultur und eine straffe, fast militärische
Gruppenorganisation.
Füller zieht nun eine Verbindungslinie von Hans Blüher (1888–1955), dem
Chronisten des Wandervogels und bekennender Päderast, der 1912 mit „Der
Wandervogel als erotisches Phänomen“ eine Art pädosexuelle Programmschrift
verfasst hat, bis zu aktuellen Missbrauchsfällen auf dem Wandervogel-Treff
Burg Balduinstein.
Bis heute habe die Bewegung diesen Teil ihres Erbes nicht aufgearbeitet,
schreibt Füller: „Bei Gesprächen mit Mitgliedern bündischer Gruppen steht
Pädosexualität und Missbrauch stets wie ein weißer Elefant im Raum: Alle
sehen ihn, keiner wagt, darüber zu reden.“
## Interessante Querverbindungen
Manche Querverbindungen, die Füller sichtbar macht, sind durchaus
erhellend: Gustav Wyneken zum Beispiel. Er war Gründer der Freien
Schulgemeinschaft Wickersdorf, die als erste reformpädagogische Schule
Deutschlands gilt. 1921 wurde er wegen sexueller Übergriffe auf Schüler
verurteilt.
Sein Verteidiger im Prozess war der Wandervogel Hans Blüher. Und Gerold
Becker, der Haupttäter an der Odenwaldschule, orientierte sich stark an
Wynekens Auslegung des „pädagogischen Eros“. Dass er und der zweite
Haupttäter Wolfgang Held in ihrer Jugend Wandervögel-Gruppen angehörten,
wundert kaum noch.
Manchmal übertreibt der Autor es mit der Beweisführung: etwa in der
Auseinandersetzung mit dem Alternativmilieu. Da gelten ihm bereits
Doktorspiele zwischen Kinderladenkindern als Nährboden für Missbrauch,
ebenso die Strukturlosigkeit in vielen Wohngemeinschaften. Missbrauch
gedeiht schließlich auch im autoritären Klima kirchlicher Einrichtungen –
der Kirche allerdings widmet Füller gerade mal zwei Seiten.
Dort, wo er unbedingt beweisen will, dass die Post-68er Dreck am Stecken
haben, kann man ihm mitunter nicht ganz folgen. Präziser wird er bei den
Grünen. Die These, dass pädophile Positionen fest in Weltanschauung und
Parteistruktur verankert waren, kann er mit einigen neuen Details belegen.
Die Indianerkommune, eine radikale, altersgemischte Gruppe aus Nürnberg,
die für Konsumverzicht und „einvernehmlichen Sex“ zwischen Erwachsenen und
Kindern eintrat, war keineswegs nur lästige Randerscheinung bei grünen
Parteitagen.
## „Grüne Sturmtruppe“
Füller nennt sie „grüne Sturmtruppe“. Und weist nach, dass die Indianer
fest verbunden waren mit grünen Spitzenpolitikern wie dem bekennenden
Pädosexuellen Hermann Meer und dem pädosexuellen „Kinderrechtler“ Werner
Vogel. Der organisierte 1983 in der christlich-alternativen
„Dachsberg“-Kommune am Niederrhein einen grünen Kinder-und Jugendkongress.
Hauptdiskussionspunkt: „Sex“ mit Kindern.
Der Dachsberg war, wie man heute weiß, ein Ort des ritualisierten
Missbrauchs. Und Vogel, das weist Füller nach, ging nicht nur dort ein und
aus, sondern auch bei den Indianern, für die er sich in der Partei
wiederholt einsetzte.
Vogels Wohnung in Mettmann war in der „Ausreißerkartei“ der Indianer
verzeichnet: eine Adressensammlung für jugendliche Ausreißer, die mit rund
2.000 Schlafgelegenheiten auch als Verteilsystem für Pädophile galt. Füller
zitiert eine ehemalige Ausreißerin, die von nächtlichen Fummeleien des
Politikers berichtet.
Die alten Griechen – ein Volk von Päderasten. Die Wandervögel, die
Grün-Alternativen, Teile der Kulturproduktion (ja, auch die Fälle Pola
Kinski und Eva Ionesco kommen vor) Horte des Kindesmissbrauchs. Wer Füllers
Buch in einem Rutsch liest, hat das Gefühl, in einer pädophil durchwirkten
Gesellschaft zu leben.
Das letzte Kapitel über die Abgründe des Internets macht dieses Gefühl
nicht besser. „Die Missbrauchsideologie ist nahtlos in die Idee des freien
Internets eingewoben“, schreibt Füller und warnt vor einer Gesellschaft,
die der digitalen Gefahr rat-und hilflos gegenüberstehe. Bisweilen ist das
schriller Alarmismus. Als kulturgeschichtlicher Gedankenanstoß aber ist
„Die Revolution missbraucht ihre Kinder“ durchaus lesenswert.
12 Mar 2015
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
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