# taz.de -- Debatte Grüne und Pädophilie: Pädos und Größenwahn | |
> Die Studie zur grünen Pädo-Vergangenheit ist in einem Punkt brisant: Sie | |
> kritisiert das linkslibertäre Verständnis der Gesellschaft seit den | |
> frühen Sechzigern. | |
Bild: Grüner Parteitag 1984 in Karlsruhe. | |
Eigentlich können, nimmt man sie mal als konforme Gesamtheit, die Grünen | |
zufrieden sein mit [1][der Studie], die vorigen Donnerstag die | |
WissenschaftlerInnen um Franz Walter in der Bundespressekonferenz | |
vorgestellt haben. „Die Grünen und die Pädosexualität“ heißt das | |
veröffentlichte Buch. Für flüchtige Bedürfnisse war das Wort von | |
„Entschuldigung“, das die Grünenvorsitzende Simone Peter bei dieser | |
Gelegenheit mehrmals ausbrachte, noch das Genießbarste, um den Hunger nach | |
Verwertbarem im Mediengewerbe zu stillen. | |
Sie, die zu ihrem Posten überhaupt erst kam, weil die Grünen vor der | |
Bundestagswahl plötzlich, um es mit Franz Walter zu sagen, in „stumme | |
Furcht“ verfielen ob der zu erwartenden Enthüllungen ihrer eigenen | |
politischen Verstrickungen in die pädosexuelle Liberalisierung, hatte eine | |
Studie mit zu präsentieren, die sie persönlich nicht betreffen musste. Man | |
hätte gern ihre Vorgängerin, Claudia Roth, nunmehr Vizepräsidentin des | |
Bundestages, gehört: Sie weiß doch noch genau, wie es damals war, als die | |
Grünen keine scharfe Trennung von Pädo-Kadern und ihren Freunden in der | |
autonomen Schwulenbewegung finden konnten oder wollten. | |
Aber sei es drum: Die Grünen, so Simone Peter, werden sich auf ihrem | |
Parteitag am kommenden Wochenende mit der Expertise der Gruppe des | |
Göttinger Instituts für Demokratieforschung beschäftigen. Fragt sich nur: | |
wie eigentlich genau? Kann erwartet werden, dass die Delegierten die knapp | |
300 Seiten studiert haben? Unwahrscheinlich. Dafür ist das, was in diesem | |
Kompendium steht, viel zu kompliziert für eine Versammlung, die im Sinne | |
eines Hoffnungskonvents zu gelingen hat: Bald werden wir wieder die | |
Speerspitze des Fortschritts sein, nicht abgewatscht werden wie vor einem | |
Jahr. | |
Dabei kann man die Aufsätze gut bündeln für die Grünen in diesem Satz: Sie | |
schneiden darin nicht schlecht ab. Franz Walter sagte auf der | |
Pressekonferenz pointiert, dass die Pädogeschichten nicht mit den Grünen in | |
die deutsche Politik kamen, dass die Parteiökos vielmehr das „Finale“ | |
dieser, nun ja, Fragestellung verkörperten: Pädos, das ist der Konsens | |
aller demokratischen Parteien, gehen gar nicht. Die Gesetze so ändern zu | |
wollen, dass Sexualität zwischen Erwachsenen und Kindern erlaubt sein | |
könnte, ginge ja nur noch bei Strafe der moralischen Aussätzigkeit. | |
Das eigentliche Gift, das für die Grünen parat stünde, enthält diese | |
quellengesättigte Arbeit allerdings auch: Und das ist die Geschichte vom | |
linksliberalen Hochmut, das dem Volk seit Anfang der sechziger Jahre – und | |
zuletzt eben durch die Grünen – entgegengebracht wird. Wir wissen, was gut | |
ist!, Wir sind die Durchblicker!, Wir haben erkannt, was der Fortschritt | |
ist!, Wir als durchblickerische Bürger setzen das durch, weil es richtig | |
ist! | |
## Fortschrittsförderliche Sexualität | |
In den frühen sechziger Jahren waren es vor allem die Liberalen, die sich | |
für gesellschaftliche Lockerung gerade im Sexuellen einsetzten, am Ende | |
jenes Jahrzehnts war es die sogenannte Achtundsechziger-Bewegung, die sich | |
dem Komment der fortschrittsförderlichen Sexualität anschloss. Die Grünen | |
waren als junge Partei nur besonders anfällig für die Anliegen der | |
Pädobewegung, weil buchstäblich alles auf den Prüfstand gestellt zu werden | |
hatte. | |
Was die Grünen voriges Jahr den Wahlerfolg gekostet hat, war freilich | |
weniger die Historisierung der pädosexuellen Interventionen in diese Partei | |
– als vielmehr eben das Schweigen nach den Enthüllungen: Die Partei, die | |
sonst das Maul gouvernantenhaft und dauerempört aufreißt und die große | |
Gesamtcheckerin gibt – die wird kleinmütig? Die Partei, die die | |
klebrig-vernebelnde Sprachformel von „auf Augenhöhe“ etabliert hat, die | |
aber in Wahrheit immer nur von oben herab sagt, was einzig richtig ist? Die | |
Partei, die Argumente politischer Kontrahenten gern als „dumm“ bezeichnet | |
und sie bezichtigt, „Hausaufgaben nicht gemacht“ zu haben, als ob das | |
politische Leben ein Akt beflissener Arbeit an Dauerklugheit sei? Jenes | |
Erfolgsprojekt wurde eine kleinlaute bürgerliche Schnöselbande, deren | |
Teppiche man zu lupfen begann, wobei man viel Schmutz fand. | |
Nein, das verstörte das Publikum: Die Avantgarde, die Antiparteienpartei in | |
Lifestylenot – das war ganz unverzeihlich. Die Grünen, zu deren moralischem | |
Markenkern es zählt, sich für dissident zu halten und doch meist Mainstream | |
gewesen zu sein, rangen um Erklärungen und hatten keine. Die Arbeit von | |
Stephan Klecha, Franz Walter und Alexander Hensel ist die fetteste und | |
coolste Kritik am Selbstgewissheitswahn und Weltbeglückungsdelirium der | |
neuen sozialen Bewegungen seit Anfang der sechziger Jahre – eine Revue der | |
Zeitgeister von den liberalen Jungdemokraten bis hin zu den Grünen eben, | |
eine prima zu lesende Geschichte der libertären Neobürgerlichkeit. | |
Das Argument Betroffener aus jenen Jahren, dass man es nicht besser habe | |
wissen können, dass man die wissenschaftliche Szene auf seiner Seite hatte, | |
wird besonders zerhäckselt. Eine Anhörung im Rechtsausschuss der frühen | |
siebziger Jahren zu Zeiten der Kanzlerschaft Willy Brandts brachte einen | |
Sturm der Selbstgewissheit gerade der jungen Sexualwissenschaft, die | |
begründen zu können glaubte, dass, grob formuliert, der eigentliche Schaden | |
für Kinder in puncto Sexualität zwischen Kindern und Erwachsenen in der | |
öffentlichen Skandalisierung bestehe. | |
## Die Kraft der Entgrenzungen | |
Franz Walter verweist darauf, dass der Psychoanalytiker Sandor Ferenci | |
gegen die Schule Sigmund Freuds schon in den dreißiger Jahren vor den | |
Folgen von realem, nicht nur fantasiertem Sex zwischen machtlosen Kindern | |
und Erwachsenen warnte, wie damals wohl bekannt gewesen sein dürfte. Aber | |
dieser Befund stand gegen den Glauben, er war nicht in Einklang zu bringen | |
mit einer Zeit, die an die Kraft der Entgrenzungen und Zerstörungen des | |
Konventionellen glaubte. | |
Wenn es überhaupt ein Resümee der Forschungsgruppe gibt, dann vielleicht | |
dieses: Die sogenannte Sexuelle Revolution hat sich als irrig | |
herausgestellt. Sie war kaum mehr als eine weitere Disziplin | |
kapitalistischer Nutzbarmachung – in deutschen Betten wurde es | |
leistungsorientierter, nicht erotischer (wobei die Errungenschaften aus | |
jenen Zeiten nicht negiert werden – aber um diese Humanisierungen ging es | |
den Forschern nicht). Aber: Das Sexuelle stehe nicht erst heutzutage im | |
Dienst des Konsums, des besseren Funktionierens im Kapitalismus – nicht | |
mehr, nicht weniger. Mehr, höher, öfter, länger: Das ist aus der | |
angeblichen Subversion des zu befreienden Sexuellen geworden. Auch diese | |
wissenschaftlich aufgejazzte Utopie ist zerstoben – und bei aller Liebe zur | |
Erinnerung an jugendlichen Elan: Das ist auch gut so. | |
Die Göttinger Studie ist – ihre Verfasser wiesen oft und gern darauf hin – | |
durch die Grünen selbst ermöglicht worden. Sie ist nie behindert worden, | |
alle, die nötig waren, trugen das Ihre dazu bei, Quellen zu bergen. Die | |
Forschung, so Franz Walter vorigen Donnerstag, geht weiter; in der | |
Wissenschaft sei ja nie etwas fertig. | |
Vielleicht werden eines Tages auch schwule Wissenschaftler etwas zu dieser | |
Frage beitragen. Sie, die en gros doch stets glaubten, eine „Allianz der | |
Perversen“ der, wie sie es sahen, bürgerlichen Welt entgegenzusetzen, | |
schweigen wie desinteressiert. Die Verweigerung der alten Akteure, an | |
dieser Debatte teilzunehmen, erklärt vielleicht auch, dass es das Institut | |
für Demokratieforschung war, das mit der wissenschaftlichen Erhellung | |
tüchtig wurde. Für die autonome Schwulenbewegung von einst – ein | |
Trauerspiel. | |
18 Nov 2014 | |
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## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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