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# taz.de -- Skandal um Haasenburg-Heime: Das Versagen in Cottbus
> Eigentlich müsste die Staatsanwaltschaft Cottbus längst ermitteln, sagt
> ein Hauptkommissar a. D. Doch die Behörde tut nichts. Und es ist noch
> schlimmer.
Bild: Fassungslosigkeit.
Noch immer sieht die Oberstaatsanwältin aus Cottbus „keinen
Ermittlungsansatz“ gegen die Haasenburg GmbH. So formuliert es Petra
Hertwig Anfang dieser Woche. Die Empörung über die Misshandlung von Kindern
und Jugendlichen, die der Haasenburg GmbH vorgeworfen wird, hat zu dieser
Zeit bereits einen Höhepunkt erreicht.
Die taz hat die Methoden in dem Brandenburger Heim am Wochenende öffentlich
gemacht und damit eine heftige Debatte angestoßen. Politiker stellen
Anfragen, das Bildungsministerium will eine Kommission zur Prüfung
einsetzen. Die Staatsanwaltschaft aber beklagt, dass in der taz "keine
Klarnamen" stehen, die sie für Ermittlungen benötige. Hertwig bittet nun
die taz, ihr die Dokumente zu geben.
Inzwischen hat das Bildungsministerium eine Hotline eingerichtet. Dass sich
dort kaum jemand meldet, hängt nach taz-Recherchen mit der Untätigkeit in
Cottbus zusammen. Alle Versuche, die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen zu
bewegen, führten für die Betroffenen zu frustrierenden Erfahrungen.
Julia* zum Beispiel war in der Haasenburg GmbH eingesperrt. Ein Heim, das
vom Staat noch immer viel Geld dafür bekommt, Kinder und Jugendliche
körperlich und seelisch zu züchtigen. Julia leidet noch heute darunter.
## „Aggressive Wortwahl und Mimik“
„Sie zeigt mittels aggressiver Wortwahl und Mimik, […] dass sie sich mit
ihrem Aufenthalt in unserer Einrichtung nur zum Teil arrangieren kann“,
heißt es in der „Empfehlung zur Beschlussverlängerung“ vom 2. Februar 200…
Das Kind finde „immer wieder Lücken“, um „Vorteile zu erlangen“. Es we…
„eine längerfristige Unterbringung nach § 1631 BGB“ empfohlen.
Die Haasenburg GmbH rät also dem Jugendamt, das Kind weiter wegzusperren.
Für jeden einzelnen Tag erhält die Firma einen Satz von mehr als 300 Euro.
Julia bleibt danach noch zweieinhalb Jahre eingesperrt und wird zu einer
lukrativen Einnahmequelle.
Die insgesamt vier Jahre sind ein Martyrium, wie das Kind der taz
berichtet: „Nachts war ich eingesperrt, musste in die Ecke pissen, weil der
Erzieher nicht da war. Da habe ich mich wie ein Hund gefühlt.“ Ein Erzieher
habe sie beim Essen „körperlich begrenzt“, wie die brutalen
Antiaggressionsmaßnahmen offiziell beschrieben werden. „Da habe ich das
Essen ausgekotzt. Nach fünf Minuten fragt der: Geht es besser? Ich: Nee,
Sie Arschloch.“
## Auf Fixierliege geschnallt
Auch Julia wird in der Haasenburg GmbH auf der Fixierliege festgeschnallt.
So soll sie vermutlich die „Zickereien“ überdenken, wie es in der
„Leistungsdokumentation für stationäre und teilstationäre Hilfen“ der
Haasenburg GmbH heißt.
Im Juni 2009 kommt die Erlösung. Julia kommt raus, aus diesem „Drecksloch“,
wie sie es nennt. Bis heute ist sie traumatisiert. Am 20. 2. 2013 nimmt sie
ihren Mut zusammen und geht zur Polizei. Sie redet. Drei Stunden lang. Es
ist 14.25 Uhr, als sie ihr Aktenzeichen bekommt. Unter Ereignis steht:
„StGB § 225 Misshandlung von Schutzbefohlenen Unterlassene Hilfeleistung.“
Der Vorgang wird an die Staatsanwaltschaft Cottbus übermittelt. Danach hört
Julia nie wieder etwas. Sie wird auch nicht eingeladen, um auszusagen.
Am 2. Mai 2013 bekommt sie stattdessen Post aus Cottbus. "Wenn sie nicht
bereit sind, detaillierte Angaben zu machen, welcher Erzieher welche Tat
begangen hat, sind Ermittlungsansätze nicht gegeben."
Julia wollte nicht gegen einzelne Erzieher aussagen. Sie wollte, dass die
Haasenburg dichtgemacht wird. Auch hier fehlen der Justizbehörde die
„Klarnamen“.
## Das verfahren wird eingestellt
Darüber hinaus, schreibt die Staatsanwältin, "muss ich auch mitteilen, dass
Körperverletzungen in der Regel nur auf Antrag verfolgt werden können.
Dieser Antrag muss innerhalb von 3 Monaten nach Bekanntwerden der Tat
gestellt vorliegen. Ihr Antrag wäre somit verspätet eingegangen.
Hochachtungsvoll". Das Verfahren ist im Mai 2013 eingestellt worden. Julia
hätte diese Frist gar nicht einhalten können. Sie saß zum Ablauftermin noch
in der Haasenburg GmbH fest.
Die Staatsanwaltschaft hätte beim Stichwort Haasenburg GmbH hellhörig
werden müssen. Denn Julia war nicht die Erste, die sich über Misshandlungen
in dem Heim beschwert.
Susanne*, Julias Bekannte aus Haasenburg-Zeiten, erstattet am 26. September
2011 Anzeige bei der Polizeiwache Neuruppin. „Körperverletzung gemäß § 223
StGB“. Susanne sagt, sie hätte ein bis zwei Stunden ausgesagt. Sie wird
später noch einmal geladen. Ein Polizeibeamtin hält ihr vor, dass niemand
ohne Grund in so ein Heim käme.
Susanne ist mehrfach sexuell missbraucht worden und verliert die Fassung.
„Ich war nie kriminell, das steht in meiner Akte“, sagt sie der Beamtin.
Das Gespräch wird abgebrochen. Später kommt sie mit ihrem Psychologen
wieder. Erneute Aussage. Zwischenzeitlich telefoniert sie mit der
Staatsanwaltschaft Cottbus.
## Monatelange Isolation
„Können sie das belegen?“, fragt die Staatsanwältin, so schildert es
Susanne. „Ich sage: Wie soll ich das belegen. Die gehen doch nicht mit mir
zum Arzt und lassen sich das dokumentieren“, sagt sie der taz. Die
Staatsanwältin soll ihr noch gesagt haben, sie glaube nicht, dass die
Anzeige Erfolg haben würde.
Susanne hat ihre Erfahrungen auf zehn Seiten niedergeschrieben. Darin nennt
sie auch Namen der Haasenburg-Mitarbeiter. Sie berichtet von den
körperlicher Gewalt, von der monatelangen Isolation, den Holz-Clogs, die
sie tragen musste, davon, wie sie selbst auf der Toilette nie allein ist.
„Verletzungen, die man z. B. von den Fixierungen am Boden davontrug, wurden
nicht ärztlich untersucht“, schreibt sie und endet: „Ich bitte Sie sehr
darum, etwas zu unternehmen!“
Im August 2012 schickt sie ihren Erfahrungsbericht dem
Bundesfamilienministerium. Dort wird er "mit großer Betroffenheit gelesen".
"Aufgrund der Kompetenzordnung" sei jedoch die oberste Landesbehörde in
Brandenburg - das Ministerium für Bildung, Sport und Jugend - zuständig.
Dort, schreibt Dieter Kreichelt im September 2012, "wird ihr Bericht zu
einer gründlichen Überprüfung der Praxis der ,Haasenburg' führen".
Susanne ist heute arbeitsunfähig. Passiert ist nichts.
## Unwissenheit und Verleumdung
Als die taz Oberstaatsanwältin Petra Hertwig im März in Cottbus anruft,
sagt sie: "Bevor ein Jugendlicher in ein solches Heim untergebracht wird,
muss einiges passiert sein." Sie behauptet: "Alle dort Untergebrachten sind
nicht unbescholtene junge Menschen." Dabei sollte eine Staatsanwältin
wissen: Die Kinder sind nach § 1631 b BGB untergebracht. Sie werden zu
ihrem eigenen Wohl von einem Familiengericht aus ihren Familien
herausgenommen. Mitnichten sind die Kinder alle kriminell.
Anfang dieser Woche fragt die taz erneut bei Oberstaatsanwältin Petra
Hertwig nach. Es gibt mittlerweile auch eine Online-Petition, die bisher
3.600 Menschen unterschrieben haben. Doch Hertwig sagt, die
Berichterstattung der taz biete keine hinreichenden Anhaltspunkte. Eigene
Ermittlungen? "Es ist nicht die Aufgabe der Staatsanwaltschaft, nach
Straftaten zu suchen." Dabei unterschreiben auch Angehörige von
Haasenburg-Betroffenen die Petition - namentlich.
Jürgen Maresch, Erster Polizeihauptkommissar a. D. in Cottbus und nun
Landtagsabgeordneter der Linken, sagt: "Die Untätigkeit der
Staatsanwaltschaft ist ein Skandal." Die Berichterstattung der taz betreffe
"in jedem Falle Offizialdelikte, die einen Anfangsverdacht auf strafbare
Handlungen in sich bergen".
Manchmal wird die Staatsanwaltschaft auch sehr eifrig. Wenn ein Angehöriger
einen Mitarbeiter der Haasenburg GmbH tatsächlich namentlich anzeigt, dann
kann es ihm selbst leicht an den Kragen gehen.
## Mit Handschellen in die Haasenburg
Das erlebte Andreas Reinboth aus Leipzig. Seine Freundin J. musste Ende
Januar 2013 wegen Schulschwänzens für eine Woche in den Jugendarrest. Sie
wurde aus dem Gerichtssaal in die Haasenburg gebracht - gefesselt mit
Handschellen.
Reinboth telefoniert noch am gleichen Nachmittag mit ihr, so schildert er
es zumindest. Die Haasenburg GmbH dagegen sagt, dieses Gespräch habe nie
stattgefunden. Reinboth aber hält an seiner Version fest: J. habe ihm
berichtet, ein männlicher Erzieher habe sie im Bad nackt kontrolliert, weil
keine Frau da gewesen sei.
Bei einem weiteren Gespräch, Reinboth habe den Lautsprecher des Telefons
angeschaltet, hört seine Mutter mit. Reinboth stellt Strafanzeige wegen
Missbrauchs und nennt drei Zeugen für das Telefonat.
Am 20. Januar schreibt das Mädchen auf einer Internetplattform über Angst
und Schläge. Sie bittet ihren Freund: "Holt mich hier raus."
Der Marketing-Mann der Haasenburg GmbH, Hinrich Bernzen, sagt, die Vorwürfe
seien "umgehend überprüft" worden und "in einer Form haltlos". Nun werde
"gegen Herrn Reinboth wegen der Vortäuschung einer Straftat" ermittelt.
## Zeugen werden nicht gehört
Tatsächlich teilt die Staatsanwaltschaft Cottbus Reinboth am 27. Februar
2013 mit, dass das Missbrauchsverfahren eingestellt ist. Das Mädchen selbst
habe die Vorwürfe bestritten und erklärt, sie sei von zwei Frauen
untersucht worden. Das ergebe sich auch aus dem Tagesprotokoll des Heims.
Die von Reinboth angegeben Zeugen - die Mutter, seine Schwester und sein
Stiefvater - werden von der Staatsanwaltschaft nicht angehört. Das
bestätigt Oberstaatsanwältin Petra Hertwig am 12. März der taz. Das Mädchen
sei von der Polizei vernommen worden und habe gesagt, "es sei ihr niemals
so etwas passiert". Auf die Frage, ob es eingeschüchtert worden sein
könnte, sagt die Juristin, "sie ist unter vier Augen vernommen worden".
Hertwig bestätigt, dass nun gegen Reinboth ermittelt wird. Anfang Juni,
sagt er, habe er erfahren, dass ihn die Staatsanwaltschaft Leipzig anklagt.
Wegen falscher Verdächtigung. Mit den Zeugen hat bis zu dieser Woche noch
niemand gesprochen.
Die Informanten der taz bitten darum, der Staatsanwaltschaft Cottbus die
Unterlangen nicht auszuhändigen. Sie fordern einen parlamentarischen
Untersuchungsausschuss.
* Namen geändert
20 Jun 2013
## AUTOREN
Kaija Kutter
Kai Schlieter
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