| # taz.de -- Debatte Geschlossene Heime: Zwang und Schutz | |
| > Lange ging es in der Debatte um Kinderheime gegen das „Wegsperren“. Diese | |
| > Tabuisierung hat alles nur noch schlimmer gemacht. | |
| Bild: Schutzraum oder Gefängnis? | |
| „Menschen statt Mauern“ – dieser Slogan wurde in Hamburg in der Diskussion | |
| in den 80er Jahren um die Abschaffung geschlossener Jugendheime geprägt. | |
| Dabei positionierten sich vor allem Vertreter der Jugendhilfe gegen das | |
| „Wegsperren“ insbesondere straffälliger Jugendlicher. | |
| Diese Haltung wird in der Diskussion um die desolaten Zustände in einem | |
| brandenburgischen Jugendheim der Haasenburg GmbH aktualisiert. Sie | |
| erscheint zunächst verständlich. Zugleich führt aber die daraus | |
| abgeleitete, grundsätzliche Tabuisierung geschlossener Jugendheime in | |
| Hamburg dazu, dass profitorientierte Heimbetreiber wie die Haasenburg GmbH | |
| die Lücke schließen. | |
| Die Jugendlichen, um die es hier geht, haben in ihren Herkunftsfamilien | |
| extreme Traumatisierungen erfahren. Sie wurden missbraucht, misshandelt, | |
| vernachlässigt. In der Folge sind viele von ihnen auf der Suche nach | |
| Erwachsenen, die ihnen Halt bieten. Zugleich müssen sie alles daran setzen, | |
| sich diesen Bezugspersonen zu entziehen. Neue Beziehungen bedeuten auch | |
| Ängste vor erneuter Ohnmacht und Auslieferung. | |
| Diesem Dilemma ist nicht mit einer Polarisierung „freundliche“ offene | |
| Jugendhilfeeinrichtungen versus „böse“ geschlossene Unterbringungsformen zu | |
| begegnen. So stellte die Enquetekommission zur Jugendkriminalität der | |
| Hamburger Bürgerschaft in zahlreichen Befragungen 2001 fest, dass | |
| Jugendliche auf geschlossene Einrichtungen nicht nur ablehnend reagieren. | |
| ## „Schwierige“ Fälle werden verlegt | |
| Obwohl die Freiheitseinschränkung skeptisch betrachtet wird, honoriert eine | |
| Mehrheit gleichzeitig, dass die Betreuer ihnen eine belastbare Beziehung | |
| anbieten. In offenen Einrichtungen der Jugendhilfe mussten insbesondere | |
| „schwierige“ Jugendliche häufig entgegengesetzte Erfahrungen machen. | |
| Dort kommt es in Grenzsituationen wie „Ausrasten“, Gewaltandrohung oder | |
| -ausübung und Suizidalität häufig zur Verlegungen in die Kinder- und | |
| Jugendpsychiatrie, was zum Abbruch der Beziehung zu Betreuern und | |
| Mitbewohnern in der Wohngruppe führt. Auf die Sicherheit und den Halt des | |
| geschlossenen Rahmens kann daher im Ernstfall nicht verzichtet werden. | |
| Die Diskussion um die „geschlossene Unterbringung“ scheint eher von | |
| politischen Auseinandersetzungen als von fachlichen Überlegungen geprägt. | |
| Entsprechend unterliegt die Anzahl der Plätze in geschlossenen Jugendheimen | |
| extremen Schwankungen. Seit 1980 ist ein starker Rückgang der Plätze zu | |
| verzeichnen, der ab 2004 wieder anstieg. Derzeit gibt es bundesweit etwa | |
| 370 Plätze, dabei etwa 110 für Mädchen, 160 für Jungen und 100 gemischte. | |
| Bundesländer, die geschlossene Heime haben, sind Niedersachsen, | |
| Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, | |
| Brandenburg und Bayern. Bayern hat mit 126 Plätzen die größte Anzahl. | |
| ## Mehr Grautöne zulassen | |
| In Hamburg gibt es seit der Schließung der „Geschlossenen Unterbringung | |
| Feuerbergstraße“ keine entsprechenden Plätze mehr. Die Jugendlichen wurden | |
| daher diskret etwa in der Haasenburg in Brandenburg untergebracht. Dies | |
| verstärkt das Gefühl der Jugendlichen, abgeschoben zu werden, und vertieft | |
| die für sie ohnehin kaum aushaltbaren Brüche mit den Herkunftsfamilien. | |
| Aus fachlicher Sicht stellt sich die Frage, ob eine Einrichtung, die den | |
| Jugendlichen gerecht wird, nicht mehr Grautöne zulassen müsste. So ist es | |
| entscheidend, dass den Jugendlichen eine langfristige Beziehungskontinuität | |
| ermöglicht wird. Leider sind „nur geschlossene Heime“ in der Regel für | |
| einen Zeitraum von rund einem Jahr konzipiert, was angesichts der extremen | |
| Probleme der Jugendlichen viel zu kurz ist. | |
| In Bundesländern, in denen es geschlossene Unterbringungen gibt, wird in | |
| einigen Heimen versucht, flexible Übergänge zwischen geschlossenen und | |
| offenen Bereichen zu entwickeln. Der geschlossene Bereich sollte dabei | |
| nicht im Sinne einer Straf- und Disziplinierungsmaßnahme verstanden werden, | |
| sondern als Versuch, den Jugendlichen eine Bindung zu ermöglichen, auf die | |
| sie sich zunächst selbst nicht einlassen können. | |
| Dieses Vorgehen ist natürlich nicht konfliktfrei und wirft die Frage auf, | |
| ob sich eine Beziehung „erzwingen“ lässt. Dem stehen jedoch die extremen | |
| Selbst-und Fremdschädigungen der Jugendlichen gegenüber, die Begrenzung und | |
| Schutz erfordern. | |
| ## Die Kontrolle der Betreuer | |
| Eine entsprechende Einrichtung muss fachlich und personell sorgfältig | |
| konzipiert und beforscht werden. Die aktuelle, berechtigte Empörung über | |
| Zustände wie in der Haasenburg führt zu einer aufgeheizten und | |
| emotionalisierten öffentlichen Diskussion, der die Tatsache gegenübersteht, | |
| dass es kaum Forschungsergebnisse zu geschlossenen Unterbringungsformen | |
| gibt. Während einerseits eine öffentliche Kontrolle dieser Heime | |
| erforderlich ist, führen Polarisierungen dazu, dass die Diskussion stark | |
| verkürzt wird. | |
| Im Mittelpunkt der Planung und Untersuchung müssen – neben den Jugendlichen | |
| – die Betreuer stehen. Diese müssen die menschliche und fachliche | |
| Gratwanderung vollbringen, sich trotz Beleidigungen, Gewalt, Drohungen, | |
| Eskalationen oder Entwertungen für die Jugendlichen zu engagieren. Sie | |
| müssen in der Lage sein, Gefühle von Ohnmacht, Hilflosigkeit, Wut, | |
| Handlungsunfähigkeit und Verzweiflung, die in der Arbeit mit diesen | |
| Jugendlichen entstehen, als Reaktion auf deren inneren Zustand zu | |
| verstehen, anstatt mithilfe von Rigidität, Bestrafung und „Drill“ | |
| abzuwehren. | |
| In dieser sehr schwierigen Arbeit sollten die Betreuer umfassende | |
| Unterstützung durch Supervisionen, fachliche Anleitung, Teamarbeit und | |
| Ähnliches erfahren und sich in ihrer Arbeit mit den Jugendlichen immer | |
| wieder infrage stellen lassen müssen. | |
| Es sollte ihnen jedoch erspart bleiben, mit den Jugendlichen im Kreuzfeuer | |
| einer ideologischen Debatte zu stehen, die die Jugendlichen zwar | |
| funktionalisiert, ihnen aber Antworten auf die Frage nach einer | |
| verlässlichen Bindung trotz ihrer phasenweisen „Unaushaltbarkeit“ schuldig | |
| bleibt. Möglicherweise sind dafür zumindest phasenweise Menschen und Mauern | |
| erforderlich. | |
| 27 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Knauerhase | |
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