# taz.de -- Ex-Erzieherin über die Haasenburg: „Aus Angst ins Zimmer urinier… | |
> Man müsse pervers sein um in der Haasenburg zu arbeiten, sagt eine | |
> Ex-Mitarbeiterin des Heims. Die Kinder würden regelmäßig schikaniert. | |
Bild: „Es gab nicht wenige Jugendliche, die Psychopharmaka bekamen.“ | |
Seit Wochen steht der Jugendhilfeträger Haasenburg GmbH, der drei Heime für | |
Kinder und Jugendliche betreibt, wegen Misshandlungsvorwürfen in der | |
Kritik. Eine ehemalige Mitarbeiterin, deren Vertrag Ende 2012 nicht | |
verlängert wurde, äußert sich aus Angst vor Repressalien anonym. | |
taz: Sie waren bis Ende 2012 Mitarbeiterin in der Haasenburg. Wie war Ihre | |
Arbeit? | |
Ich hatte dort Elfstundenschichten. Zumindest in den Nachtschichten hatte | |
man seine Ruhe. Es gab stündlich eine Sichtkontrolle. | |
Mit wem haben Sie zusammengearbeitet? | |
Wir waren etwa zwölf Kollegen. Es gab vier pädagogische Fachkräfte, die | |
anderen waren Tischler, Malermeister und anderes Arbeitervolk. | |
Wie stellten sich diese Kräfte an? | |
In einer Situation mussten alle Jugendlichen im Gruppenraum | |
Entspannungsübungen machen. Die saßen in einer Reihe und mussten die Augen | |
geschlossen haben. Einige der ungelernten Kräfte bekamen einen Lachanfall. | |
Die Jugendlichen waren verunsichert und öffneten die Augen. Sofort wurden | |
sie angeschrien, sie müssten wieder von vorne beginnen. Das ist dann drei- | |
bis viermal passiert. Die haben sich einen Scherz draus gemacht. | |
Sie haben ihre Macht ausgenutzt? | |
Natürlich. Es wurde öfter gesagt, wir provozieren die, um ihre Grenzen zu | |
testen. Die Betreuer waren ein schlechtes Vorbild. Manche kamen völlig | |
überzecht zum Dienst. | |
Haben diese Leute auch Antiaggressionsmaßnahmen durchgeführt? | |
Alle mussten Weiterbildungen machen, wie die Griffe anzuwenden sind. Ich | |
musste das auch machen. | |
Hat dieses Konzept der Haasenburg funktioniert? | |
Bei vielen hat es nicht funktioniert. Ältere Jugendliche wussten, sie | |
mussten uns nur was vorspielen. | |
Waren denn die meisten kriminell? | |
Manche kamen wegen Körperverletzung. Es gab auch viele wegen | |
Schulschwänzerei und viele, die aus anderen Heimen abgehauen waren. Bei uns | |
konnten sie nicht fliehen, weil die Türen abgeschlossen waren. | |
Es wird behauptet, die Türen seien offen. | |
Spätestens in der Nacht wurden die Türen abgeschlossen. Wenn Feuer | |
ausgebrochen wäre, hätte ich mit dem Schlüssel kommen müssen. | |
Wurden Antiaggressionsmaßnahmen zum Piesacken eingesetzt? | |
Das würde ich nicht sagen. Es gab aber einige Mitarbeiter, die sich darin | |
bestätigt gefühlt haben, wenn sie einen Jugendlichen geschafft hatten. | |
Was gab es noch? | |
Tampons wurden im Büro aufbewahrt, und die Mädchen mussten um ein Tampon | |
betteln. Das Gleiche galt für Duschgel und solche Dinge. Ein Mädchen hat in | |
ihr Zimmer uriniert, weil sie Angst vorm Nachtdienst hatte. | |
Wie haben Sie darauf reagiert? | |
Natürlich bestürzt. Von vielen wurde es so abgetan: Die hat sowieso | |
psychische Probleme, wer weiß, ob sie die Wahrheit sagt. Der Nachtwächter | |
hat seinen Dienst danach auch weitergemacht. | |
Arbeiteten Sie auch mit Psychiatern zusammen? | |
Ja, und es gab nicht wenige Jugendliche, die Psychopharmaka bekamen. Das | |
Krasseste war ein Jugendlicher, der ein Medikament monatelang nehmen | |
musste. Später hatte ich eine Weiterbildung, und da sagte die Psychiaterin, | |
dieses Medikament sollte man nur sechs Wochen nehmen. | |
Kennen Sie die strenge Hausordnung der Haasenburg, nach der Kinder bei | |
Wünschen zu klopfen hatten und sich in die Mitte des Raumes stellen | |
mussten? | |
Ja, klar. | |
Galt die auch 2012 noch? | |
Ja, die Jugendlichen mussten die oft genug abschreiben. Bei einer | |
Neuaufnahme mussten die immer klopfen, wenn sie was wollten. Manchmal haben | |
die Kinder auch einfach geklopft und vergessen, ihren Namen zu nennen. Dann | |
haben wir sie halt warten lassen. Die Kinder mussten immer rechts neben dem | |
Erzieher laufen, was recht schwierig war, weil die Flure ganz schön eng | |
waren. Beim Türrahmen mussten sie anhalten und fragen: Herr oder Frau | |
Erzieher, darf ich durch? Sonst durften sie nicht durch. | |
Wann ist Ihnen aufgegangen, dass am Konzept etwas nicht stimmt? | |
In dem Moment, wo ich drin war, habe ich gedacht, okay, das ist hier halt | |
so. Ich habe schon mitbekommen, dass manche Sachen ganz schön krass waren. | |
Zum Beispiel? | |
Wie sich die Mitarbeiter gefreut haben, wenn ein Jugendlicher zu viel | |
gewogen hat und wir ihn wieder auf Diät setzen konnten. Im Nachhinein muss | |
ich sagen, dass man ganz schön pervers sein muss, um dort zu arbeiten. Ich | |
will mich da gar nicht ausnehmen. Ich habe ja auch mitgemacht. | |
Bei was haben Sie mitgemacht? | |
Manchmal haben wir mutwillig Verhaltenspunkte abgezogen wegen irgendwelchen | |
doofen Kleinigkeiten. Ein Beispiel: Wenn ein Kind einen Eimer mit einem | |
dreckigen Lappen drin hatte und den Verhaltenspunkt „Ich halte mich an | |
Sauberkeit und Ordnung“ erfüllen sollte, dann war der dran. Wir haben uns | |
gefreut, wenn wir es geschafft hatten, fünf von acht Jugendlichen aufs | |
Zimmer zu schicken. Dann waren die alle 20 Uhr im Bett, wir hatten unsere | |
Ruhe und konnten einen Kaffee trinken. | |
Wie wurde dafür gesorgt, dass die Jugendlichen im Zimmer blieben? | |
Es wurden Becher von außen auf die Türklinken gestellt. In den Bechern war | |
ein Faden mit einer Mutter, damit es schepperte, wenn die Türklinken bewegt | |
wurden. | |
Wurden die Kinder und Jugendlichen durchsucht? | |
Ich habe selber Leibesvisitationen und Zimmerkontrollen durchgeführt. Wir | |
nahmen alles auseinander. Dann haben wir gesagt: Oh, wir haben nichts | |
gefunden, Jugendlicher, jetzt darfst du wieder aufräumen. | |
28 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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