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# taz.de -- Der sonntaz-Streit: Schafft Wohlstand Protest?
> Die Wirtschaft in der Türkei und Brasilien wächst – und trotzdem gehen
> dort die Menschen auf die Straße. Macht Wohlstand unzufrieden?
Bild: Flagge zeigen für Brasilien – auf dem Taksimplatz in Istanbul.
Mit Tränengas und Gummigeschossen geht die Polizei gegen sie vor; mit
Demonstrationen, Plakaten, Brandsätzen und Blockaden antworten sie. Die
Bevölkerungen in der Türkei und Brasilien sind auf der Straße und
protestieren gegen ihre Regierungen. Warum aber sind sie so empört? Und ist
es Zufall, dass zwei so aufstrebende Noch-Schwellenländer betroffen sind?
Immerhin: Beide Länder werden zu den BRIKT-Staaten gezählt, einem
Konglomerat schnell wachsender Volkswirtschaften. Und tatsächlich sind die
Brutto-Inlands-Produkte in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen.
Während sich das BIP Brasiliens zwischen 2003 und 2013 vervierfachte,
reichte es in der Türkei fast zur Verdreifachung der Wirtschaftsleistung.
Trotz andauernder globaler Wirtschaftskrise. Deutschland, das als gut
geölter Antriebsmotor Europas gilt, hat dagegen nur ein kleines Plus zu
verzeichnen.
Den Menschen muss es doch gut gehen, lässt sich vermuten. Schließlich
lautet die Zauberformel des Erfolgs in beiden Ländern Privatisierung,
Liberalisierung, Marktwirtschaft. Geld für alle. Oder? Die Arbeitslosenzahl
in Brasilien hat sich seit 2003 halbiert – was die These der
ModernisierungstheoretikerInnen bestätigt: Wohlstand schafft Partizipation,
schafft Protest. Aber ist das wirklich so?
Obwohl der Großteil der brasilianischen Bevölkerung materiell abgesichert
ist, war die Preiserhöhung im öffentlichen Nahverkehr Auslöser für die
Proteste im ganzen Land. Doch geht es um mehr: Fünf zentrale Forderungen
wurden von der Bewegung vorgetragen, die sich im Großen und Ganzen um
Korruption und die Gleichheit der Menschen drehen.
## Protestieren statt Müllsammeln
Themen, die das Leben aller tangieren. Aber eben auch Dinge, mit denen man
sich nur auseinandersetzen kann, wenn man nicht mit Müllsammeln um die
eigene Existenz kämpfen muss. Wenn „die da oben“ nicht mehr ganz so weit
weg sind. Ist Wohlstand also die Grundlage für Proteste und
Unzufriedenheit?
Auch in Türkei scheint das der Fall zu sein. Erdogan hat dem Land zu
Wohlstand verholfen, der einer breiten Masse zu Gute kommt. Trotzdem – oder
gerade deswegen – gehen nun Menschen jeden Alters und politischer Gesinnung
auf die Straße, weil sie sich nicht vorschreiben lassen, wie sie zu leben
und wann sie Alkohol zu trinken haben. Sie verteidigen ihre Freiheit, die
sie erst durch eine gewisse Grundsicherung erfahren können.
Noch deutlicher wird dies anhand der Proteste um Stuttgart 21. Ob da nun
ein Baum gefällt, ein Borkenkäfer umgesiedelt oder ein unterirdischer
Bahnhof gebaut wird – das interessiert, nun ja, nicht jeden. Empörung fand
hier weitab der Realität vieler statt, die sich um ihre bloße Existenz
sorgen müssen. Nicht umsonst werden die WutbürgerInnen vor allem in der
Mittelschicht verortet. Also dort, wo Baum oder nicht Baum erst relevant
wird, dort wo ein gewisser Grad an Wohlstand bereits erreicht ist.
## Tunesien – ein Sonderfall?
Vielleicht wunderte man sich auch deswegen über den Arabischen Frühling.
Tunesien werde ein Sonderfall bleiben, schrieb Josef Joffe kurz nach
Ausbruch der dortigen Aufstände. Nur hier hätten Bildung und Wohlstand den
„tipping point“ erreicht, nur hier gäbe es eine ausreichend große
Mittelschicht. Und trotzdem breiteten sich die Proteste schließlich auf
insgesamt 17 Länder aus.
Wie konnte das passieren? Sind wirklich Wohlstand und Bildung nötig, um die
Menschen auf die Straßen zu bringen? Stuttgart, Istanbul, Sao Paolo lassen
darauf schließen - schafft Wohlstand Protest?
Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den interessantesten
Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in der sonntaz vom
29./30. Juni. Der Kommentar sollte etwa 900 Zeichen umfassen und mit dem
Namen, Alter, einem Foto und der E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors
versehen sein. Oder schicken Sie uns bis Mittwoch, 26. Juni eine Mail an:
[1][[email protected]]
25 Jun 2013
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## AUTOREN
Sören Musyal
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