# taz.de -- Kommentar Doping in Westdeutschland: Allein der Sieger wird gefeiert | |
> Ja, im Westen wurde systematisch gedopt. Ein ins Unendliche verlängerter | |
> Wettstreit Ost-West hilft bei dieser Problematik allerdings wenig. | |
Bild: Im vereinigten Sportsystem wird nicht der saubere Athlet gefeiert. Damit … | |
Es ist erstaunlich, dass dieser Tage so viel über Doping in der alten BRD | |
gesprochen wird, da hat [1][Klaus Huhn] sicher recht. Nicht nur er, der | |
Kommunist, als den er sich selbst bezeichnet, wundert sich darüber, dass | |
endlich wahrgenommen und skandalisiert wird, was schon lange bekannt ist: | |
Im guten alten Westen ist gedopt worden. | |
Die einen sprechen von systematischem Doping und suggerieren, dass es in | |
der BRD auch nicht anders zugegangen ist als in der DDR. Andere bezeichnen | |
das, was in der BRD mit Sportlern gemacht wurde, als systemisches Doping, | |
was wohl bedeuten soll, dass das Pillenschlucken einfach dazugehört hat im | |
Spitzensportsystem des Westens. Und beinahe alle sind entsetzt über die | |
Rolle des Staats, der Doping geduldet, Dopingforschung finanziert und | |
olympische Medaillen regelrecht gefordert hat. | |
Nur Klaus Huhn scheint nicht entsetzt zu sein. Er bleibt der | |
Sportjournalist der ganz alten Schule, sitzt auf der Tribüne und beobachtet | |
den Wettlauf der Systeme Ost gegen West. | |
Schon lange bevor die Forscher, die sich mit Dopingangelegenheiten befassen | |
und es dabei schwer genug haben bei all den geschlossenen Archivtüren, die | |
sie in den Sportverbänden vorfinden, zu endgültigen Ergebnissen gekommen | |
sind, steht für ihn fest, „dass in der alten BRD hemmungsloser gedopt | |
worden ist als in der DDR“. Ein irrer Sieg für die DDR, den er da | |
konstatiert: weniger gehemmt gedopt und doch so viel erfolgreicher als die | |
Anabolikamonster aus dem Westen. | |
## Nur ein Detail im Wettkampf | |
Es ist eine geschmacklose Rechnung, bei der das Thema Doping letztlich | |
regelrecht verharmlost wird. Es wird als beinahe schon normale und schon | |
gar nicht verwerfliche Voraussetzung für Medaillen betrachtet. Und wenn | |
Huhn wissenschaftliche Studien zitiert, für die Jugendliche mit Anabolika | |
angefüttert wurden, dann macht er das nicht, weil er zeigen möchte, wie | |
weit die Menschenoptimierer in den sportwissenschaftlichen Laboren | |
Westdeutschlands zu gehen bereit waren. Für ihn ist es nur ein Detail im | |
sportlichen Wettkampf der Systeme. | |
So neu sind die Argumente freilich nicht. Fast immer, wenn Arbeiten | |
erschienen sind, die sich mit dem Doping im westdeutschen Vorwendesport | |
beschäftigen, wurde in ostdeutschen Tageszeitungen beinahe jubiliert, so | |
als dürfe man die alten Sport-Erfolge der DDR-Athleten wieder unbeschwert | |
feiern, jetzt, wo man weiß, dass der BRD-Sport auch nicht ganz sauber war. | |
Das war so, als jüngst bekannt wurde, was ein Forschungsprojekt über das | |
Doping West herausgefunden hat. Das war aber auch schon so, als 2000 das | |
bis heute viel zitierte Buch „Doping im Spitzensport“ von Andreas Singler | |
und Gerhard Treutlein erschienen ist. | |
Wer so relativierend daherredet, vergisst, dass es bei Doping nicht allein | |
um die sportliche Fairness geht; der blendet aus, dass die körperliche | |
Unversehrtheit von Menschen auf dem Spiel steht, wenn ohne medizinische | |
Indikation Arzneimittlel in junge Körper hineingepumpt werden. Wer nur das | |
Medaillenaufrechnen im Sinn hat, will sich nicht mit der Frage befassen, | |
wie es sein kann, dass ein Staat einen hochoffiziellen Dopingplan | |
ausarbeiten lässt und dabei Opfer billigend in Kauf nimmt. | |
Beim von der gemütlichen Reportertribüne aus beobachteten Wettlauf der | |
Systeme ist kein Platz für Geschichten über die wahren Verlierer dieses | |
Duells, so wie sie der ehemalige Bahnradfahrer Uwe Trömer erzählen kann, | |
dessen Nieren nach einer Spritzenkur versagt haben und der bis heute kein | |
geregeltes Leben führen kann, weil er an den Nachwirkungen des | |
Anabolikakonsums leidet, zu dem er gedrängt worden ist. | |
## Kein Platz für die Opfer | |
Wer das Doping in Westdeutschland benutzen will, um den Dopingwahnsinn in | |
der DDR zu rechtfertigen, in dessen Kopf ist kein Platz für die Erinnerung | |
an die Opfer der Menschenmanipuliererei in der BRD. Die an einem | |
Multiorganversagen gestorbene Siebenkämpferin Birgit Dressel, deren Körper | |
bis oben hin voll war mit Medikamenten, wird nicht vorkommen in einer | |
Geschichte, in der es allein darum geht, zu sagen: Die anderen haben es | |
doch auch gemacht. | |
An die Sportlerinnen, die – ob im Osten oder im Westen – Probleme mit ihrer | |
Selbstwahrnehmung als Frau haben, weil die Anabolika zu einer | |
unübersehbaren Vermännlichung ihrer Körper beigetragen haben, wird nicht | |
denken, wer dabei nur die Frage im Auge hat, ob im Westen mehr gedopt | |
worden ist als im Osten. | |
Vielleicht ist es auch gar nicht möglich, darüber zu urteilen, ob Doping | |
nach Staatsplan schlechter oder besser ist als das von Sportlern, Trainern | |
und Wissenschaftlern betriebene Basisdoping mit staatlicher Duldung und | |
Finanzierung, so wie es im Westen stattgefunden hat. | |
Die ewige Ost-West-Debatte im Sport, in der aus dem Osten von | |
Hammer-und-Zirkel-Nostalgikern immer wieder der Schrei nach Legitimierung | |
der DDR-Sporterfolge zu vernehmen ist, verhindert eine kritische | |
Auseinandersetzung mit dem Leistungssport als solchem. Der steht | |
merkwürdigerweise, genauso wenig wie dessen Finanzierung durch den Staat, | |
nicht im Fokus der Kritik nach all den Dopingenthüllungen der letzten | |
Wochen, Monate und Jahre. | |
## Körperoptimierung | |
Noch immer werden deutsche Athleten vom Staat gepäppelt mit dem alleinigen | |
Ziel, Medaillen bei sportlichen Großereignissen zu holen. Noch immer haben | |
die Sportärzte an Unis und Leistungszentren keine andere Aufgabe, als | |
menschliche Körper zu optimieren. Dabei wird alles ausgelotet, was das | |
Reglement zulässt. Und bisweilen gewiss etwas mehr. | |
Trainer wie Werner Goldmann, der Robert Harting zum Olympiasieger (und | |
frischen Weltmeister) geformt hat, Übungsleiter, die mitgemacht haben, als | |
in der DDR die berüchtigten Pillen an die Sportler verteilt worden sind, | |
schmieden heute Medaillen für die neue Bundesrepublik. Dass im vereinigten | |
Sportsystem immer noch nicht der saubere Athlet, sondern allein der Sieger | |
gefeiert wird, macht es anfällig für Doping. Immer noch und immer wieder | |
von Neuem. Die Frage, ob das immer so bleiben muss, muss man stellen, dabei | |
aber die Ost-West-Fingerzeigerei hintanstellen. | |
Anermung der Redaktion: Dies ist einen Replik [2][auf den Kommentar von | |
Klaus Huhn] zum Thema Doping in Westdeutschland vom 13.08.2013. | |
1 Jan 1970 | |
## LINKS | |
[1] /Kommentar-Doping-in-Westdeutschland/!121729/ | |
[2] /Kommentar-Doping-in-Westdeutschland/!121729/ | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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