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# taz.de -- Aufarbeitung von Doping im DDR-Sport: Das Täteropfer von Thüringen
> Eine Studie zu den Doping- und Stasi-Verstrickungen im Thüringer Sport
> polarisiert. Belastete Akteure wie Rolf Beilschmidt bekleiden noch
> Spitzenämter.
Bild: Ihn bringt nichts so leichr zu Fall: Rolf Beilschmidt, hier 1976 nach ein…
ERFURT taz | Rolf Beilschmidt ist aufgebracht, weil sie wieder wie ein
Monolith im Raum stehen, die Vorwürfe. Es geht um seine Stasi-Mitarbeit und
seinen mäandernder Umgang mit der Wahrheit. Die Vorwürfe werden von einem
Journalisten vorgebracht im Hörsaal 3 der Universität in Erfurt.
Beilschmidt sagt, er könne diese „ewige Litanei“ nicht mehr hören. Er ist
aufgewühlt, sein Blick wird stechend. „Sie lügen wieder“, sagt der
Journalist, nicht weniger erregt. Dabei ist es nicht nur dieser Journalist
allein, der Beilschmidt in ein schlechtes Licht rückt, die Autoren der
Studie „Zwischen Erfolgs- und Diktaturgeschichte. Perspektiven der
Aufarbeitung des DDR-Sports in Thüringen“ sind es auch.
Beilschmidts Spitzeltätigkeit sei nicht, wie es der Betroffene gern
darstellt, harmlos gewesen, vielmehr enthielten die von ihm ans Ministerium
für Staatssicherheit weitergeleiteten Informationen „für die betroffenen,
bereits in Ungnade des Staates gefallenen Personen ein gefährliches
Potenzial“. Beilschmidts Behauptung, er habe niemanden in Schwierigkeiten
gebracht, „sind in dieser Form nicht zutreffend“.
Es ist die erste Studie dieser Art, und sie wurde am Mittwochabend zum
ersten Mal einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Etwa 150 Zuhörer,
die meisten schon im Rentenalter, waren gekommen, um Geschichtsunterricht
in Sachen Doping, Stasi und Sport in den ehemaligen Bezirken Erfurt, Gera
und Stuhl zu nehmen. Die Autoren, zumeist Mitarbeiter des Zentrums für
deutsche Sportgeschichte, haben das Wissen um die Schattenseiten des
Thüringer Sports auf 310 Seiten gebündelt, sie haben Zeitzeugen befragt und
porträtiert, den Transformationsprozess nach dem Mauerfall beschrieben, und
sie haben, obwohl der Thüringer Landessportbund (LSB) 25.000 Euro zu dem
Projekt beigetragen hat, keine Gefälligkeitsstudie verfasst. Denn sie
lassen Rolf Beilschmidt, den ehemaligen Hochspringer, der heute
Geschäftsführer des LSB ist, nicht einfach so davonkommen. Sie benennen
seine Schuld, sein Versagen, seine Kollaboration mit dem System. Aber auch
seine Rolle als ein Opfer der Zwänge – und der Stasi, schließlich wurde der
Hochsprung-Straddle-Spezialist auch observiert, und das gleich von über
einem Dutzend Spitzel.
Beilschmidts Geschichte steht exemplarisch für das Geschichtsverständnis
der Herausgeber Jutta Braun und Michael Barsuhn. Geschichte sei
„naturtrüb“, schreiben sie, in vielen Fällen würden „die Grenzen einer
klaren Täter-Opfer-Dichotomie, wie sie in öffentlichen Diskursen nach dem
Ende von Diktaturen häufig gesucht wird, deutlich.“ Differenzierte
Forschung müsse „Kontext und Strukturen“ offenlegen, müsse mehr als Schwa…
und Weiß entdecken, nämlich „wissenschaftliche Grautöne“. Barsuhn zitiert
den britischen Historiker Timothy Garton Ash, der das Stasi-Akronym IM
(“Inoffizieller Mitarbeiter“) als ein „tödliches Kürzel“ beschrieben …
Barsuhn will damit sagen, dass „einseitige Enthüllungsgeschichten“ nicht
ausreichten, um über Menschen zu urteilen. Ash wurde selber von der Stasi
überwacht. Später hat er viele IMs und hauptamtliche Mitarbeiter der Stasi
getroffen. Begegnet ist ihm die Banalität des Bösen: eitle, feige,
geldgierige, verblendete, gehässige, naive, geschwätzige und
karrieresüchtige Menschen.
## Machtvakuum an der Spitze
Für die Kritiker des Thüringer Sports, die in den 25 Jahren nach der Wende
an der Halsstarrigkeit der Sportfunktionäre und am Zusammenhalt der
DDR-Seilschaften schier verzweifelt sind, ist es schwer, die Ergebnisse der
naturtrüben Geschichtsforschung zu akzeptieren. Sie werfen den Autoren
Kungelei flüchtiges Quellenstudium und mangelndes Engagement in der
Forschung vor. Es gehe um Folgeaufträge, deshalb agiere das Zentrum für
Sportgeschichte nicht allzu kritisch.
An diesem Abend fehlt jedenfalls Henrich Misersky, der Vater der
Biathlon-Olympiasiegerin Antje Misersky. Er weigerte sich als Trainer im
DDR-Wintersportsystem, seiner Tochter Dopingpillen zu geben. Nach der Wende
profilierte er sich als Kritiker der Thüringer Sportverwaltung – und solche
Kritiker seien „lästig im Thüringer Sport“, das hat er der Thüringer
Allgemeinen kürzlich in einem langen Interview verraten.
Und weiter: „Ich halte das [die Studie] für pure Verschwendung von
Steuergeldern. Die Studie ist nicht unabhängig, da vom LSB mitfinanziert.
Diese Form der Aufarbeitung mutiert zum Geschäftsmodell“, schimpft er. Auch
Ines Geipel, frühere Schmidt, ist nicht da im Hörsaal 3 der Erfurter
Universität. Die Exsprinterin des SC Motor Jena, die heute dem
Dopingopfer-Hilfeverein vorsitzt, hält Beilschmidt und LSB-Präsident Peter
Gösel für „Nomenklaturkader aus DDR-Zeiten“. Den beiden sei es gelungen, …
der Spitze des LSB ein Machtvakuum aufzubauen. „Kritische Stimmen werden
weggedrückt, Opfer verhöhnt, Aufarbeitung ausgesessen.“
Weggedrückt wird offensichtlich auch die Stimme von Dirk Eisenberg,
Vizepräsident des LSB. Er hat Rolf Beilschmidt den Rücktritt nahegelegt. Im
Herbst möchte er wohl gegen Gösel antreten und LSB-Präsident werden;
Chancen hat er keine. Eisenberg kommt sich mittlerweile vor wie im „ZK der
SED“, ließ er verlautbaren. Der Chef der Thüringer Sportschützen verfolgte
zwar die Präsentation der Studie am Mittwochabend, war aber als kritische
Stimme auf dem Podium nicht erwünscht. Überdies war er im Vorfeld der
Veranstaltung im LSB-Magazin von Gösel geschurigelt worden. Ihm wurde eine
Medienkampagne unterstellt, sein Vorgehen sei „respektlos“. Immerhin ging
Gösel nicht so weit wie vor einigen Jahren, als er den eingangs erwähnten
Journalisten Thomas Purschke, der auch immer wieder für die Sportseite der
taz schreibt, als „Lügenbaron“ bezeichnete, den man „in meiner
Heimatgemeinde ersäufen würde“. Gösel stammt aus Erfurt-Gispersleben, ist
nach Selbstauskunft „ein Dorfcharakter“, „ein Knüttel“, also ein etwas
grober Klotz.
## Unzureichende Belastungen
Wesentlich smarter pflegt Rolf Beilschmidt zu agieren, das Täteropfer. Der
Opfertäter. Er geriet 1976 vor den Olympischen Spielen in Montreal in die
Fänge der Stasi. Man setzte ihn wegen Westkontakten unter Druck. Nachdem er
sich etwas geziert hatte, arbeitete er unter dem Decknamen „Paul Grün“ mit
der Stasi zusammen. Pikant ist dabei, dass der DDR-Sportler des Jahres 1977
(Bestleistung: 2,31 Meter) eng befreundet war mit Roland Jahn, dem heutigen
Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde. Anfangs hat er Jahn wohl informiert,
dass ihn die Stasi bedrängt, später aber hat er auch intime Details über
Jahn berichtet und etwa dem Führungsoffizier Krause eine Postkarte von Jahn
vorgelegt, die der ihm aus Portugal geschrieben hatte; Jahn wurde gegen
seinen Willen ausgebürgert.
Beilschmidt bespitzelte auch Ines Geipel, berichtete, dass sie sich oft in
Gaststätten aufhalte und „dort dem übermäßigen Alkoholkonsum zuspricht“.
Auch dieses Puzzleteil im Operativen Vorgang der Stasi gegen Geipel führte
1985 dazu, dass die Athletin nach einem „clubinternen Tribunal“ aus dem
DDR-Leistungssport ausgesondert wurde, wie die Autoren schreiben.
Beilschmidts Karriere nahm da schon mächtig Fahrt auf. Der Jugendtrainer
wurde stellvertretender Klubchef des SC Motor Jena, 1989 sogar
Vorsitzender. Nach der Wende leitete Beilschmidt jahrelang den
Olympiastützpunkt Thüringen. Später wechselte er zum LSB. Seine
Stasi-Tätigkeit räumte er bereits 1992 ein, jedoch machte er Glauben, dass
die IM-Tätigkeit 1981 beendet gewesen sei.
Das ist nicht ganz richtig. In seiner Funktion als Sportfunktionär
arbeitete er weiter mit der Stasi zusammen. „Es war nur schwer möglich,
sich einer Zusammenarbeit zu entziehen“, sagte er am Mittwoch, „da war man
zu einer gewissen Kooperation verpflichtet.“ Diese Tätigkeit sei
„öffentlich“ gewesen und nicht „konspirativ“, gab er vor. „Dass ich …
damit habe schädigen können, war mir nicht bewusst, möglicherweise habe ich
mich leichtfertig geäußert.“ Zur Rechtfertigung seiner Stasiverstrickungen
führte er an, dass er schon früh ein sehr persönliches Verhältnis zu seinem
Führungsoffizier gehabt habe. Mit dem sei er gemeinsam in die Schule
gegangen, außerdem sei er ja selbst „Objekt der Begierde“ gewesen.
Darf so einer weitermachen? Und darf so einer wie Peter Gösel weitermachen,
der den West-Dopingtrainer Heinz-Jochen Spilker im LSB duldete oder den
Oberst der Volksarmee und Leiter des ASK Vorwärts Oberhof, Gerhard Grimmer?
Kann Rolf Beilschmidt den Thüringer Sport auch in Zukunft verwalten? Ja,
findet das Präsidium des LSB. Ja, aber, sagt der Deutsche Olympische
Sportbund (DOSB). Eine Kommission hat sich 2014 mit dem Fall Beilschmidt
befasst. Man kommt zu dem Schluss: Die Belastungen reichten nicht aus, um
„die Abberufung von Herrn Beilschmidt von seiner Position als
Hauptgeschäftsführer des Thüringer Landessportbundes (ausdrücklich) zu
empfehlen“. Das Gremium spricht von „Einsichtigkeit“ des Betroffenen und
bezieht sich auf den „inzwischen eingetretenen Zeitablauf“. So legt sich
über den Thüringer Sport der Schleier der Geschichte. Immerhin: Den Mantel
des Schweigens hat man mittlerweile weggepackt.
3 Sep 2015
## AUTOREN
Markus Völker
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