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# taz.de -- Dopinggeschädigter und Sportpolitik: Er ist der Böse
> Uwe Trömer, Dopinggeschädigter der DDR, hat sich lange gegen
> Sportfunktionäre gestellt. Nun arbeitet er mit ihnen zusammen. Das sorgt
> für Aufregung.
Bild: Kurbeln fürs System: Uwe Trömer 1980 auf der Radrennbahn in Budapest.
Erfurt taz | Uwe Trömer trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Böser
Radfahrer“. Er findet, das trifft die Sache ganz gut. „Ich bin der
klassische Nestbeschmutzer“, sagt er und schaut einen dabei ziemlich
herausfordernd an. Ein böser Radfahrer ist Trömer, weil er beim SC Turbine
Erfurt nach einer unglaublichen Leidensgeschichte gemerkt hat, wie
kaltherzig das DDR-Sportsystem sein konnte – und das später öffentlich
machte.
Er ist böse, weil er nach dem Mauerfall als anerkanntes Dopingopfer gegen
die Betonköpfe in den Sportverbänden gekämpft hat. Ein böser Radler ist
Trömer auch, weil er jetzt angeblich die Seite gewechselt hat und mit dem
Thüringer Landessportbund (LSB) zusammenarbeitet. Ende April hat er in Bad
Blankenburg bei einer Fortbildung für Sportlehrer der Thüringer
Sportgymnasien über seine bösen Radl-Erfahrungen gesprochen. Weitere
Referate unter der Fahne des LSB sind geplant.
Für seine ehemaligen Weggefährten vom Dopingopfer-Hilfeverein hat er damit
nicht nur den Rubikon überschritten, nein, er hat sich dem Feind anheischig
gemacht, also geschichtsvergessenen Sportfunktionären und
Dopingverharmlosern. „Ich werde mich, auch wenn mir das vorgeworfen wird,
niemandem anwanzen“, sagt der Vizeweltmeister im Bahnradsport (1980). „Man
muss auch mal vergeben können.“
Vor Jahren, als er noch in der Rolle des rigorosen Anklägers aufging, klang
das anders. 2009 forderte er etwa in der FAZ ein „Platzverbot“ für
DDR-Dopingtrainer, die ihr Auskommen im bundesdeutschen Sportsystem
gefunden hatten: „Die Täter bekommen Streicheleinheiten. Die werden
umsorgt, bekommen Jobs, erzählen nur, was man schon weiß, und tun noch so,
als habe es eine Sportlerfamilie gegeben. Entschuldigung, da könnte ich
glatt auf den Tisch kotzen.“ Damals war er für viele Sportfunktionäre eine
Persona non grata. Sie wollten eher nicht mit ihm reden. Heute schon.
Ist er ein Renegat, ein Abtrünniger, der seine Grundsätze über Bord
geworfen hat? „Nein, aber der Hass schleift sich mit der Zeit ab. Man muss
auch wieder zu seiner Kraft finden. Zwanzig Jahre harter Antidopingkampf
haben mich ausgezehrt“, erklärt er. Es klingt, als habe er einen Kampfplatz
verlassen, auf dem er sich nicht mehr wohlfühlte. An dem es auch nichts
mehr zu gewinnen gab.
In diesen zwanzig verkämpften Jahren saß Trömer auf vielen Podien, gab
etliche Interviews – und man sah ihm bisweilen die Schmerzen an, die sich
anstauen, wenn man ständig gegen Wände rennt. Trömer wirkte in diesen
Jahren oft angespannt, nah an der Verbitterung. Jetzt, da er sich vom
Dopingopfer-Hilfeverein abgewandt hat und dem LSB zu, möchte er „einen
differenzierten Blick wagen“. Der Perspektivwechsel hat ihm sichtlich gut
getan.
Der ehemalige Bahnradspezialist, der von DDR-Dopingärzten fast vergiftet
worden wäre, scheint eine Aufgabe gefunden zu haben, die ihm, den selbst
erklärten „Einzelkämpfer“, durchaus liegt. Er hat auch sehr schnell
verstanden, auf was es jetzt ankommt: Loyalität zu den Funktionären. Trömer
bescheinigt dem Sportbund in Erfurt ein Umdenken. Die LSB-Führung sei nun
bereit, Versäumnisse aufzuarbeiten und Dopingopfern zu helfen. Im Gegenzug
sollen ihm die LSB-Oberen dabei behilflich sein, eine Dopingopferrente beim
Landesverwaltungsamt durchzuboxen.
## Ausputzer mit seine neuen Freunde
Dafür betätigt Trömer, 53, sich auch schon mal als Ausputzer für seine
neuen Freunde. Bezweifeln Journalisten die Wandlung des LSB vom Saulus zum
Paulus, dann greift er zum Hörer und beschwert sich auf höchster Ebene beim
Chefredakteur des Blatts oder schreibt E-Mails, in denen er
Berichterstattern „DDR-Journalismus“ vorwirft.
„Es geht nur zusammen, es geht nur gemeinsam, auch wenn da jetzt jemand
dabei ist, der vor zehn Jahren noch nichts von Dopingopfern wissen wollte“,
findet er. Gemeint sind Leute wie LSB-Chef Peter Gösel oder Geschäftsführer
Rolf Beilschmidt, der erst 2011 etwas Substanzielles zu seinen
Verstrickungen ins DDR-Dopingsystem gesagt hat. Beilschmidt war
Hochspringer beim SC Motor Jena, Bestleistung 2,31 Meter. In den 80er
Jahren machte er Karriere, wurde 1989 sogar Chef des Sportclubs Motor.
Stasi-IM war Beilschmidt auch.
In der Biografie von Beilschmidt will Trömer keine „Geschichte der
Kontinuität“ erkennen, sondern einen Wandel hin zum Besseren. Außerdem:
„Ich verurteile heute keinen mehr dafür, dass er IM im Sport war.“ Es sind
solche Sätze, die Dopingopfervertreter wie Henner Misersky aufbringen. Der
ehemalige DDR-Trainer, der seine Tochter Antje nicht hat dopen wollen, hat
Trömer einen „Spaltpilz“ und „Judas“ genannt – und sich kurze Zeit s…
für diese Wortwahl entschuldigt.
In der Sache aber bleibt Misersky, der Eingang in die Hall of Fame des
deutschen Sports gefunden hat, bei seinem Urteil: Trömer habe sich dem LSB
„angedient“. Die Sache ist freilich kompliziert: Anfangs war auch ein
Auftritt von Misersky in Bad Blankenburg geplant, aber das wollte der LSB
offenbar nicht, weil man damit rechnen musste, dass Misersky den Rücktritt
des belasteten Beilschmidt fordern und die Präsidentschaftskandidatur des
LSB-Vizepräsidenten Dirk Eisenberg forcieren würde. „Skandalös ist nach wie
vor, wie ich hier weggeboxt wurde, enttäuschend, wie Trömer mich abgeseift
hat – als Werkzeug des LSB“, hat Misersky in einem Interview mit der
Thüringer Allgemeinen gesagt. Das sei „charakteristisch für die
Geisteshaltung und Praxis beim LSB“.
Die starre Haltung hat der LSB mittlerweile aufgegeben. Es soll, kündigt
Beilschmidt an, eine Beratungsstelle für Dopingopfer geben. Der
Landessportbund hatte zudem eine Studie zur Aufarbeitung der Thüringer
Sporthistorie mit 25.000 Euro unterstützt. Die Schattenseiten des
Leistungssports in den Bezirken Suhl, Erfurt und Gera wurden von
Historikern auf 310 Seiten beleuchtet, Exsportler wie die Sprinterin Gesine
Tettenborn (geb. Walther) oder der Schwimmer Sigurd Hanke wurden
porträtiert.
## „Meine eigene Mutter hat mich nicht erkannt“
Auch Uwe Trömers Schicksal wird in dem Buch dargestellt: Ein junger
Radsportler, der in der Erfurter Medizinischen Akademie mit versagenden
Nieren und aufgeblähtem Körper fast gestorben wäre. „Meine eigene Mutter
hat mich in der Klinik nicht erkannt. Ich hatte einen Wasserkopf und
Elefantenbeine“, sagte Trömer bei der Vorstellung der Studie vor einer
Woche in Erfurt. Er war Opfer eines Menschenversuchs mit Dopingmitteln
geworden. Noch heute leidet er unter den Folgen.
Als einen „Versuch“ begreift er auch sein Engagement im Landessportbund.
„Es ist ein Testlauf mit offenem Ausgang“, sagt Uwe Trömer. Der böse
Radfahrer strampelt weiter. Er kann nicht anders.
12 Sep 2015
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Doping
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Sportpolitik
DDR
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