# taz.de -- Proteste gegen Überwachung: Ärger statt Angst | |
> Snowden, Prism, NSA: Dutzende Initiativen rufen für Samstag zu Protesten | |
> auf – ein Aufbruch der jungen Bürgerrechtsbewegung? Wohl kaum. | |
Bild: Darum geht es auch: Wer findet die Parteifahne? „Freiheit statt Angst�… | |
Alles ist geordnet und bereitet und das meiste definiert. Keine Partei darf | |
mehr als ein Fahrzeug im Zug mitführen. Kein Fahrzeug darf über 7,5 Tonnen | |
wiegen. Und in der 60-Meter-Zone vor der Bühne schließlich haben | |
Parteifahnen nichts zu suchen. | |
Wer so präzise bestimmen kann, was auf einer Demonstration passieren soll | |
und was nicht, muss keine Angst haben, dass sie aus dem Ruder läuft. Umso | |
weniger, wenn es eine Demonstration mit Erfolgsgeschichte ist. | |
[1][„Freiheit statt Angst“]. | |
Es dauert nicht mehr lange, bis Samstag also, dann ist es wieder so weit. | |
Dutzende Verbände und Initiativen, rund 70 an der Zahl, rufen seit Wochen | |
gemeinsam zum Bürgerrechtsprotest auf. Es soll gegen die NSA gehen und | |
gegen Prism und Tempora. Es geht um die Haltung der Bundesregierung zu dem | |
Skandal, aber auch gegen Vorratsdatenspeicherung, Nacktscanner an | |
Flughäfen, gegen Überwachung eben und um effektiven | |
Arbeitnehmerdatenschutz. | |
Und weil die Schlagzeilen beherrscht sind von immer neuen | |
Datenschutzskandalen, fragen sich einige: Kann dieser Samstag dann nicht | |
jener Aufbruch werden, den die junge Bürgerrechtsbewegung doch so gut | |
gebrauchen könnte? Nach all den stillen Wochen und gefloppten Sponti-Demos, | |
nach all der mühevollen Arbeit, um aus den Enthüllungen von Edward Snowden | |
wenigstens etwas politisches Kapital zu schlagen? | |
## Es knirscht und knarrt | |
Die Antwort will sich kein Gesicht geben und keinen Namen. Aber sie lautet, | |
kurz gesagt: wohl kaum. Denn unter wichtigen Aktiven der Netz- und | |
Bürgerrechtsbewegung knirscht und knarrt es. | |
Manchmal sind auch kleine Zeichen aufschlussreich. Ein solches Zeichen, | |
eine Lücke, dokumentierte die Unterstützerliste der Demonstration - bis | |
Mittwoch noch. Darauf stehen Dutzende Organisationen. Attac, Campact, die | |
jungen Liberalen und die AIDS-Hilfe Deutschland. Sogar der Bundesverband | |
der Verbraucherzentralen. Keine Frage, das wird eine große Sache. Ein Name | |
allerdings fehlte: der Chaos Computer Club. Das ist zwar nur ein Name, aber | |
einer der wichtigsten in der Szene. Und wer sich dann also umhört, trifft | |
plötzlich auf einflussreiche Aktivisten, bei denen sich immer mehr Frust | |
anstaut. | |
Sie wollen ihre Namen nicht in der Zeitung lesen. Sie wollen niemandem die | |
Erfolge versauen. Eigentlich wollen sie da jetzt auch kein Fass aufmachen. | |
Doch es bleibt dabei: Sie halten diese Demo-Geschichte am Samstag für einen | |
Karnevalsumzug, eine Trockenübung - Terminfolklore, wie sie sonst ein paar | |
Übriggebliebene am 1. Mai zelebrieren. | |
„Da verkünden ein paar Initiativen freimütig, dass die Netzbewegung auf die | |
Straße geht, ohne vorher ordentlich mit der Netzbewegung zu reden“, sagt | |
einer. Es gehe dabei nicht immer um das, was politisch geboten sei, sondern | |
auch um das, was einige gerade gut gebrauchen könnten. Die Piratenpartei | |
zum Beispiel braucht Wählerstimmen. Und der Verein Digitalcourage zum | |
Beispiel Spendengelder. | |
## Was macht man mit den Parteien? | |
Der Grünenpolitiker Malte Spitz ist einer, der diese Konflikte kennt. Bei | |
der Erfolgsdemo 2009 waren die Piraten mit einem riesigen Truck | |
aufgefahren. In den letzten Wochen hatten viele Aktivisten Bedenken, dass | |
die Demonstration so kurz vor der Wahl zum Volksfest für Parteien wird, | |
dass Aktivisten nur Statisten sind. „Deswegen“, sagt Spitz, „gibt es in | |
diesem Jahr Spielregeln, die dann auch eingehalten werden.“ Was macht man | |
mit Parteien auf Demos? Das ist so der Standardkonflikt. Gelöst. Ein LKW, | |
7,5 Tonnen, 60 Meter. | |
In der jungen Bürgerrechtsbewegung ist das nicht alles. Da ist von | |
Alleinbeschlüssen und Eigeninteressen die Rede, vom Aktivenkongress in | |
Hattingen. Dort hatten ein paar Aktivisten im Mai miteinander beschlossen, | |
was diese Woche am Samstag passieren soll. Und andere fühlten sich | |
übergangen. Das hört sich nach Vereinsmeierei an und nach verletzten | |
Gefühlen. Aber eines stimmt auch: Es hapert praktisch daran, zwischen | |
wichtigen Akteuren der Netz- und der Bürgerrechtsbewegung eine gemeinsame | |
Ebene zu finden. | |
Digitalcourage ist ein einflussreicher Verein, der sich für | |
Informationsfreiheit und Datenschutz einsetzt. Früher hieß er Foebud - | |
„Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten | |
Datenverkehrs e. V.“. Weil das ein elendiger Name war, heißt der Verein | |
heute anders. In seinen Büroräumen laufen für die Demo am Wochenende die | |
Fäden zusammen. | |
Seit Wochen reißt dort in der Marktstraße 18, gleich in der Nähe des Walls, | |
der die Bielefelder Altstadt umgibt, die Nachfrage nicht ab. Es gibt dort | |
im Lagerbereich viele Accessoires, die derzeit gefragt sind. Der | |
„PrivacyDongle“ zum Beispiel, ein USB-Stick zum anonymen Surfen im Netz. | |
Die erste Auflage, 500 Stück, war rasch vergriffen. Was derzeit aber am | |
meisten verpackt wird: Protestplakate in DIN A4, Protestplakate in DIN A3, | |
Protestplakate in DIN A1. Außerdem: Bustickets nach Berlin. | |
## Es werden 10.000, sicher | |
16 Busse sind bislang gebucht. In Bielefeld fährt der Bus am Samstag um | |
5.30 Uhr los, in Heidelberg schon um 4 Uhr in der Früh. | |
Und für den Fall, dass jemand fragt, wie viele Demonstranten am Samstag | |
erwartet werden, gibt es im Bündnis eine offiziell beschlossene | |
Standardantwort. Egal wen man fragt, die Antwort lautet „10.000 plus“. Doch | |
hinter vorgehaltener Hand kommen schon einige ins Schwärmen. Mehrere | |
zehntausend könnten es werden, ein richtig großer Wurf. Andere sind da | |
deutlich skeptischer. | |
Am Dienstagabend ging aus Bielefeld noch rasch eine Mail raus, von | |
Padeluun, an den Chaos Computer Club. Padeluun ist der Große Vorsitzende in | |
Bielefeld. Er ist ein wichtiger, verdienter Datenschutzaktivist. Ob der | |
Chaos Computer Club nicht noch rasch den Aufruf unterzeichnen könne? Wie | |
sehe das denn sonst aus? | |
Natürlich gehen auch viele Aktivisten aus dem Chaos Computer Club am | |
Samstag auf die Straße. Aber viele sind auch genervt. Es gibt in E-Mails | |
einen Code, der die Stimmung dort beschreibt: *LOL*. | |
Und dann gab der Chaos Computer Club nach – [2][am Mittwoch veröffentlichte | |
er noch rasch einen eigenen Aufruf]. Wie sähe das denn sonst aus? Seitdem | |
ist er [3][auch beim Demo-Bündnis offiziell gelistet]. | |
Der Blogger und Netzaktivist Markus Beckedahl ist auch ein wichtiger Mann | |
in dieser jungen Bürgerrechtsbewegung. Er denkt viel über Strategien nach | |
und darüber, wie man Massen mobilisiert. Er hat in den letzten Wochen keine | |
Massen auf den Straßen gesehen. Er sagt: „Es gibt heute keine | |
Bürgerrechtsbewegung mehr, in der alle einer Meinung sind.“ Das ist, sagen | |
wir, diplomatisch ausgedrückt. | |
Das muss sicher nicht heißen, dass am Wochenende nicht Tausende, vielleicht | |
sogar Zehntausende kommen. Aber eines heißt es auch nicht: dass sie | |
bleiben. | |
5 Sep 2013 | |
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[1] http://blog.freiheitstattangst.de/ | |
[2] http://ccc.de/de/updates/2013/fsa2013 | |
[3] http://blog.freiheitstattangst.de/bundnispartner-2013/ | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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