# taz.de -- Debatte Rolle der Geheimdienste: Kirche des Terrors | |
> Nach Vergleichen mit der Stasi muss sich die NSA nun fragen lassen, ob | |
> sie sich für Gott hält. Wenn sie es tut, unterliegt sie einem | |
> Missverständnis. | |
Bild: Unvorhersehbar ist, wo der Blitz einschlägt. Das produziert Angst. | |
Wiederholt fragen Beobachterinnen, [1][wo die Empörung bleibe] im Angesicht | |
des größten internationalen Geheimdienstskandals seit dem Kalten Krieg. Was | |
wohl der Grund sei für die relative Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit | |
gegenüber der enthüllten totalen Überwachung sämtlicher elektronischer | |
Kommunikation – das würde man schon gerne wissen. | |
Dabei haben die nun bekannten, im wesentlichen technischen Maßnahmen zur | |
Sammlung und Auswertung von Daten einen viel zu abstrakten Charakter, um | |
als ernsthafte Bedrohung wahrgenommen zu werden. Es fehlt der Begriff für | |
das, was da im Namen unserer Sicherheit geschieht; ein Begriff der deutlich | |
macht, welch monströse Ausmaße der Apparat hat und welche Gefahren von ihm | |
ausgehen. | |
Um eine lethargische Öffentlichkeit vielleicht doch zum Nachdenken oder gar | |
zur Gegenwehr anzuregen, sind die Kritikerinnen der Überwachung nicht | |
zufällig auf der Suche nach griffigen, nachvollziehbaren Bildern. Dabei | |
bedienen sie sich möglichst universell verständlicher Symbole wie der Stasi | |
(literarischer: Big Brother) oder gehen kulturgeschichtlich gleich in die | |
Vollen und fragen, ob die NSA sich etwa für Gott halte ([2][so Frank Rieger | |
auf faz.net]). | |
Das ist eine naheliegende Frage. Von ihrer positiven Beantwortung könnte | |
die politische Zukunft der Geheimdienste abhängen. Wie [3][Günter Hack vom | |
ORF anmerkt], würde die Allmachtsvermutung ein völlig neues Problemfeld für | |
die Dienste eröffnen. So müssen sie sich fragen lassen, warum es trotz | |
ihrer Kontrolle über jede Bewegung, jede Information, denn überhaupt noch | |
Terror gibt. Jeder Anschlag würde die Gottheit der geheimen und | |
allmächtigen Wachtruppe des westlichen Friedens unglaubwürdiger werden | |
lassen. | |
## Die unvorhersehbare Katastrophe | |
Dass der Terror aber bleibt, und dass kein noch so mächtiger und | |
informierter Apparat jeden Anschlag verhindern kann, liegt in der Natur der | |
Sache. Der außergewöhnliche, gewalttätige Ausbruch ist so selten und | |
[4][statistisch so schwer zu fassen], dass er per Datensammlung vielleicht | |
in Einzelfällen, aber eben nicht als historisches Phänomen verhinderbar ist | |
– im Ereignisfall also auch den Geheimdienst überraschen muss. | |
Der Terroranschlag ist die im Zweifelsfalle unvorhersehbare Katastrophe, | |
wahrgenommen wie ein plötzliches Naturereignis. Er ist Verkörperung des | |
niemals letztgültig Fassbaren und in seiner Gewalt rational nicht | |
Erklärbaren: Der Terror ist die allmächtige Entität, nicht die Dienste. Der | |
Terror ist Gott, ihr Gott. | |
Die Geheimdienste sind, um im Bild zu bleiben, die Kirche des Terrors. Aus | |
ihm ziehen sie ihre Legitimation. Ihre Tempel und Klöster sind die | |
[5][gewaltigen Rechenzentren und die langen anonymen Bürokorridore]. Sie | |
haben ihre geheimen Orden, geheimen Regelwerke und eine geheim tagende | |
Inquisition. Ihre Orthodoxen sind die Pofallas und Friedrichs, [6][ihre | |
Häretiker die Snowdens und Mannings] und die unvermeidlichen zahllosen | |
Verschwörungstheoretiker. Ihr Heilsversprechen ist Sicherheit. | |
## Erstarrt in Gottesfurcht | |
Die Bevölkerung der westlichen Welt, deren vergleichsweise hoher Wohlstand | |
ihnen einen so zivil erscheinenden Alltag beschert, konstituiert die | |
Gemeinschaft der Gläubigen der Kirche des Terrors. Gottesfürchtig im | |
allerengsten Wortsinne erstarrt die Gemeinschaft vor der | |
Unbeschreiblichkeit der Bedrohung dieses Alltags durch den Terror. Und wem | |
will man schon verdenken, Angst vor brutaler physischer Gewalt zu haben, | |
wie unwahrscheinlich die direkte persönliche Betroffenheit auch sein mag. | |
Solange der Terror aber diese alles transzendierende quasireligiöse Furcht | |
auslöst, und das ist sein einziger Daseinszweck, solange wird seine Kirche | |
keiner ernsthaften Revision unterzogen werden können. Wer Geheimdienste | |
unter demokratischere Kontrolle stellen will, ohne ihren vorgeblichen Zweck | |
ernsthaft in Frage zu stellen, kann nur scheitern. | |
Den Glauben an den Terror zu brechen, ohne die Realität seiner Existenz zu | |
leugnen, dafür braucht es eine Begrifflichkeit. Seine Kirche mit ihren | |
Geheimgesetzen und -orden braucht derweil keine Reform, sondern eine | |
gesellschaftliche Aufklärung, die sie schließlich obsolet macht. Mit großer | |
Macht, geht nicht selten große Hybris einher. | |
Halten die NSA und vergleichbare Dienste sich also in stumpfer Verblendung | |
für Gott? Mag sein, die interessantere Frage jedoch ist, wofür wir die | |
Geheimdienste halten. | |
12 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] /Die-Zukunft-der-Netzbewegung/!123221/ | |
[2] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/ueberwachung/ueberwachungsaf… | |
[3] http://fm4.orf.at/stories/1724550/ | |
[4] /Hype-um-Big-Data/!119699/ | |
[5] /Die-Fotos-der-NSA-Zentrale/!119026/ | |
[6] /Verfolgung-der-NSA-Whistleblower/!121941/ | |
## AUTOREN | |
Daniél Kretschmar | |
## TAGS | |
NSA | |
Geheimdienst | |
Terrorismus | |
Schwerpunkt Überwachung | |
Bundestag | |
Schule | |
Michel Foucault | |
NSA | |
NSA | |
Edward Snowden | |
Netzbewegung | |
NSA | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Debatte U-Ausschuss zur NSA-Affäre: Der BND muss liefern | |
Der Bundestagsausschuss zum NSA-Skandal wird sich schwertun. Trotzdem lohnt | |
die Arbeit – für die Debatte im Inland. | |
Kommentar Facebook-Gesetz: Ein wenig albern | |
Facebook-Freundschaften zwischen Schülern und Lehrern sind per Gesetz | |
untersagt. Es scheint nicht mehr möglich, Dinge ohne das große, väterliche | |
Gesetz zu regeln. | |
Folgen der NSA-Enthüllungen: Am idealen Gefängnis bauen | |
Die Botschaft ist eindeutig: Die Geheimdienste wissen alles. Aber was folgt | |
daraus für die Überwachten – Durchschnittsbürger wie Terroristen? | |
Kommentar Brasilien und NSA: Konsequent-kalkulierte Empörung | |
Es ist ein diplomatischer Eklat. Brasiliens Präsidentin sagt ihren | |
USA-Besuch ab, weil Fragen zur NSA unbeantwortet blieben. Eine sehr | |
erfreuliche Entscheidung. | |
NSA räumt Missbrauch ein: Huch, Technik nicht verstanden | |
Der US-Geheimdienst NSA hat nach einer Klage Dokumente freigeben müssen, | |
die Verstöße gegen die Privatsphäre belegen. Die Behörde sagt, die Technik | |
sei Schuld daran. | |
Kommentar NSA und Verschlüsselung: Den Skandal für neues Netz nutzen | |
Der US-Geheimdienst NSA durchdringt die meisten Verschlüsselungsprogramme. | |
Kommt jetzt Schwung ins freie Internet? | |
Die Zukunft der Netzbewegung: Was tun! Aber was? | |
Snowdenleaks könnte für Internetaktivisten sein, was Tschernobyl für die | |
Atomkraftgegner war. Doch das Ziel ist zu abstrakt – und die Feinde auch. | |
Proteste gegen Überwachung: Ärger statt Angst | |
Snowden, Prism, NSA: Dutzende Initiativen rufen für Samstag zu Protesten | |
auf – ein Aufbruch der jungen Bürgerrechtsbewegung? Wohl kaum. |