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# taz.de -- Debatte Flüchtlingspolitik: Mit Drohnen gegen Menschen
> Die Staaten Europas schotten sich weiter ab. Mit dem Hightech-Grenzsystem
> Eurosur zur Flüchtlingsabwehr. Doch eine Festung ist nicht die Lösung.
Bild: Von einem Boot gerettete Flüchtlinge auf einem Schiff der italienischen …
Ungeachtet neuerlicher Schiffsunglücke wie dem vor Lampedusa im September
setzt die Europäische Union (EU) ihre gnadenlose Abwehr von Flüchtlingen
fort: Am 2. Dezember wird mit der Einführung des Europäischen
Grenzkontrollsystems (European Border Surveillance System, Eurosur) die
Technologisierung dieser Abwehr milliardenschwer verstärkt.
Mit Drohnen und hochauflösenden Kameras, Satellitensuchsystemen und
Offshore-Sensoren sollen Flüchtlingsboote auf dem Mittelmeer geortet
werden. Seenotrettung hingegen ist keine Kernaufgabe dieses Systems, auch
wenn europäische Politiker dies vielfach so darstellen. Man mag, wie die
schwedische EU-Kommissarin Cecilia Malmstroem oder auch deutsche
Europaparlamentarier darauf hoffen, dass die Lebensrettung auf dem
Mittelmeer zu einem Nebeneffekt des koordinierten Datenaustauschs wird,
geregelt ist sie nicht.
Europas Innenminister schalten auf stur und sehen auch angesichts neuer
Todesfälle und nachgewiesener Rechtsverletzungen durch einige
Mitgliedstaaten keinen Bedarf für eine den europäischen Grundwerten
folgende Politik.
Für die in Brüssel nun technokratisch erarbeiteten hochkomplexen
technologischen Systeme der Abschottung wurden Hard- und Software liefernde
Konzerne und die längst in der Kritik stehende Grenzschutzagentur Frontex
herangezogen.
Hightech-Aufrüstung im Sinne der „Festung Europa“ ist eine zynische
Reaktion auf die im Wesentlichen humanitäre Krise, bei der Jahr für Jahr
Tausende Flüchtlinge und Migranten im Mittelmeer ihr Leben verlieren.
Somalier, Eritreer, Sudanesen, sie alle suchen Schutz in Europa.
## Die wenigsten schaffen es
Aus der sudanesischen Krisenregion Darfur flohen 2013 laut UN Angaben etwa
300.000 Menschen. Nur die allerwenigsten von ihnen gelangen nach
Nordafrika, um den illegalen Weg nach Europa zu suchen.
Auch die aus dem Bürgerkrieg in Syrien Flüchtenden – 2,3 Millionen hat das
UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR bislang registriert – finden Aufnahme in den
Anrainerstaaten Libanon, Jordanien und Türkei. Die wenigsten von ihnen
schaffen es auf eine der griechischen Inseln oder nach Lampedusa. Manche
wurden in ihren Booten auf das offene Meer zurückgedrängt und verdursteten
oder ertranken.
Derweil arbeitet man bei der Neuregelung von Frontex-Einsätzen bei der EU
gerade daran, die illegalen „push-backs“, also die Zurückdrängung von
Booten, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGFH) im Fall
Hirsi noch 2012 verurteilt wurde, mit ebendiesem Urteil zu harmonisieren,
vermutlich um die Praxis fortführen zu können.
Aber auch über die „pull-back“-Möglichkeiten hat man schon nachgedacht: M…
der durch Eurosur möglich gemachten technologisch ausgefeilten Überwachung
des Seeraumes sollen zukünftig im Rahmen von Kooperationsabkommen
Drittstaaten über entdeckte Flüchtlingsboote vor ihren Küsten informiert
werden. Die Drittstaaten sollen dann die Boote frühzeitig und bevor
europäische Gewässer erreicht werden abfangen.
Das erste Kooperationsabkommen im Rahmen von Eurosur wird derzeit
ausgerechnet mit Libyen ausgearbeitet, das weder die Genfer
Flüchtlingskonvention unterzeichnet hat noch den Flüchtlingen Schutz
bietet.
## Keine humanitären Visa
Alternativen zur Abschottung gibt es. So fordern Bürgerrechtsbewegungen
rund um das italienische Netzwerk „Melting Pot Europe“ die Einrichtung
eines humanitären Korridors. Der soll es Flüchtlingen ermöglichen,
Asylanträge bei den europäischen Institutionen etwa in Nordafrika zu
stellen und so eine gefahrlose Einreise in die EU anzutreten.
Auch wenn der Vorschlag das Risiko beinhaltet, neue Begehrlichkeiten zu
wecken und Asylverfahren gleich ganz in Drittstaaten abwickeln zu lassen,
ist er diskussionswürdig. Das UN-Flüchtlingshilfswerk fordert für
Kriegsflüchtlinge humanitäre Visa, die an den Auslandsvertretungen der EU
oder der Mitgliedstaaten erteilt werden. Auch dies ist eine nach EU-Recht
mögliche, aber bislang von den Mitgliedstaaten nicht praktizierte
Möglichkeit, damit Flüchtlinge sich nicht länger an Schlepper wenden müssen
für eine potenziell tödliche Überfahrt über das Mittelmeer.
## Militarisierung der Grenzen
In Brüssel bleiben solche Vorschläge ungehört. Man verweist auf die
voranschreitenden Verbesserungen europaweiter Asylstandards. Die sind
bislang von den Mitgliedstaaten recht unterschiedlich behandelt worden; vor
allem aber betreffen die Regelungen nur die, die es lebend geschafft haben
nach Europa. Die EU-Richtlinien wurden in der Tat überarbeitet – allerdings
unter der strikten Maßgabe, dass die Neuregelungen nicht mehr kosten als
die bisherigen und auch nicht zu einer relativen Ausweitung der Asylanträge
führen.
Das innereuropäische Problem heißt „Dublin“. Mit dem gleichnamigen
Übereinkommen von 1990 wurde das Grundprinzip festgelegt, das denjenigen
EU-Mitgliedstaat für die Prüfung eines Asylantrags zuständig erklärt, in
dem sich der Schutzsuchende zuerst aufhielt. Ein Land wie Deutschland, das
über keine Außengrenzen verfügt, ist damit aus dem Schneider und blockiert
daher eine Neuregelung der europäischen Flüchtlingspolitik.
Und statt Flüchtlinge aufzunehmen aus den Mitgliedsländern, die überlastet
sind, lehnt die Bundesregierung im Schulterschluss mit anderen europäischen
Regierungen eine Neuregelung der Dublin-Verordnung im Europäischen Rat
vehement ab. Flüchtlinge und Migranten sollen auch in Zukunft in dem
EU-Land bleiben, in dem sie ankommen. Auch hier blieben und bleiben
zahlreiche Vorschläge für eine gerechtere Verteilung durch Quoten und
Ausgleichsfonds ungehört.
Man muss über Alternativen zur jetzigen Politik nachdenken – immer im
Bewusstsein, dass es keine zufriedenstellenden Lösungen gibt. Die Festung
Europa ist keine Lösung. Aber weil die Mitgliedstaaten die eigentliche
Herausforderung, europäische Flüchtlingspolitik neu zu gestalten, nicht
annehmen, rüsten sie an den Außengrenzen mit Drohnen auf.
2 Dec 2013
## AUTOREN
Kirstin Maas-Albert
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