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# taz.de -- Sozialleistungen für EU-Bürger: Wenn Deutsche das Ausland belasten
> Wie wird der EuGH über Hartz IV für Rumänen und Bulgaren entscheiden? Ein
> Urteil zu einem in Österreich lebenden Rentner gibt Hinweise.
Bild: Immer für einen flotten Spruch gut: Sitzungssaal des EuGH.
KARLSRUHE taz | Seit Wochen diskutiert Deutschland über Armutszuwanderung
aus Rumänien und Bulgarien. Die CSU will Sozialleistungen für EU-Bürger
einschränken und so die Anreize, nach Deutschland zu kommen, reduzieren.
Auf EU-Recht nimmt die CSU dabei keine Rücksicht. Die Diskussion auf
juristischer Ebene geht eher in die andere Richtung. Dort sind bereits
bestehende deutsche Leistungsausschlüsse für EU-Bürger umstritten.
Derzeit schließt das deutsche Sozialgesetzbuch II zwar ausdrücklich aus,
dass arbeitssuchende EU-Bürger Hartz IV erhalten. Das Landessozialgericht
von Nordrhein-Westfalen hat diese Ausschlussklauel Ende November jedoch für
EU-rechtswidrig erklärt. Das Urteil ist allerdings noch nicht
rechtskräftig. In einem anderen Fall hat das Bundessozialgericht Mitte
Dezember den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um Klärung gebeten. Doch wie
wird dieser entscheiden?
Hinweise gibt ein Urteil des EuGH aus dem September 2013 (Az.: C-140/12),
das in Deutschland kaum bekannt ist. Der Fall betrifft nämlich nicht die
drohende Überlastung des deutschen Sozialsystems durch EU-Ausländer,
sondern umgekehrt die drohende Überlastung des österreichischen
Sozialsystems durch in die Alpenrepublik eingewanderte Deutsche.
Konkret ging es um den deutschen Rentner Peter B., der 2011 mit seiner
Ehefrau nach Österreich zog. B. bezieht aus Deutschland eine kleine
Erwerbsminderungsrente. In Österreich beantragte er zusätzlich die dortige
Ausgleichszulage, mit der unzureichende Renten auf das Existenzminimum
aufgestockt werden. Die österreichischen Behörden verweigerten B. jedoch
die Ausgleichszulage. Er habe gar kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht in
Österreich, weil er nicht über ausreichende Mittel verfüge, um seinen
Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Die Behörden beriefen sich dabei auf
eine entsprechende Klausel im österreichischen Niederlassungs- und
Aufenthaltsgesetz.
## Begriff der „Sozialhilfe “weit ausgelegt
Der EuGH beanstandete die österreichische Klausel. Die dortigen Gerichte
müssten vielmehr prüfen, ob die Gewährung der Leistung im konkreten Fall
das Sozialsystem „unangemessen“ belastet. Auf dieses Urteil berief sich das
NRW-Landessozialgericht: Hartz IV dürfe für arbeitssuchende EU-Bürger nicht
automatisch und ohne Ausnahme ausgeschlossen werden.
Tatsächlich bringt das EuGH-Urteil mehrere wichtige Hinweise für die
deutsche Debatte. So misst der EuGH den Fall nicht an der „EU-Verordnung
zur Koordinierung der Systeme sozialer Sicherheit“, die in der Regel eine
strikte Gleichbehandlung der EU-Bürger bei Sozialleistungen fordert.
Maßstab sei vielmehr die Unionsbürger-Richtlinie, die ausdrücklich
vorsieht, dass EU-Bürgern in bestimmten Konstellationen „Sozialhilfe“
verweigert werden kann.
Der Begriff der „Sozialhilfe“ wird zudem weit ausgelegt. Auch die
österreichische Ausgleichszulage für Rentner wird deshalb als „Sozialhilfe�…
eingestuft. Dies spricht dafür, dass der EuGH auch deutsche Hartz
IV-Leistungen als „Sozialhilfe“ im Sinne des EU-Rechts werten wird.
Andererseits betont der EuGH auch eine Pflicht zur „finanziellen
Solidarität“ der Aufnahmestaaten, vor allem, wenn die Bedürftigkeit des
EU-Bürgers „nur vorübergehender Natur“ ist. Ein „automatischer Ausschlu…
der wirtschaftlich nicht aktiven Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten“
von der Sozialhilfe sei deshalb unzulässig. Die Schlussfolgerung des
Essener Landessozialgerichts, dass die deutsche Ausschlussklausel wegen
ihres Automatismus ebenfalls unzulässig sein müsste, ist daher gut
nachvollziehbar.
Möglicherweise ist der EuGH bei Hartz IV sogar noch bürgerfreundlicher,
weil „arbeitssuchende“ EU-Bürger ja noch wirtschaftlich aktiv sein wollen
und deshalb nach EU-Logik stärkeren Schutz im Aufnahmestaat benötigen als
Rentner.
9 Jan 2014
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
EuGH
Hartz IV
Sozialhilfe
Armutsmigration
Rumänien
Zuwanderung
EU-Ausländer
Hartz IV
Arbeitsmarkt
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EU-Freizügigkeit
CSU
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