# taz.de -- Debatte Mali: Deutsche im „Musterland“ | |
> In Mali gibt es jetzt jede Menge Soldaten, aber keine Sicherheit. Die | |
> Deutschen profitieren dort allein davon, keine Franzosen zu sein. | |
Bild: Bundeswehrsoldaten bilden in Mali Pioniere für die Armee aus. | |
Hat eine Lüge 40 Jahre lang überlebt, dann ist sie als Wahrheit zu | |
betrachten. Das war eine Regel im mittelalterlichen Mali-Reich. Bei uns | |
geht das schneller. Lassen wir das hässliche Wort Lüge beiseite, sagen wir: | |
Eine unbewiesene Annahme wird zur unbezweifelbaren Gewissheit, wenn sie in | |
den repetitiven Sprechblasen von Politik und Medien Heimat gefunden hat. | |
Auf diese Weise wurde Mali früher einmal zur Modell-Demokratie ausgerufen; | |
neuerdings gab es dort eine Modell-Intervention, fix, sauber, erfolgreich. | |
Je weniger man über ein Land weiß, desto plausibler erscheint die Annahme: | |
Soldaten werden die Dinge richten; mehr Soldaten richten mehr. (Und warum | |
sollen Deutsche nicht dabei sein?) | |
Ein paar Worte also zunächst über die Lage in Nordmali, ein Jahr nach | |
Beginn der französischen Intervention. Aus einem Bericht des | |
UN-Generalsekretärs vom 2. Januar: Die Sicherheitsbedingungen hätten sich | |
unlängst „beträchtlich verschlechtert“, anhaltende Sprengstoffattentate | |
seien der Beweis, „dass sich die terroristischen und andere Gruppen | |
reorganisiert haben und dass sie von Neuem in der Lage sind, Operationen | |
durchzuführen“. Ähnlich fällt die Lagebeurteilung des französischen Chefs | |
der taktischen Operationen in der Stadt Gao aus: Seit einem Jahr seien die | |
großen dschihadistischen Gruppen von der Bildfläche verschwunden, um sich | |
in kleinere Einheiten umzuwandeln. | |
Selbstmordattentate, zuvor in Mali unbekannt, richten sich nun gegen | |
Checkpoints, Streitkräfte oder militärisch genutzte Gebäude. Im Dezember | |
entdeckten die Franzosen ein gewaltiges Lager mit fünf Tonnen | |
Ammoniumnitrat zur Sprengstoffherstellung; kurz zuvor fanden sie in der | |
Wüste ein Trainingslager, das eben noch benutzt worden war. | |
## Der Terror im Norden nimmt zu | |
Gewiss: Die Intervention hat die Zivilbevölkerung vom Druck eines | |
islamistischen Sittenterrors befreit. Doch ist an dessen Stelle ein | |
Viel-Fronten-Szenario getreten. Weil sich die Franzosen der Tuareg-Miliz | |
MNLA als Gehilfen gegen die Dschihadisten bedienten, werden bekannte | |
MNLA-Leute nun von al-Qaida-nahen Kräften liquidiert. Die | |
Tuareg-Sezessionisten nehmen das zum Anlass, eine Kasernierung ihrer | |
Kombattanten zu verweigern, die in einem vorläufigen Friedensabkommen mit | |
der malischen Regierung vereinbart worden war. | |
Diesen nicht funktionierenden Friedensprozess sollen wiederum die Blauhelme | |
der UN-Mission Minusma überwachen. Von denen sind erst 5.400 Mann | |
eingetroffen, doppelt so viele waren vorgesehen. Die vorhandenen Truppen | |
sind viel damit beschäftigt, ihre eigene Sicherheit zu organisieren und auf | |
fehlende Ausrüstung zu warten. | |
Wegen der anhaltenden Unsicherheit verweigern viele Staatsdiener trotz | |
finanzieller Anreize die Rückkehr auf ihre Posten im Norden. Da ist es kaum | |
verwunderlich, dass auch die meisten Flüchtlinge – etwa 400.000 – bisher | |
nicht heimgekehrt sind; von ihnen leben rund 160.000 in Lagern der | |
Nachbarländer. | |
Die Tuareg in diesen Lagern haben berechtigterweise Angst vor | |
Ressentiments, die sich in Mali durch die französische Begünstigungspolitik | |
gegenüber der Tuareg-Miliz verstärkt haben. Es handelt sich hier also um | |
einen hochkomplexen, verschlungenen Prozess, in dem ausländische Soldaten | |
zwar kurzfristig Erleichterung bewirken können, aber zugleich neue Probleme | |
schaffen – und alte verschärfen. | |
## Die neuen Probleme der Tuareg | |
Warum das so ist, kann man im Fall Mali leicht benennen: Eine Intervention | |
ist kein Akt von Solidarität ohne politische Interessen. Und selbst wenn es | |
so wäre, ist der Beitrag des Militärischen zur Lösung komplexer Probleme | |
sehr begrenzt. Zum Ersteren: Frankreich hatte vor der Intervention bereits | |
eine Mitschuld an der Eskalation und am Zusammenbruch des Staates in | |
Nordmali. Denn die Tuareg-Miliz MNLA wurde vom früheren Präsidenten Sarkozy | |
aus geostrategischem Kalkül ermuntert, Nordmali einzunehmen – sie tat dies | |
dann mit Plünderungen und Vergewaltigungen. | |
Vor wenigen Tagen sagte ein ehemals hochrangiger MNLA-Mann in einem | |
Aufsehen erregenden Interview: „Frankreich hat uns grünes Licht gegeben für | |
die Unabhängigkeit Azawads.“ Hama Ag Mahmoud war vor seiner Abkehr von der | |
MNLA der Quasi-Außenminister im einseitig proklamierten Separatstaat | |
Azawad. Er blickt zugleich auf eine Karriere im malischen Staat zurück, wo | |
er Minister und Chef der Handelskammer war. Kurz: Das ist nicht irgendwer. | |
Was der Tuareg-Senior sagt, ist von Enttäuschung gefärbt, weil Paris die | |
MNLA zwischenzeitlich fallen ließ. Aber er hat in einem entscheidenden | |
Punkt recht: Das Primat des Militärischen macht die Bevölkerung zum | |
Statisten. Der Krieg gegen die Dschihadisten sei politisch und nur an der | |
Basis zu gewinnen, sagt Hama Ag Mahmoud. „Ohne die volle und umfassende | |
Mitarbeit der Bevölkerungen wird alles völlig ineffektiv bleiben.“ | |
Durch sein Taktieren in der Tuareg-Frage hat Frankreich in jüngster Zeit in | |
Mali Misstrauen, teils sogar Feindseligkeit auf sich gezogen. Gerade jetzt | |
in Mali die deutsch-französische Militärfreundschaft befruchten zu wollen, | |
ist eine Idee, die von wenig Kenntnis des Milieus beschwert ist. | |
## Bevölkerung wird zum Statisten | |
Die Deutschen profitieren in Mali davon, keine Franzosen zu sein: Nicht so | |
arrogant, nicht so verschlagen, nicht auf Rohstoffe erpicht – und dass sie | |
kein Französisch sprechen, unterstreicht ihre Harmlosigkeit, so die Sicht | |
der malischen Straße. | |
Die Zeit, da auf diesen Straßen „Papa Hollande“ gerufen wurde, ist zum | |
Glück vorbei. Ein Versuch des neuen malischen Präsidenten, ohne jegliche | |
Information der Öffentlichkeit einen Militärpakt mit Frankreich zu | |
schließen, stieß zumindest bei politisch gebildeten Maliern auf heftige | |
Kritik. | |
Eines der protestierenden Bündnisse wird von einem jungen Anwalt angeführt, | |
dem Sohn des Justizministers. Ein anderer Kritiker, der für sein Engagement | |
bekannte Ökonom Abdoulaye Niang, sagte: Keine afrikanische Nation, die | |
Verantwortung für sich selbst übernehme, könne heutzutage einen bilateralen | |
Vertrag mit Frankreich schließen. | |
2 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Charlotte Wiedemann | |
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