# taz.de -- Zuwanderung in die Schweiz: Der Staat profitiert von Migranten | |
> Viele Eidgenossen fürchten, dass ihnen Zuwanderer die Arbeitsplätze | |
> wegnehmen. Eine echte Konkurrenz um Jobs gibt es aber nur im Tessin. | |
Bild: Bahnhof Konstanz: Mancher Pendler fährt von hier täglich ins 1,5 Stunde… | |
GENF taz | Die Ausländer vor allem aus der EU nehmen den Schweizern die | |
Arbeitsplätze weg, belasten die Wirtschaft, die Sozialkassen – und sogar | |
die Infrastruktur. Mit diesen Behauptungen gewann die Schweizer Volkspartei | |
(SVP) am Sonntag mit hauchdünner Mehrheit die Abstimmung über die | |
„Initiative Gegen Masseneinwanderung“. Zumindest bezogen auf die | |
Gesamtschweiz und ihre Volkswirtschaft sind diese Behauptungen | |
wissenschaftlich längst widerlegt. | |
„Wir konnten nachweisen, dass der Schweizer Staat stärker als jedes andere | |
westliche Land von der Zuwanderung profitiert hat“, erklärt Thomas Liebig, | |
Mitautor einer im Januar veröffentlichten Studie der Organisation für | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über die Auswirkung | |
des freien Personenverkehrs auf die Arbeitsmärkte in Europa und den USA. | |
Würden alle Kosten für Verwaltung, Sozialwerke oder Infrastruktur, die die | |
Zuwanderer verursachten, ihren Leistungen in Form von Steuern und Abgaben | |
gegenübergestellt, bleiben laut Liebig unter dem Stich mindestens 6,5 | |
Milliarden Franken pro Jahr für den Schweizer Staat. | |
Laut der aktuellen Statistik des Bundesamts für Migration in Bern lebten im | |
November 2013 knapp 1,9 Millionen Ausländer in der Schweiz – rund 23,5 | |
Prozent der Gesamtbevölkerung. Nach Inkrafttreten der Personenfreizügigkeit | |
mit der EU kamen insgesamt rund 383.000 Neuzuwanderer in die Schweiz, wobei | |
die jährliche Zahl von zunächst 157.000 im Jahr 2008 auf rund 66.000 im | |
Jahr 2013 sank. | |
## Größte Gruppe sind die Deutschen | |
Interessant ist die soziale Zusammensetzung der Zuwanderer: Rund 18 Prozent | |
waren hochqualifizierte Fachkräfte, 23 Prozent waren Angehörige geringer | |
qualifizierter Berufe (Bau, Gaststättengewerbe, Müllabfuhr), und 13 Prozent | |
waren Studenten und Auszubildende. 35 Prozent sind Familienangehörige. | |
Größte Zuwanderergruppe waren bislang die Deutschen,die mit inzwischen | |
284.200 Personen das zweitgrößte Ausländerkontingent in der Schweiz stellen | |
nach den Italienern (291.000) und vor den Portugiesen (237.000) und | |
Franzosen (104.000). | |
Die deutschen Zuwanderer fanden ausschließlich Arbeit in Branchen, für die | |
es keine Schweizer Fachkräfte mehr gab – darunter in Krankenhäusern, | |
Schulen, Universitäten, im Nahverkehr, in der Werkzeugindustrie und in | |
Pfarrstellen in der Reformierten Kirche. | |
Der Grund dafür ist: In der Schweiz wurde über viele Jahre am Bedarf dieser | |
Branchen vorbei ausgebildet. Daher stellen diese Deutschen in der Schweiz | |
keine Arbeitsplatzkonkurrenz für die Eidgenossen dar. | |
Die in der Schweiz lebenden Italiener und Portugiesen sind zum größten Teil | |
nicht erst in den letzten Jahren zugezogen, sondern sind die Nachkommen der | |
„Saisoniers“ – der ersten „Gastarbeiter“-Generation aus den 1960er Ja… | |
## Pendler aus Italien im Tessin | |
Die mit 68 Prozent größte Zustimmung für die SVP-Initiative im | |
italienischsprachigen Kanton Tessin ist eine Abwehrreaktion gegen die rund | |
60.000 Grenzpendler aus Italien, die täglich zur Arbeit ins Tessin kommen. | |
Darunter zum Beispiel vollausgebildete Juristen von norditalienischen | |
Universitäten, die sich mangels Beschäftigungsaussichten im eigenen Land in | |
Tessiner Anwaltskanzleien als SekretärInnen verdingen und dort tatsächlich | |
eine Arbeitsplatzkonkurrenz zu den Schweizern sind. | |
Die überwiegende Mehrheit der in der frankophonen Westschweiz lebenden | |
110.000 Franzosen sowie der täglich rund 70.000 Grenzgänger aus Frankreich | |
vor allem im Großraum Genf haben ebenfalls überwiegend Arbeit in Branchen | |
wie der Uhrenindustrie, für die es nicht genug Schweizer Fachkräfte gibt. | |
Die Zahl der laut Statistik „nicht oder wenig qualifizierten“ Arbeitskräfte | |
aus Rumänien, Bulgarien und anderen osteuropäischen EU-Staaten ist | |
verschwindend gering. Sie verrichten ähnlich wie Ausländer aus Asien oder | |
Afrika Arbeiten – zum Beispiel in der Pflege, bei der Müllabfuhr oder auf | |
dem Bau –, für die sich die meisten Schweizer längst zu fein sind. | |
12 Feb 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Zumach | |
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