| # taz.de -- Wie man Raubfische zu Vegetariern macht: Auch Fische bekommen Durch… | |
| > Jeder zweite Fisch, den wir essen, kommt aus der Aquakultur. Vor allem | |
| > die „landgestützte“ Fischhaltung in Becken und Tanks wächst rasant. | |
| Bild: Fischzuchtanlage im Po-Delta an der Adria. | |
| BERLIN taz | Wie impft man junge Lachse? Die zwei Finger langen Jungfische | |
| landen zuerst im Betäubungsbad. Narkotisiert und fast reglos, werden sie | |
| angesaugt und über faustdicke Schläuche zur Impfmaschine transportiert, wo | |
| sie, immer zwei auf einmal, im Sekundentakt den Pieks erhalten, der sie vor | |
| sechs typischen Lachskrankheiten schützt. | |
| Fische impfen geht vollautomatisch wie Kekse eintüten. Mit den Impfungen | |
| ging der Antibiotika-Einsatz der Lachsindustrie stark zurück. Gegen den | |
| Befall durch Fischläuse gibt es allerdings keinen Impfschutz. Noch immer | |
| sind aufwändige Medikamentenbäder notwendig, um die Parasiten | |
| abzuschütteln. | |
| Das Impfen der Lachse ist längst Routine. Ganz aktuell sind dagegen die | |
| Versuche, den Lachs und andere Raubfische wie Forellen, Wolfsbarsche oder | |
| Doraden noch stärker zu Vegetariern zu machen. Die Fütterung in | |
| Aquakulturen gehört zu den Schlüsselfaktoren, was Nachhaltigkeit angeht. | |
| Solange unter dem Strich ein Proteinverlust steht, weil an die Raubfische | |
| mehr Fisch verfüttert als am Ende geerntet wird, so lange stellt sich die | |
| Frage, ob Aquakulturen wirklich zukunftsfähig sind. | |
| Etwa ein Drittel der Zuchtfische weltweit kommt ganz ohne Zufütterung aus. | |
| Ein gutes Beispiel dafür ist der in Teichen gehaltene Karpfen, der sich von | |
| Plankton und am Grund lebenden Kleinlebewesen wie Insektenlarven, Schnecken | |
| und Würmern ernährt. Dagegen brauchen Raubfische eine intensive Versorgung | |
| mit Fischprotein. | |
| Die besten norwegischen Lachsfarmen verbrauchen derzeit 1,8 Kilogramm Fisch | |
| aus dem Meer, um ein Kilogramm Lachs zu erzeugen. Beim Mästen junger | |
| Thunfische werden bis zu 20 Kilogramm Wildfisch verbraucht. Vor 50 Jahren | |
| erhielten die Raubfische in den Netzkäfigen der Aquakultur durch den | |
| Fleischwolf gedrehte Fische, die zu Kügelchen geformt waren. Heute werden | |
| spezielle Futterpellets hergestellt, die Gase enthalten, damit sie im | |
| Wasser langsamer sinken, um den Fischen mehr Zeit zum Fressen zu geben und | |
| die Futterverluste zu reduzieren. | |
| Carsten Schulz, Leiter der Gesellschaft für Marine Aquakultur, berichtete | |
| jetzt bei einer Tagung in Loccum von seinen Versuchen, Fischmehl im Futter | |
| durch Proteinkonzentrate aus Raps zu ersetzen. Der Rapsanbau für die | |
| Agrodieselproduktion liefert große Mengen Rapsschrot, aus denen Eiweiß | |
| gewonnen wird. Mithilfe der Pflanzenproteine könne der Fischmehleinsatz für | |
| Lachse und Forellen auf 3 bis 8 Prozent der Futtermasse reduziert werden, | |
| rechnete der Kieler Wissenschaftler vor. | |
| Weil die Tiere das Pflanzenfutter aber schlecht vertragen – auch Fische | |
| bekommen Durchfall –, muss das Protein aufwändig isoliert und mit | |
| Aminosäuren gemixt werden. Zusätzliches Problem: Die Pflanzenkost schmeckt | |
| den Fischen nicht, sie nehmen nicht schnell genug zu. Da soll der Einsatz | |
| der Miesmuschel als Geschmacksträger helfen, wie Schulz berichtet. Derart | |
| aromatisierte Kost wird von den Fischen besser akzeptiert. Mit steigenden | |
| Preisen für Fischmehl wird die teure Pflanzenkost zunehmend attraktiver. | |
| Auch Soja, Erbsen, Bohnen oder Mais werden inzwischen unters Fischfutter | |
| gemischt – nicht nur Proteine, auch Pflanzenfette. | |
| ## Speisefisch oder Fischmehl | |
| Dass die Raubfische der marinen Aquakultur in direkter Nahrungskonkurrenz | |
| zu den Küstenbewohnern vieler Entwicklungsländer stehen, macht Francisco | |
| Mari, Fischreferent von Brot für die Welt deutlich. In vielen | |
| Entwicklungsländern, sagt Mari, werde der Fang geteilt: Die Edelfische | |
| würden in die reichen Industrieländer exportiert, der heimischen | |
| Bevölkerung blieben nur die als minderwertig angesehenen Schwarmfische. Die | |
| werden auch gern gegessen. Doch gleichzeitig werden sie in großen Mengen zu | |
| Fischmehl verarbeitet. Große Frage: Wer wird künftig die kleinen | |
| Schwarmfische verspeisen – die Küstenbewohner oder die norwegischen Lachse? | |
| Derzeit bleibt für die heimische Bevölkerung etwa ein Fünftel der Beute | |
| übrig. Mit steigendem Fischmehlpreis wird der Kuchen neu verteilt. | |
| Lachse und andere Fische haben in den küstennahen Netzkäfigen der | |
| Aquakultur noch ein relativ natürliches Zuhause. Doch der Trend geht zur | |
| „landgestützten“ Fischerzeugung in sogenannten geschlossenen | |
| Kreislaufanlagen. Fische werden in Becken und Tanks gehalten wie im | |
| Aquarium. Doch Wasserpflanzen, Steine oder kiesigen Grund sucht man | |
| vergebens. Das Habitat konzentriert sich auf die nackte Trias von Beton, | |
| Wasser, Fisch. Manchmal werden auch Stahl oder Hartplastik als Material | |
| verwendet. Effizienz und Technik bestimmen die intensive Haltungsform, das | |
| Tierwohl bemisst sich einzig an der Gewichtszunahme der Fische. | |
| Die spektakulärste Anlage dieser Art befindet sich in Völklingen: Eine | |
| große geschlossene Halle mit vier Wasserbecken. Ein Gewusel aus Rohren, | |
| dazu schmale Stege, kühle Betonwände. Die Halle wirkt wie eine | |
| gespenstische Kreuzung aus Schwimmbad und Ölraffinerie. Wir befinden uns, | |
| per Computeranimation, in der Fischzuchtanlage Völklingen-Fürstenhausen, | |
| 600 Kilometer von der Küste entfernt. | |
| ## Betonhalle statt Nordsee | |
| Auf dem Gelände einer ehemaligen Kokerei werden Meeresfische im | |
| industriellen Maßstab erzeugt: Doraden, Störe, Wolfsbarsche und | |
| Yellowtail-Kingfische schwimmen in den Becken. Die angepeilte | |
| Jahresproduktion: 800.000 Kilo Fisch. Seit Jahresmitte 2012 ist die | |
| Großanlage in Betrieb, an Ostern werden die ersten Fische „geerntet“. Sieht | |
| so die Zukunft der Fischerzeugung aus? Aquakultur mit einem gewaltigen | |
| technischen und energetischen Aufwand? Betonhalle statt Nordsee? | |
| Die Intensivhaltung in Becken und Tanks nimmt rasant zu. Beispiel | |
| Niedersachsen. Von 2002 bis 2012 hat sich die Zahl der Betriebe mit | |
| geschlossenen Kreislaufanlagen verdoppelt, ihr Ertrag vervierfacht. | |
| Gleichzeitig geht die nachhaltigste und fischfreundlichste Form der | |
| Aquakultur den Bach runter: die traditionelle Teichwirtschaft. Die oft noch | |
| von Klöstern angelegten Teiche sind seit Jahrhunderten verlässliche | |
| Lieferanten für Süßwasserfische. Aber immer mehr Teichwirtschaften werden | |
| aufgegeben. Die Besitzer finden keinen Nachfolger, sie sind den Kampf gegen | |
| den Kormoran leid und den Streit mit den Wasserbehörden, sie wollen nicht | |
| auf ewig an ihren Teich gebunden sein. Und es fehlt ihnen die Wertschätzung | |
| der Gesellschaft. | |
| Dabei haben gerade die Teichwirtschaften, wie Bernhard Feneis, Präsident | |
| der deutschen Binnenfischer, unterstreicht, eine überragende Bedeutung. | |
| Feneis wird richtig grantig, wenn er den Niedergang einer Branche | |
| beschreibt, die alle positiven Eigenschaften vereint. Die Teiche passen | |
| sich ideal in die Landschaft ein, sie bieten als Feuchtgebiete wertvolle | |
| ökologische Rückzugsräume, die Fische haben einen fast natürlichen | |
| Lebensraum und kommen oft ohne Fütterung und Fischmehl aus. | |
| ## Gedeckter Tisch für Fischräuber | |
| Wichtiger Grund für die Resignation vieler Fischwirte ist der Kormoran. | |
| Netzbespannungen zur Abwehr der Fischräuber sind bei großen Teichen zu | |
| teuer und zu aufwändig. Bleibt nur der Schießbefehl. Doch selbst das | |
| behördlich erlaubte Töten der Vögel bringt keine Entlastung, wenn ganze | |
| Schwärme die Teiche leerfressen. Feneis: „200 Kormorane pro Teich sind | |
| normal.“ | |
| Ein ganz anderes Fischhabitat hat Bela Buck vom Alfred-Wegener-Institut in | |
| Bremerhaven im Auge. Der Wissenschaftler erforscht Offshore-Anlagen für | |
| Aquakultur in Windparks auf See. Buck will Windkraft und Aquakultur | |
| verkuppeln, weil die Mühlen ohnehin ständig von Schiffen angelaufen und vom | |
| Betreiberpersonal gewartet werden. Da könnte die Aquakultur gleich mit | |
| betreut werden. | |
| Probleme machen die hohen Wellen und Windgeschwindigkeiten und die | |
| kräftigen Strömungen. Die Netzkäfige für die Fische müssten deshalb in | |
| größerer Tiefe verankert werden. Buck will sie zwischen den dreibeinigen | |
| Fundamenten – den Tripots – installieren, auf denen die Windkraftanlagen | |
| stehen. Kühne Pläne. Doch auch ohne Offshore-Anlagen steht eines fest: Die | |
| Aquakultur bleibt der am stärksten wachsende Zweig der | |
| Nahrungsmittelindustrie. | |
| 22 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
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