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# taz.de -- Zu wenige Fische im Bodensee: Das Wasser ist zu sauber
> Fischer am Bodensee schlagen Alarm: Sie können kaum noch von ihrer Arbeit
> leben. Zu wenig Nährstoffe lassen die Tiere hungern.
Bild: Fischer auf dem Bodensee: In den Netzen sind weniger Felchen
Seit Jahren sinkt die Zahl der Fische am Bodensee. Der See ist zu sauber
und damit auch arm an Nährstoffen, die den Fischen als Futter dienen. Weil
die Fische dadurch langsamer wachsen, haben die Fischer ein massives
Problem bekommen. Gerade der Bodenseefelchen ist in der Region ein
beliebter Speisefisch für Besucher und Touristen. Die Erträge werden aber
immer geringer.
In den 80er Jahren lag der Felchenertrag bei noch etwa 10 Tonnen pro
Berufsfischer, 2015 waren es nur 1,3 Tonnen. „Das ist das schlechteste
Ergebnis seit den Aufzeichnungen um 1910“, sagt Roland Stohr, Vorstand der
Bayerischen Bodenseeberufsfischer. Das liege daran, dass der Bodensee als
Europas größter Trinkwasserspeicher seit Mitte der 60er Jahre die höchsten
Reinigungsvorschriften in ganz Europa hat. Davor war der See durch Abwässer
total verschmutzt, dann hat die Gewässerschutzkommission ein multilaterales
Abkommen beschlossen und die Reinigungsleistung der Kläranlagen verbessert.
Mit der Einführung der dritten Klärstufe gelangen kaum mehr Dünger oder
Fäkalien in den See, und somit fehlen Nährstoffe für Pflanzen und in
weiterer Folge für die Fische. Das Ergebnis: Die Fischer können heute kaum
noch von der Fischerei leben, sagt Stohr. Der Bodenseefelchen, der im
Restaurant auf dem Teller landet, ist meist also nicht mehr aus dem
Bodensee, sondern muss aus Kanada oder dem Baltikum oder von anderen Seen
importiert werden.
Seit Jahren beschäftigen sich Fischereiverbände, Naturschützer, die
örtliche Politik und Forscher mit der Zukunft des Fischertrags. Wie die
perfekte Lösung aussieht, darüber sind sich die jeweiligen Parteien aber
immer noch uneinig.
Zwei Wissenschaftler haben mit dem Abschluss eines fünfjährigen
Aquakultur-Forschungsprojektes in Kooperation mit der Fischbrutanstalt in
Langenargen die Diskussion neu entfacht. Jan Baer und Alexander Brinker
gehen auf Grundlage der Forschungsergebnisse davon aus, dass man
insbesondere den Sandfelchen in Gehegen im Bodensee zu Speisefisch
heranzüchten kann.
## Bisher nur als Test
Bisher wurde das Aquakulturprojekt nur an Land getestet. Am Bodensee würde
die Umsetzung so aussehen: Zuerst würden Jungfische in einem Bruthaus an
Land produziert werden. Mit einem Gewicht von 15 bis 20 Gramm würden diese
dann ins Netzgehege im Bodensee ausgesetzt werden. Die Felchen würden im
See in zehn Netzgehegen mit einem Umfang von 60 Metern und einer Tiefe von
20 Metern binnen zwei bis drei Jahren zu Speisefisch herangezüchtet werden.
Da Felchen gegen die entscheidenden Krankheiten geimpft werden können,
werde das Risiko eines Krankheitsausbruches stark minimiert, sagt Brinker.
Antibiotika sollen jedoch nicht zum Einsatz kommen. Die Gehege könnten
jährlich 500 Tonnen Fisch generieren. Die Nachfrage nach Felchen in der
Touristensaison könnte so ohne Flugtransporte und damit umweltschonender
gedeckt werden, sagt Brinker. Das Vorhaben würde ersten Abschätzungen
zufolge 1,5 Millionen Euro kosten.
Die zweite Alternative wäre der Bau einer Fischzuchtanlage an Land, diese
würde allerdings eine Fläche von 2.500 Quadratmetern benötigen und ihr
Aufbau schon 6,5 Millionen Euro kosten, schätzen die Wissenschaftler. Die
Forscher favorisieren aufgrund der hohen Ausgaben an Land die
Netzgehegeanlage im See. Das Vorbildmodell für die Felchenzucht im See sei
Finnland, sagt Brinker, dort habe sich seit Jahren eine Felchenzucht in
Seen etabliert. Für die Aufzucht im Bodensee müssten die
Bodenseerichtlinien angepasst werden, und die Politik müsste die
entscheidenden Weichen stellen, sagt Baer.
## Reinigungsleistung heruntersetzen
Über ein Genossenschaftsmodell in den Händen der Fischerei könnte die
Felchenzucht den Berufsfischern als Ganzes nutzen, sagt Brinker. Die
Fischer würden dann Fischzüchter einstellen und selber weiterhin fischen.
Die Meinungen der Fischer sind aber gespalten.
Die Touristen wollen einen Fisch aus dem Bodensee, nicht aus Aquakultur“,
sagt Stohr. „Seit 2013 kämpfen wir dafür, dass die Reinigungsleistung der
Kläranlagen in der dritten Klärstufe nicht mehr so intensiv betrieben wird
und so auf ganz natürliche Art und Weise mehr Nährstoffe in den See
gelangen“, sagt der Berufsfischer.
Das sei im Vergleich zu dem Aquakulturprojekt auch die viel einfachere und
auch günstigere Alternative. Stohr glaubt, dass sich das Aquakulturprojekt,
egal ob im Wasser oder an Land, zu einem „dauerhaften Subventionsbetrieb“
entwickeln könnte.
## Produkte aus der Region
Der Berufsfischer Martin Meichle hingegen hat sich mit anderen Fischern,
Züchtern und Fischverarbeitern zusammengeschlossen, um zu prüfen, ob sich
ein Genossenschaftsmodell für die Felchenzucht im See rentieren würde. „Das
ist derzeit unsere einzige Möglichkeit, mehr Erträge zu erwirtschaften“,
sagt Meichle. Seine Vision: Der Wildfelchen soll als teures Premiumprodukt
verkauft werden, die Zuchtanlagen können die Gastronomie und den
Einzelhandel bedienen. „So würden wir wenigstens die Regionalität der
Produkte sicherstellen“, sagt Meichle.
Der Vorschlag der Berufsfischer, den Nährstoffgehalt über die Kläranlagen
zu steuern, wurde im Sommer von Baden-Württembergs Agrarminister Peter Hauk
(CDU) abgelehnt. Laut dpa streiten sich Hauk und der
FDP-Landtagsabgeordnete Klaus Hoher. Hauk setzt auf Aquakulturen, während
Hoher den Vorschlag der Fischer unterstützt.
Jochen Goedecke, Referent für Landwirtschaft und Naturschutz beim
Naturschutzbund (Nabu), findet beide Vorschläge problematisch. „Die
Kläranlagen so einzustellen, dass wieder mehr Phosphat in den See kommt,
wäre ein Schritt zurück“, sagt Goedecke. Aquakulturen im Bodensee könne er
sich aber aufgrund vieler Risiken auch nicht vorstellen.
Die Aufzucht der Felchen an Land wäre eine bessere Alternative, so
Goedecke: „Die Aquakultur im geführten Kreislaufsystem hätte deutliche
Vorteile. Beispielsweise wäre der See bei einer Verbreitung von
Krankheitserregern nicht betroffen.“ Im geschlossenen System könne man eben
leichter kontrollieren, was passiert. Außerdem komme bei Aquakulturen an
Land nichts in den Trinkwasserspeicher. Für die bereits gezüchteten
Jungtiere gäbe es ebenso keine große Umstellung, wenn sie aus einem Bottich
in einen anderen gegeben werden. Am See hingegen gäbe es eine andere
Wasserstruktur, da müsste sich der Fisch erst umstellen.
Wenn die Aquakultur bei uns stattfinden würde, dann gäbe es kurze
Transportwege, und vor allem hätten wir die Kontrolle über die Qualität,
und das über die gesamte Produktionskette hinweg.
27 Dec 2016
## AUTOREN
Manuela Tomic
## TAGS
Bodensee
Aquakultur
Döner
Ökologie
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