# taz.de -- Sabina Grillo übers See-Besitzen: „Da kommt dann mal ein Reh vor… | |
> Sabina Grillo, bis vor kurzem Eigentümerin des Itzstedter Sees bei | |
> Hamburg, verkaufte aus privaten Gründen. Will aber unbedingt wieder am | |
> Wasser wohnen | |
Bild: Meditativer Ort: Itzstedter See, leicht umwölkt | |
taz: Frau Grillo, wie fühlt es sich an, einen See zu besitzen? | |
Sabina Grillo: Das ist für mich nichts Besonderes. Ich habe ihn ja schon | |
mein Leben lang vor der Tür, er ist immer in Familienbesitz gewesen. | |
Haben Sie Ihr ganzes Leben am Itzstedter See verbracht? | |
Nein. Als Kind habe ich da gewohnt, bin als junge Frau weggezogen und | |
später wiedergekommen. Insgesamt habe ich vielleicht 40 Jahre am See | |
gewohnt. | |
Hätten Sie eine andere Grundstimmung ohne ihn? | |
Es ist ja nicht nur der See. Ich wohne ja nicht nur am Wasser, sondern habe | |
drum herum noch mal fünf Hektar Wald und Feld und Biotop und keine | |
Nachbarn. Es ist diese komplette Drumrum, es ist das | |
Mitten-in-der-Natur-Sein, das mir so gefällt. | |
Klingt schlimm einsam. | |
Es ist nicht schlimm. Es sind einfach 500, 600 Meter bis zum nächsten Haus. | |
Und einen Kilometer zum Bus, der an den HVV angebunden ist. Das ist hier | |
wie eine kleine Insel, aber trotzdem dicht an allem. Ich bin in 25 Minuten | |
am Hamburger Flughafen. | |
Und Sie fühlen sich nie allein? | |
Nein, es gibt ja die Tiere. Da kommt dann mal ein Reh vorbei oder ein | |
Eichhörnchen … | |
Oder Fische. | |
Ja, da habe ich alles, was in so ein Naturgewässer reingehört: Aal, Zander, | |
Hecht, Barsch, Rotaugen, Rochen, Karpfen. Die wurden allerdings | |
nachträglich eingesetzt. Die wachsen jetzt einfach groß. | |
Angeln Sie die? | |
Nein, aber ich lasse Freunde angeln. Ich esse auch gern Fisch, aber nur, | |
wenn er fertig zubereitet ist. | |
Haben Sie bestimmte Rituale, Zeiten, wo Sie zum See gehen? | |
Die brauche ich nicht. Ich schaue ja direkt von meinem Kaffeetisch auf den | |
See. Natürlich geh’ ich oft auf die Terrasse und schau ein paar Stunden auf | |
den See. Aber das sind keine festen Zeiten, und ich wandere nicht jeden Tag | |
einmal um den See. | |
Schwimmen Sie, fahren Boot? | |
Ab und zu gehe ich rudern. Und schwimmen – das mache ich fast nie, denn das | |
könnte ich ja täglich. Was man immer haben kann, ist nicht mehr | |
interessant. | |
Haben Sie den See etwa satt? | |
Nein, ich genieße ihn. Aber er ist auch ein bisschen selbstverständlich | |
geworden. | |
Haben Sie eine persönliche Beziehung zum See? Fragen sich morgens, welche | |
Laune hat er heute, welche Farbe? | |
Ja, ich gucke, wie ist das Wetter und habe schon ungefähr tausend | |
Sonnenuntergänge fotografiert. Ich gucke, sind die Wildgänse da, sind die | |
Schwäne zu Besuch. Oder ich sitze auf dem Steg und beobachte die Fische. Es | |
ist spannend zu sehen, wie Barsche einen Kreis bauen und die Rückenflosse | |
aufstellen, um sich vor großen Fischen zu schützen. | |
Beobachten Sie auch Vögel? | |
Ja, aber nicht so intensiv wie meine Eltern. Sie hatten auf dem | |
Frühstückstisch ein gelbes Vogelbuch liegen und notierten genau, wann sie | |
wen gesehen hatten. Ich weiß da nicht so gut Bescheid, aber | |
außergewöhnliche Vögel erkenne ich schon: wenn der Bussard kommt, der | |
Fischreiher, der Specht oder mal ein Eisvogel. Und wenn die Waldohreule in | |
der Nahe ist, höre ich das. Und natürlich die Schwalben. Die gehören dazu. | |
Seit Generationen? | |
Ja, sie kommen jedes Jahr und haben in der Garage ihren Platz. Solange ich | |
denken kann, werden die Autos dann abgedeckt, damit die Schwalben nicht | |
aufs Auto machen. Die Vögel haben Vorrang. Mit diesem Respekt den Tieren | |
gegenüber bin ich aufgewachsen. | |
Noch mehr Tiere, die am oder im Haus wohnen? | |
Nicht mehr. Ich hatte Hunde, Katzen, Gänse. Aber Tiere, die im Haus leben, | |
sind von mir abhängig, und die Verantwortung möchte ich nicht mehr tragen. | |
Damals war es toll für Kinder. Die Freunde meines Sohnes aus dem | |
Kindergarten sind heute um die 30 und sagen, wir haben hier eine schöne | |
Kindheit gehabt. | |
Wie war Ihre Kindheit am See? | |
Ich bin geschwommen, Ruderboot gefahren und sowas alles. Da fand der Sommer | |
auf dem Wasser statt. Ich bin auch eine Zeitlang surfen gegangen, aber das | |
hat andere Surfer angezogen, und ich kann mir ja nicht aufs Segel schreiben | |
„Das ist mein See“. Also haben wir das nicht mehr gemacht. | |
Sie haben den See kürzlich verkauft. Fehlt Ihnen jetzt etwas? | |
Nein. Ich habe einen netten Käufer gesucht, der genauso naturbezogen ist | |
wie ich und sich freut, wenn er einen Specht hört. Mein Sohn ist tödlich | |
verunglückt vor 13 Jahren, und nach mir kommt niemand mehr. Der Unfall war | |
dicht an unserem Dorf, und um diese Jahreszeit kommen immer die Bilder von | |
der Unfallnacht hoch und laufen als Dauerkino in meinem Kopf. Das möchte | |
ich nicht mehr. | |
Außerdem macht so ein Grundstück viel Arbeit. | |
Ja. Ich lebe allein, und als ich mich von meinem Mann trennte, hat jeder | |
gesagt, ich schaffe das nie mit dem Garten. Da war dann dieser Elan: „Ich | |
werde es allen zeigen.“ Nun hab ich 20 Jahre lang gezeigt, dass ich das | |
kann. Das reicht. | |
Werden Sie trotzdem wieder ans Wasser ziehen? | |
Auf jeden Fall! Und auch nicht ans Meer, sondern an ein ruhiges | |
Binnengewässer, irgendwo zwischen Lübeck, Eckernförde, Bad Segeberg und | |
Plön. Wo ich reine Luft atmen und den Sternenhimmel sehen kann. | |
Kaufen Sie sich dann einen neuen See? | |
Auf keinen Fall. Ich setze mich irgendwo ans Gewässer und freue mich, dass | |
sich andere darum kümmern. | |
A propos: Im Itzstedter See wurde kürzlich eine Phosphatfällung gemacht. | |
Warum? | |
Wenn zu viel Düngung in den See kommt – von Feldern, Creme der 30.000 | |
Sommergäste der Badeanstalt gegenüber und vom Laub: Dann bilden sich Algen, | |
die den Fischen die Luft wegnehmen. Die Phosphatfällung war nötig, weil es | |
ein Fischsterben gab. | |
Wie oft muss man so eine Phosphatfällung machen? | |
Das weiß ich nicht genau, es war das erste Mal. Man könnte vielleicht den | |
Badebetrieb reduzieren und eine Naturbadeanstalt daraus machen ohne | |
Internet-Auftritt, sodass sie nur noch Leute aus der näheren Umgebung | |
anzieht. Dann erübrigt sich das vielleicht. Aber das ist nur ein Gefühl, | |
ich bin keine Biologin. Vielleicht haben auch die Angler dazu beigetragen, | |
die wir dort jahrelang hatten. | |
Warum eigentlich? | |
Meine Eltern haben seinerzeit den Angelverein mit reingeholt, weil sie | |
dachten, Angler wären eine gute Unterstützung, wenn im Sommer die | |
Schlauchboote und Luftmatratzen kommen – damit man die nicht immer allein | |
vom Gewässer pfeift. Sie haben nicht bedacht, dass auch ein Angelverein in | |
den natürlichen Kreislauf eingreift und die Fische reinsetzt, die er angeln | |
möchte. Seit sechs Jahren habe ich keinen Angelverein; vielleicht | |
regeneriert sich das jetzt. Als mein Großvater da allein oder mit Freunden | |
angelte, gab es diese Probleme nicht. | |
Und warum hat Ihr Großvater den See 1956 gekauft? | |
Er wohnte in Hamburg und hat sechs Tage die Woche gearbeitet, mit vielen | |
Menschen um sich herum. Sein einziger Ausgleich, seine einzige Entspannung | |
war Angeln. Dafür brauchte er einen Platz, wo er seine Ruhe hatte. Und | |
alleine angeln kann man nur am eigenen See. | |
Aber so ein See ist nicht billig. | |
Das war ja in der Nachkriegszeit. Mein Großvater hat angefangen mit der | |
Vertretung für den Tonfilm, hatte dann Hamburg, Hannover, Bremen, | |
Neumünster verschiedene Filmtheater, so hieß das damals. Die liefen gut, | |
die Leute sind alle ins Kino gegangen, denn die Konkurrenz durch das | |
Fernsehen kam ja erst in den 1960er-Jahren. | |
Hat Ihr eigener Beruf mit Wasser zu tun? | |
Nein. Ich bin Immobilienkauffrau und oft auf Veranstaltungen, weil ich | |
Menschen um mich brauche. Ich brauche Trubel, aber auch einen Rückzugsort. | |
Wo ich nichts höre und sehe außer dem Zwitschern der Vögel. | |
3 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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