# taz.de -- Die unsichtbare Gefahr: Kopf, Stein, Pflaster | |
> In Preetz ist die Stimmung zwischen Jugendlichen und Polizei schlecht, | |
> die Kleinstadt galt als „gefährlicher Ort“. Wie konnte es dazu kommen? | |
Bild: Jugendliche betrachten das wilde Treiben auf dem Preetzer Markt. | |
PREETZ ta |z | In einem roten Klinkerbau in Preetz bei Plön, zwischen | |
Fachwerk und Langeweile, sitzt ein Mann im blauen Sakko und kämpft. Gegen | |
die Schlagzeilen, gegen die Sorge seiner BürgerInnen, gegen die Hitze, | |
gegen den üblen Ruf seiner Stadt. Björn Demmin, der Bürgermeister von | |
Preetz, redet seit einer halben Stunde. „Meine Aufgabe ist es, den Ruf | |
wiederherzustellen. Den Ruf, der völlig zu unrecht beschädigt wurde!“ | |
Demmins Wangen glühen, der Stecker mit dem Stadtwappen hängt schief am | |
Revers. Alles werde aufgebauscht, schimpft er. „Wir sind eine normale | |
Kleinstadt mit den Problemen einer normalen Kleinstadt!“ In Hamburg oder | |
Berlin würden alle mit den Achseln zucken, aber hier, in Preetz, sei alles | |
ein Riesending. | |
Demmin meint die Schlagzeilen. „Randale“ stand da über Preetz: „Jugendli… | |
greifen Polizeistation an“, „Wie die Stadt zum gefährlichen Ort wurde“ �… | |
und: „Das war der pure Hass“. In der Nacht im April, als die Wache | |
angegriffen wurde, fiel ein Schuss. | |
Was zur Hölle ist los in Preetz? | |
Vom Bahnhof geht man zu Fuß drei Minuten ins Zentrum. Nirgends liegt | |
Hundescheiße, auf den Gehwegen wächst Moos. In der Straßenrinne plätschert | |
ein Bach. Eine Frau rattert mit dem Rad übers Pflaster, hält am Bordstein, | |
steigt ab und huscht ohne Seitenblick über die Straße. Ihr Rad sperrt sie | |
nicht ab. | |
Am Marktplatz sitzen Rentner in der Sonne, im Brunnen spielt barfuß ein | |
Mädchen. Als sie einen Hund entdeckt, tapst sie aus dem Brunnen. „Zieh dir | |
Schuhe an!“, ruft ihre Mutter von einer Parkbank, „hier ist es dreckig, | |
überall Kippen und Scherben!“ Grimmig schaut sie rüber zum Sky-Supermarkt: | |
Dort stehen sieben Jugendliche und klirren mit Bierflaschen. | |
350 Meter entfernt schüttelt Bürgermeister Demmin in seinem Büro lange den | |
Kopf. „Wir haben das Phänomen, dass fünf bis zehn faule Äpfel im Korb gro�… | |
Stimmung verursachen.“ | |
## Züge im 30-Minutentakt | |
Er ist seit 2015 Bürgermeister von Preetz. 16.000 Einwohner, Züge im | |
30-Minutentakt nach Kiel, Kopfsteinpflaster, Fußgängerzone. „Gemischte | |
Sozialstruktur“, sagt Demmin, „von wohlhabend bis arm, alles dabei.“ | |
Eigentlich sei hier nichts los. | |
Preetz hat also gar kein Problem? „Wir haben eine Vorgeschichte. Die | |
Reizschwelle liegt tief: Fällt der Name Preetz, stürzen sich die Medien | |
drauf.“ Klar, wenn Steine auf Polizisten flögen, sei das „schlimm“. Aber: | |
„Schlagzeilen hat es nur gegeben, weil über Preetz immer wieder berichtet | |
wurde.“ | |
Fast ein Jahr lang galt der Marktplatz seiner Stadt als „gefährlicher Ort“. | |
Ein Begriff aus der Polizeisprache, der dem Bürgermeister von Anfang an | |
missfiel. Er sprach lieber von einem „Bereich, der unter besonderer | |
Beobachtung steht“. | |
„Gefährlicher Ort“, das heißt: Die Polizei darf hier ohne den konkreten | |
Verdacht einer Straftat kontrollieren. Für manche Anwohner hieß | |
„gefährlicher Ort“: Wir sind hier nicht mehr sicher. In ganz | |
Schleswig-Holstein gibt es laut Innenministerium zehn dieser Orte. | |
Im Herbst 2017 gab es zwei Vorfälle in Preetz: zunächst brach ein | |
Jugendlicher einem Polizist die Gesichtsknochen, kurz darauf wurde ein | |
19-jähriges Mädchen mit einem Schlagring verletzt – die Polizei antwortete | |
mit massiven Kontrollen und forderte 25 Männer und Frauen zur Verstärkung | |
an. Eine Woche lang standen jeden Tag Streifenwagen am Marktplatz, pro | |
Nacht waren bis zu 30 Beamte im Einsatz. Es gab Platzverweise und Anzeigen: | |
Beleidigung, Ruhestörung, Widerstand, Verstoß gegen das | |
Betäubungsmittelgesetz, Sachbeschädigung und Körperverletzung. | |
Demmin saß in einem dänischen Ferienhaus, als ihn die Nachricht der | |
Eskalation erreichte. Die Heimatzeitung bat um eine Stellungsnahme. Im | |
Internet las er die Schlagzeilen. „Ich dachte, jetzt ziehen marodierende | |
Jugendliche durch die Stadt, zünden Mülltonnen an und reißen die | |
Polizeistation ein.“ Was wirklich passiert war? Der Bürgermeister sagt: „Da | |
fragen Sie am besten die Polizei.“ | |
Die erscheint zum vereinbarten Gesprächstermin auf der Wache mit vier Mann: | |
Der Vize-Chef aus Kiel, der Chef aus Plön, der Vize-Chef aus Preetz und ein | |
Pressesprecher. Sie tragen Uniform und sagen: „Preetz hat kein Problem.“ | |
Die Polizei sieht kein Problem, wenn Steine auf Polizisten fliegen? Ralph | |
Herzfeld, Preetzer Vize-Chef, sagt: „Ja, doch. Stimmt.“ Sein Vorgesetzter | |
aus Plön, Michael Martins, schaltet sich ein: „Der harte Kern aus fünf bis | |
sechs Jugendlichen trifft sich regelmäßig am Markt und begeht Straftaten, | |
dazu kommen vielleicht 25 Mitläufer.“ | |
## Die subjektive Sicherheit | |
Der Chef aus Kiel schaltet sich ein, Frank Matthiesen: „Das subjektive | |
Sicherheitsgefühl war beeinträchtigt. Die Leute hatten Angst im | |
öffentlichen Raum.“ Der Pressesprecher sagt: „Ich bin ein sehr kritischer | |
Geist und finde nicht alles gut, was die Polizei macht.“ | |
Im vergangenen April hob die Polizei die Einstufung als „gefährlichen Ort“ | |
wieder auf. War das massive Instrument notwendig? „Aus unserer Sicht | |
absolut. Die Polizei musste Stärke zeigen“, sagt Martins. „Klar, dass der | |
Begriff manche Bürger verunsichert hat.“ | |
Was war los in der Nacht der fliegenden Steine? Sechs Jugendliche hatten | |
von Montag auf Dienstag am Marktplatz Pappaufsteller umgetreten und | |
randaliert. Die Polizei verteilte Platzverweise, die Jugendlichen blieben. | |
Also brachten die Beamten einen Randalierer in den Gewahrsam nach Kiel, den | |
anderen nahmen sie mit auf die Preetzer Wache, dort sollten seine Eltern | |
ihn abholen. | |
Um 23 Uhr brüllte jemand vor der Wache: „Kommt raus, ihr Scheißbullen!“ u… | |
trat gegen die Tür. Die Beamten riefen Verstärkung. Als zwei Polizisten vor | |
die Tür traten, flogen Steine, ein abgebrochener Ziegelstein schlug knapp | |
über dem Kopf einer Polizistin ein. Die Täter flüchteten. | |
Einen 17-Jährigen nahm die Polizei kurz darauf fest. Mehrere Wagen | |
verfolgten den anderen Jugendlichen. In der Nähe des Bahnhofs rannte er | |
einem Streifenwagen vor die Scheinwerfer. Dann fiel ein Schuss. | |
Polizeichef Matthiesen aus Kiel erklärt: Ein Kollege sei aus dem Wagen | |
gestiegen und habe beim Aussteigen das Kabel des Funkgeräts im Türrahmen | |
ausgerissen. Er habe einen „Signalschuss“ abgegeben – um den Kollegen sei… | |
Position mitzuteilen. Er habe „definitiv“ auf niemanden geschossen. „Und | |
ein Signalschuss ist rechtlich ungefähr so wie“ – Matthiesen klatscht in | |
die Hände – „wie in die Hände klatschen: Hier bin ich.“ | |
„Das wurde alles hochgeschaukelt“, sagt Rüdiger Wiese, „von den Medien u… | |
der Polizei.“ Wiese arbeitet seit 15 Jahren als Streetworker im Ort. | |
Wiese, wirres weißes Haar und sanfte Augen, lehnt lächelnd in der Werkstatt | |
des Preetzer Jugendhauses und hebelt mit einem Holzlineal zischend den | |
Kronkorken einer Cola-Flasche auf. | |
Als in Preetz die Steine flogen, saß er in Schweden im Ferienhaus. | |
Er sagt, die Polizei stelle die Jugendlichen in Preetz an den Pranger. | |
„Wenn die Rennleitung mal einen der Jungs filzt und ein halbes Gramm | |
findet, feiern die sich weg. Das ist ein Witz.“ Wenn Wiese die Polizei | |
meint, sagt er konsequent „Rennleitung“. | |
Polizei ist gleich Feind: So würden die Jungs hier denken, sagt Wiese. „Die | |
haben den Respekt nicht mehr. Da ist die Polizei aber nicht ganz unschuldig | |
dran, die haben 17-Jährige behandelt wie Schwerverbrecher.“ | |
Irgendwann hätten die Jugendlichen sich ein Spiel draus gemacht. „Jedes | |
Mal, wenn die Rennleitung vorgefahren ist, haben sich die Jungs | |
zusammengerottet und böse geschaut, klar, auch mal provoziert, aber doch | |
nichts Schlimmes.“ | |
Viele seiner „Kunden“, so nennt Wiese die Jugendlichen, kommen aus kaputten | |
Familien. Einheimische und Menschen ausländischer Herkunft, die oft die | |
Schule schwänzen und irgendwann ohne Abschluss auf dem Markt abhängen. „Mal | |
klaut einer ne Flasche Korn, mal gibt’s ne kleine Körperverletzung, mehr | |
nicht.“ | |
Früher sei Preetz eine Drogenhochburg gewesen. „Heute ist das | |
Kindergarten.“ Die Stadt hat trotzdem eine zweite Streetworker-Stelle | |
geschaffen. | |
Wiese will jetzt mal bei seinen „Kunden“ vorbeischauen, runter zum Markt. | |
Um den Brunnen stehen zehn junge Männer, rauchen, reden, trinken Bier. Als | |
sie Wieses Auto bemerken, lachen sie und rufen: „Rudi, wo ist unser Bier?“ | |
Er steigt aus und gibt allen die Hand, die Jüngeren umarmt er. Nach ein | |
paar Minuten werden die Jungs gesprächig. Die Polizei behandele sie wie | |
Schwerverbrecher, sagen sie, stelle sie an die Wand wie Drogendealer, | |
kontrolliere sie mehrmals am Tag. | |
Es gebe mehrere Gangs hier: „die Deutschen“, „die Kanaks“ und „die | |
Flüchtlinge“. Untereinander gäbe es keinen Stress. Nur die Polizei mache | |
immer Stress. „Wir wollen in Ruhe hier sitzen, wir tun niemandem weh. Wo | |
sollen wir sonst unser Bier trinken?“, sagt einer der Jungs. | |
Letzten Winter gab es ein Krisengespräch im Rathaus. Bürgermeister Demmin | |
hatte 20 Jungs und Mädchen eingeladen. Er bot ihnen einen Treffpunkt zum | |
Abhängen an: das „Haus am Sandberg“. Streetworker Rüdiger Wiese sollte | |
alles beaufsichtigen. Die Jugendlichen arbeiteten selbst die Hausordnung | |
aus, die härter war, als Wiese es gedacht hätte. | |
Seit Februar gilt das Angebot – bis heute wartet Rüdiger Wiese auf seinen | |
ersten Kunden. | |
## Die Lage ist undurchsichtig | |
Die Jungs am Markt sagen: „Was sollen wir da? Trinken unter staatlicher | |
Aufsicht? Nee, danke.“ Die Lage in Preetz ist undurchsichtig: Die Attacke | |
auf den Polizisten im Herbst? Verübt von einem Jugendlichen aus Kiel. Das | |
verletzte Mädchen auf dem Jahrmarkt? Ein 16-Jähriger aus Plön. Mehrere | |
Straftaten gehen aber auf das Konto der Jugendlichen aus Preetz. | |
Die beiden Tatverdächtigen des Angriffs auf die Wache sollen schnell | |
bestraft werden, da sind sich Wiese, die Polizei und der Bürgermeister | |
einig. Bürgermeister Demmin sagt: „Da ist ein Denkzettel fällig!“ | |
Donnerstagabend, 16 Uhr. Am Marktplatz ist es ruhig, Rüdiger Wieses Kunden | |
trinken anderswo. Dafür kreischen und tanzen am Bahnhof 15 Frauen mit | |
schwarzen T-Shirts um eine Blondine im pinken Top, Plastikbecher in der | |
Hand, leere Sektpullen, Krönchen im Haar. Aus billigen Musikboxen scheppert | |
Schlager. Ein Junggesellinnenabschied auf dem Weg in die nächste Stadt. | |
Weit weg von Preetz. | |
9 May 2018 | |
## AUTOREN | |
Tobias Scharnagl | |
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