# taz.de -- Warme Seen im Norden: Vom Eis befreit und voller Blüten | |
> In nördlichen Breiten werden die Binnengewässer immer wärmer. Das ist | |
> kein Grund zur Freude, sondern ein Indiz für den Klimawandel. | |
Bild: Zum Baden der Wahnsinn: der Stechlinsee im Nordwesten Brandenburgs | |
BERLIN taz | Im Zuge des Klimawandels haben sich die Binnenseen der Welt | |
rapide erwärmt. Das geht aus einer [1][Studie] einer internationalen | |
Forschungsgemeinschaft hervor, die das Fachmagazin der American Geophysical | |
Union veröffentlicht hat. Überdurchschnittlich betroffen sind die | |
nördlichen Breitengrade bis hinunter nach Deutschland. | |
Damit steigt nach Einschätzung der WissenschaftlerInnen die | |
Wahrscheinlichkeit von Algenblüten, Fischsterben und vermehrten | |
Methanemissionen weltweit. Und das wiederum habe Folgen für Land- und | |
Fischereiwirtschaft, Industrie und Tourismus. Bei sinkenden Wasserspiegeln | |
drohe zudem Trinkwasserknappheit. | |
Mehr als 70 WissenschaftlerInnen aus 20 Ländern haben für die Studie | |
zusammengearbeitet. Dieser globale Kontext habe sich erst durch die | |
Zusammenarbeit mit Freunden bei der Nasa ergeben, sagt der Gewässerkundler | |
John Lenters von der Beratungsgesellschaft LimnoTech in Michigan. Er | |
erforscht die Great Lakes im Mittleren Westen der USA und gilt als | |
Initiator der internationalen Kooperation. | |
Satelliten erlauben den Überblick, erfassen aber nur Oberflächen größerer | |
Seen, Messungen vor Ort liefern Temperaturprofile für jede Art See“ – | |
beides kombiniert ergebe „das Beste zweier Welten“. Institutionen aus aller | |
Welt und immer mehr ForscherInnen hätten sich angeschlossen. Aus einer | |
Grassroots-Initiative wurde die Global Lake Temperature Collaboration. | |
## Abkühlung durch Gletscherwasser | |
Den Daten zufolge gab es zwischen 1985 und 2009 im Sommer einen mittleren | |
Anstieg von fast einem Grad. Das ist deutlich mehr als in der Atmosphäre | |
und den Ozeanen. Zum Vergleich: Die Luft hat sich seit etwa 1850 um 1 Grad | |
Celsius erwärmt. Die Aufheizung der Seen fällt regional unterschiedlich und | |
in nördlichen Breiten extremer aus als in Äquatornähe. | |
Allerdings habe die Variationsvielfalt auch innerhalb geschlossener | |
Regionen die beteiligten ForscherInnen überrascht, sagt Lenters. Die | |
Zusammenhänge seien nicht immer eindeutig: Schrumpfende Wolkendecken | |
führten zu mehr Sonneneinstrahlung. Der Einfluss von Wasserfläche und | |
-tiefe, Gelände- und Windverhältnissen variiere aber. So habe sich der | |
flache Eriesee seit 1985 kaum, der tiefe Lake Superior jedoch um fast 3 | |
Grad erwärmt. Einzelne Seen hätten sich gar abgekühlt. Das könne an | |
wachsenden Zuflüssen von schmelzenden Gletschern liegen – beispielsweise in | |
Tibet. | |
## Ein bis zwei Grad mehr in deutschen Seen | |
Die Seen in Deutschland haben sich in den letzten 25 Jahren im Durchschnitt | |
um 1 bis etwas über 2 Grad erwärmt. Aber auch hier gibt es Unterschiede. So | |
sei die Sommertemperatur am Stechlinsee in Brandenburg heute wieder auf dem | |
Vorwendestand, sagt Mark Gessner, Hydrobiologe am Leibnizinstitut für | |
Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB Berlin) am Stechlinsee. „Wir | |
beobachten hier eine stärkere Durchmischung des Wassers und erhöhte | |
Sauerstoffzufuhr. Das kann die Artenzusammensetzung völlig verändern.“ | |
Der Berliner Müggelsee dagegen wird weniger durchmischt, ihm fehlt es an | |
Sauerstoff. Aus dem Bodensediment würden Nährstoffe frei, die den See | |
„düngen“, sagt Rita Adrian, Leiterin der Abteilung Ökosystemforschung am | |
IGB. Das fördere Algenblüten und der Erholungswert für Badende vermindere | |
sich. | |
Cyanobakterien (früher als Blaualgen bezeichnet) sind in den letzten 30 | |
Jahren durch den Ausbau von Kläranlagen, verringerten Düngereinsatz und | |
phosphatfreie Waschmittel zurückgegangen, sagt ein Artikel des Instituts | |
von 2008. Für Menschen und Wasserorganismen bestehe nur bei ihrem | |
massenhaften Auftreten ein Gesundheitsrisiko, aber im Zuge des Klimawandels | |
könnten sie sich im Müggelsee wieder zunehmend heimisch fühlen. | |
Der Bodensee ist ein halbes Grad pro Jahrzehnt wärmer geworden, heißt es in | |
der Studie. Der Durchschnittswert verstecke aber, dass sich das Wasser | |
anfangs kaum und erst in letzter Zeit stark erwärmt habe, erklärt Dietmar | |
Straile, Evolutionsbiologe an der Uni Konstanz. Der See werde bloß noch | |
alle paar Jahre durchmischt; er sei nur deshalb noch nicht gekippt, weil | |
die Nährstoffmenge aus anderen Gründen abnahm. | |
Der Klimawandel sei eine schleichende Seuche, die mit anderen | |
Umweltbelastungen ungute Allianzen einginge, schreiben Forscher am | |
Baikalsee in Sibirien. Wegen der enormen Artenvielfalt ist der tiefste und | |
älteste See der Welt seit 1996 Unesco-Welterbe. Doch die Verlängerung der | |
eisfreien Periode dezimiere Plankton- und Fischarten und bedrohe die | |
Baikalrobbe. Die legendären Unterwasserwälder sterben. | |
„Sorgen macht mir der Klimawandel nicht“, sagt John Lenters. “Aber er | |
beschäftigt mich.“ Und viele andere WissenschaftlerInnen: Parallel zu der | |
AGU-Studie haben schwedische und US-amerikanische ForscherInnen in der | |
Fachzeitschrift Nature Geoscience ebenfalls [2][Untersuchungsergebnisse] | |
veröffentlicht, nach denen Seen in nördlichen Breitengraden als | |
Methanquelle allgemein unterschätzt werden. Die steigenden | |
Oberflächentemperaturen könnten gemeinsam mit dem Schmelzen der | |
Permafrostböden dazu führen, dass die Emissionen des Treibhausgases bis | |
2100 um 20 bis 50 Prozent steigen, prognostizieren sie. Das könnte den | |
Klimawandel beschleunigen. (mit climatenewsnetwork) | |
8 Jan 2016 | |
## LINKS | |
[1] https://news.agu.org/press-release/climate-change-rapidly-warming-worlds-la… | |
[2] http://www.nature.com/ngeo/journal/vaop/ncurrent/full/ngeo2578.html | |
## AUTOREN | |
Silke Schilling | |
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