| # taz.de -- Abschied vom Bodensee: Warten auf das Geröll | |
| > Ganz unten in Baden-Württemberg liegt der Bodensee. Noch. Warum es gut | |
| > ist, dass Deutschlands größter See verschwindet. | |
| Bild: Den Bodensee umrunden müssen, um wegzukommen, nervt | |
| In 40.000 Jahren wird der Bodensee zum Glück verschwunden sein. Vielleicht | |
| klappt es sogar doppelt so schnell. Ausnahmsweise liegt das nicht an der | |
| Klimaerwärmung, auch wenn die Pegelstände im Sommer bereits merklich | |
| sinken. Aber so schnell verdunstet [1][ein 60 Kilometer langer See] nun | |
| auch nicht, zumal der Niederschlag in den Nordalpen in Summe eher nicht | |
| weniger wird. Und von dem Wasser, das sich dort sammelt, im Alpenrhein | |
| zusammenfließt und bei Bregenz in den Bodensee mündet, speist der sich ja | |
| zum größten Teil. | |
| Auf seinem Weg zur Mündung sammelt der Rhein aber nicht nur Wasser ein, | |
| sondern auch Alpengeröll, und das wird den Bodensee in geologisch | |
| absehbarer Zeit zuschütten. Die Anrainer verzögern den Prozess im Moment | |
| zwar noch künstlich. Mit Dämmen wurde die Mündung um fünf Kilometer in den | |
| See hinein verlegt, so dass die Steine nicht am Ufer landen, sondern in die | |
| Tiefe sinken. Langfristig wird das die Verlandung aber auch nicht | |
| aufhalten. Die drei größten Probleme der an Problemen nicht gerade reichen | |
| Region sind damit absehbar gelöst. | |
| Nummer 1: Der See zerklüftet die Landschaft, er trennt die Menschen. Nehmen | |
| wir mal Überlingen, am nördlichen Ufer gelegen. Es gibt dort zwei Kinos und | |
| eine städtische Galerie. Das kulturelle Angebot ist für eine | |
| 20.000-Einwohner-Stadt also okay, aber selbstverständlich begrenzt. | |
| Eigentlich wäre das kein Problem, eigentlich hat Überlingen nämlich eine | |
| große Nachbarstadt. Konstanz, keine 10 Kilometer entfernt, hat 85.000 | |
| Einwohner, ein Stadttheater und eine Philharmonie. | |
| Das Wasser aber trennt die Städte. Wer einen Abend in Konstanz verbringen | |
| will, muss den See erst umrunden, auf dem Foto oben also von der linken | |
| Seite des Wassers auf die rechte kommen, was mit den öffentlichen | |
| Verkehrsmitteln eine Stunde dauert und mit dem Auto höchstens bei guter | |
| Verkehrslage etwas weniger. | |
| ## Wohin soll man sich hier verdrängen lassen? | |
| Eine gute Verkehrslage gibt es allerdings selten, weil ständig jemand von | |
| der einen Seite auf die andere muss und die Verkehrswege überlastet sind. | |
| Am Nordufer beispielsweise hat die B 31 als wichtigste Ost-West-Achse über | |
| weite Teile nur eine Fahrspur pro Richtung. Wer in Friedrichshafen hinter | |
| einem Laster hängt, kommt auf den 20 Kilometern bis Meersburg nicht an ihm | |
| vorbei. Der Umstieg auf die Schiene würde sich theoretisch anbieten, | |
| praktisch aber nicht, weil dort kein dichter Takt möglich ist: Die | |
| Bahnstrecke auf der Nordseite ist nur eingleisig, unter anderem, weil sie | |
| streckenweise direkt am Ufer verläuft und zumindest noch für einige tausend | |
| Jahre zwischen Straße und Wasser eingekeilt ist. | |
| Die Anbindung an den überregionalen Verkehr ist nicht besser. Von Markdorf | |
| in die Landeshauptstadt Stuttgart dauert es mit dem Zug beispielsweise vier | |
| Stunden, eine Reise nach Berlin dauert einen Tag. Was den Verkehr angeht, | |
| ist die Bodenseeregion eine abgehängte Landschaft. | |
| Allerdings auch nur, was den Verkehr angeht. Und damit kommen wir zu | |
| Problem Nummer 2: Die Gegend boomt. Die Zuzüge übertreffen konstant die | |
| Fortzüge. Die Arbeitgeber in der Region, Maschinenbauer, | |
| Automobilzulieferer und [2][Rüstungsunternehmen, locken mit guten | |
| Gehältern]. Wohlhabende Ältere schätzen den Bodensee als Altersruhesitz. | |
| Mit Ferienwohnungen lässt sich gutes Geld machen und Immobilieninvestoren | |
| haben die Region auch längst entdeckt. Am Bodensee herrscht also auch auf | |
| dem Land ein klassisches Großstadtproblem: Die Wohnkosten steigen. Wer kein | |
| Eigentum und kein ausreichendes Einkommen hat, wird verdrängt. | |
| Nur: Wohin soll man sich hier verdrängen lassen? In der Großstadt bleibt | |
| immer noch der Stadtrand. Am See erhöht die Geografie den Druck. Am | |
| deutlichsten wird das am Beispiel Konstanz: Die Stadt liegt auf dem | |
| Bodanrück, einer Halbinsel im See. Von zweieinhalb Seiten ist Konstanz von | |
| Wasser umgeben, an eine halbe Seite grenzt die teure Schweiz. Hinterland | |
| gibt es also nur zu einer Seite, was den Druck auf die Immobilienpreise | |
| weiter erhöht. | |
| Höchstens für eines ist diese Preisspirale gut: Wer weit genug wegziehen | |
| muss, entgeht dem Hochnebel. Das nämlich ist Problem Nummer 3: Entgegen der | |
| weitläufigen Annahme scheint am Bodensee nicht immer die Sonne. Im Winter | |
| scheint sie sogar außerordentlich selten. Das riesige Wasserreservoir des | |
| Sees beschert der Region so viele Nebeltage wie kaum einer anderen im Land. | |
| Aber auch das geht vorbei. Wenn die Verlandung erst mal abgeschlossen ist, | |
| wenn die Menschen am ehemaligen Bodensee ihre Geröllhalden bewohnbar | |
| gemacht haben, wenn sie zu bezahlbaren Preisen in einer Region der kurzen | |
| Wege leben, dann werden sie zwar landschaftlich ein klein wenig verloren | |
| haben. Zumindest können sie ihre Landschaft dann aber das ganze Jahr über | |
| sehen. | |
| 14 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tobias Schulze | |
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