| # taz.de -- Klimawandel in den Weltmeeren: Die Quelle des Lebens ist sauer | |
| > Was der Klimawandel unter Wasser anrichtet, ist nicht sofort sichtbar. | |
| > Dabei ist es einer der wichtigsten Faktoren für die Zukunft der | |
| > Menschheit. | |
| Bild: Inzwischen ist die Korallenbildung am Great Barrier Reef in Australien um… | |
| Als Sarah Zauner vergangenen Sommer vor der Küste des ägyptischen Dahab zu | |
| den Korallenriffs hinabtauchte, sah sie zwar eine wunderbare, bunt | |
| schillernde Unterwasserwelt – doch auch viel mehr abgestorbene Korallen als | |
| sie für möglich gehalten hatte. Die 30-Jährige Biologin taucht bei dem | |
| [1][internationalen Projekt „Reef Check”] mit, um das fortschreitende | |
| Korallensterben im Auge zu behalten. | |
| „Man sieht immer mehr weiße Korallen – durch Überfischung und | |
| Klimaerwärmung bleichen sie aus und sterben ab”, sagt sie. Das Projekt soll | |
| die Entwicklung von Korallenriffen weltweit dokumentieren. Auch | |
| Sporttaucher können sich beteiligen und ehrenamtlich helfen, Daten zu | |
| erheben. | |
| „Durch den weltweiten Temperaturanstieg sinkt der pH-Wert des Wassers, was | |
| den Algenbewuchs fördert, unter dem die Korallen leiden. Durch diese | |
| zunehmende Versauerung des Wassers haben Muscheln und Hummer | |
| Schwierigkeiten, ihre Schalen zu bilden und die Korallen können ihr | |
| kalkhaltiges Skelett kaum aufbauen und wichtige Bakterien nicht mehr | |
| annehmen, was ihnen die Lebensgrundlage entzieht”, erklärt Zauner. | |
| Die Korallen sind Lebensraum für viele Lebewesen; sie ermöglichen | |
| Artenvielfalt. So benötigt etwa der Papageienfisch die Korallen als | |
| Nahrungsquelle und Riffbarsche nutzen sie als Aufzuchtsstätte für ihren | |
| Nachwuchs. | |
| In ausgeblichenen Riffen werden Korallenfische durch die fehlende Tarnung | |
| zudem leichter Opfer von Raubfischen. Das schadet zum einen dem | |
| Nahrungskreislauf, zum anderen aber auch dem Menschen, denn die riffreichen | |
| Regionen der Erde leben auch vom Tauchertourismus. Die Entwicklung ist an | |
| manchen Orten schon besorgniserregend vorangeschritten. Das Great Barrier | |
| Reef in Australien etwa hat durch die Veränderung des Ökosystems bereits 50 | |
| Prozent seiner Korallenbildung eingebüßt. | |
| ## Aus den Augen, aus dem Sinn | |
| Die Erdoberfläche ist zu zwei Dritteln mit Wasser bedeckt, von dem das | |
| Leben der Menschen in vielerlei Weise abhängt. Auf die fortschreitenden | |
| Temperaturveränderungen reagiert das Wasser träge, das heißt mit einer | |
| Verzögerungen von Jahrzehnten oder sogar Jahrhunderten. Die Folgen der | |
| Klimaerwärmung wirken im Meer also erst später, dafür aber auch länger. | |
| Der Anstieg des Meeresspiegels durch das Schmelzen des Polareises ist ein | |
| immer wieder gern zitiertes Horrorszenario, die Auswirkungen unter Wasser | |
| dagegen sind nicht direkt sichtbar, werden deshalb leicht übersehen und von | |
| der Politik gerne ignoriert. Doch die Forschung bringt durch ihre | |
| Langzeitstudien mittlerweile auch jene in Bedrängnis, die diese | |
| Auswirkungen des Klimawandels verharmlosen oder sogar leugnen. | |
| Hans-Otto Pörtner, der Ko-Vorsitzende der Arbeitsgruppe II des | |
| Weltklimarates (IPCC) hat [2][im Oktober Zahlen vorgelegt], nach denen sich | |
| die Temperatur der Meeresoberfläche bis zum Jahr 2100 um 3,2 Grad Celsius | |
| erhöhen wird – vorausgesetzt, der CO2-Ausstoß bleibt wie er derzeit ist. | |
| Während Kleinstlebewesen durchaus von dieser Entwicklung profitieren | |
| können, wäre das der sichere Tod für eine Vielzahl von Wasserpflanzen und | |
| größeren Lebewesen, weil sie sich den veränderten Lebensbedingungen häufig | |
| nicht so gut anpassen können. | |
| ## Der Zug ist abgefahren | |
| Inzwischen geht es um Schadensbegrenzung, verhindert werden kann das | |
| Artensterben nicht mehr. Nach Ansicht von Pörtner ist es auch nur dann in | |
| einem vertretbaren Rahmen zu halten, wenn der CO2-Ausstoß so weit reduziert | |
| wird, dass die Temperatur sich um nicht mehr als 1,5 Grad erhöht. Das | |
| Abkommen von Paris soll Formulierungen enthalten, dass sich die Welt Mühe | |
| gibt, den Temperaturanstieg im Schnitt unter dieser Grenze zu halten. | |
| Pörtner findet das wichtig: „Es lohnt sich, um jedes zehntel Grad zu | |
| kämpfen”, sagt er. | |
| Bei einer maximalen Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad könnte der Anstieg des | |
| Meeresspiegels auf weniger als einem Meter begrenzt werden. Bliebe alles | |
| wie es ist, würde es wesentlich wärmer und auch der Meeresspiegel würde | |
| weiter ansteigen – um mehr als 2 Meter bis zum Jahr 2200 und fast 7 Meter | |
| im Jahr 2500. Das würde bedeuten, dass weltweit zahlreiche Städte und | |
| Landstriche überschwemmt werden, wodurch auch lebenswichtige Süß- und | |
| Trinkwasserbestände gefährdet wären. | |
| Ein Viertel des seit 1850 um ein Drittel gestiegenen CO2-Bestandteils der | |
| Atmosphäre wird von den Meeren aufgenommen. Das heißt: Je mehr CO2 der | |
| Mensch erzeugt, desto höher ist die CO2-Sättigung der Meere. In Folge | |
| steigt durch chemische Reaktion die Versauerung und gleichzeitig sinkt die | |
| Anreicherung mit dem für das Ökosystem lebenswichtigen Sauerstoff, was | |
| durch die Erwärmung weiter verstärkt wird. | |
| ## Zerstörerische Klimaphänomene | |
| Hinzu kommen weitere Nebeneffekte, die mitnichten nebensächlich sind. Das | |
| Klima-Phänomen El Niño etwa bezeichnet ein Auftreten ungewöhnlicher, nicht | |
| zyklischer Strömungen im ozeanographisch-meteorologischen System. Das | |
| Phänomen tritt alle zwei bis sieben Jahre um die Weihnachtszeit im Gebiet | |
| vor den Küsten Perus, Ecuadors und Chile auf. Es entsteht durch ein | |
| Zusammenspiel von Wind- und Wassertemperatur. Durch das Abflauen der | |
| Passatwinde lässt die Kaltwasserströmung nach und das Wasser erwärmt sich | |
| so sehr, dass die Wasserschichten sich nicht mehr vermischen, was zum | |
| Absterben von Plankton und dem Zusammenbruch von Nahrungsketten führt. | |
| Für den Menschen vor Ort ist das auch durch die ausbleibenden Fischschwärme | |
| spürbar. Bisher fiel der El Niño alle zwanzig Jahre besonders heftig aus, | |
| das letzte Mal zum Jahreswechsel 1997/98. Damals hinterließ das Phänomen | |
| und die folgenden Stürme, Überschwemmungen und Dürren Schäden in der Höhe | |
| von 35 Milliarden US-Dollar und forderte etwa 23.000 Menschenleben. | |
| Außerdem wurden viele Korallenriffe samt ihrer Bewohner zerstört. | |
| Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass dieser Effekt durch die | |
| Klimaerwärmung noch häufiger und stärker auftreten wird. Noch in diesem | |
| [3][Winter erwarten Meteorologen] einen starken El Niño. | |
| Mittlerweile gibt es Forschungsprojekte, die zum Ziel haben, die | |
| langfristigen Auswirkungen der Ozeanversauerung zu untersuchen. Etwa das | |
| „Bioacid”-Projekt unter der Leitung von Ulf Riebesell. In sogenannten | |
| Mesokosmen, 20 Meter langen Kunststoffsäcken, die im Meer verankert werden, | |
| werden die Auswirkungen zukünftiger Versauerung auf maritime Lebensräume | |
| simuliert. | |
| Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass Pteropoden – das sind kleine, | |
| zerbrechliche Flügelschnecken – bei niedrigen pH-Werten nicht mehr | |
| lebensfähig sind. Das wird bei vielen nur ein Schulterzucken hervorrufen, | |
| die Folgen für die Nahrungskette sind aber beträchtlich. Denn die Schnecken | |
| bilden einen wichtigen Teil der Lebensgrundlage für viele Fische und auch | |
| für Wale sind sie ein Hauptnahrungsmittel. | |
| 11 Dec 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.reefcheck.de/ | |
| [2] http://www.deutsches-klima-konsortium.de/de/veranstaltungen/dkk-veranstaltu… | |
| [3] http://www.cpc.ncep.noaa.gov/products/analysis_monitoring/enso_advisory/ens… | |
| ## AUTOREN | |
| Ulf Schleth | |
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