# taz.de -- Agrarexperte über Düngerecht: „Letztlich bezahlen die Verbrauch… | |
> Die Reform des Düngerechts werde die Verschmutzung des Grundwassers kaum | |
> einschränken, warnt der Regierungsberater Friedhelm Taube. | |
Bild: „Die Hälfte der Landwirte“ düngt zu viel, zum Beispiel aus Unwissen… | |
taz: Bund und Länder verhandeln gerade über neue Regeln für die Düngung in | |
der Landwirtschaft. Warum sollte das mich als Nicht-Landwirt interessieren? | |
Friedhelm Taube: Weil diese Regelungen mittelfristig die Qualität des | |
Wassers beeinflussen. Wenn Pflanzen überdüngt werden, landen die | |
überschüssigen Nährstoffe etwa in Form der Stickstoffverbindung Nitrat zum | |
Beispiel im Grundwasser. Aus Grundwasser werden rund 74 Prozent des | |
Trinkwassers in Deutschland gewonnen. Nitrat wandelt sich aber im Körper | |
teils in giftiges Nitrit um. Deshalb müssen die Wasserwerke tiefere Brunnen | |
bohren und Grundwasser aus verschiedenen Quellen verschneiden, um den | |
Nitratgrenzwert im Trinkwasser einzuhalten. Letztlich bezahlen das die | |
Verbraucher. | |
Welche Folgen hat Überdüngung für die Umwelt? | |
Das Nitrat gelangt von den Feldern auch in Oberflächengewässer wie Seen und | |
Meere. Dort heizt es das Wachstum von Algen an. Das ist sauerstoffzehrend | |
und beeinträchtigt die Fischpopulation. An Land führt Überdüngung dazu, | |
dass auf besonders artenreichen Wiesen wertvolle krautartige Pflanzen | |
verdrängt werden, die nur wenig Nährstoffe vertragen. Überdüngung trägt | |
aber auch zum Klimawandel bei, weil Nitrat sehr häufig zu Lachgas reduziert | |
wird. Das ist ein Klimagas, das 300-mal schädlicher ist als CO2. | |
Wie schlecht sind die Nitratwerte im Grundwasser? | |
Das zeigt am besten die Auswertung der 700 repräsentativen Messstellen | |
unter Agrarflächen, die Deutschland an die EU meldet. Hier muss Deutschland | |
nachweisen, dass sich die Situation verbessert, um Nitrat- und | |
Wasserrahmenrichtlinie zu erfüllen – das ist aber nicht der Fall, die | |
Hälfte der Brunnen weist deutlich erhöhte Werte auf und davon wiederum die | |
Hälfte sogar mehr als den Trinkwassergrenzwert von 50 Milligramm Nitrat je | |
Liter. Weil es hier also keine Besserung gibt, hat die EU Deutschland | |
verklagt. Frankreich ist es bereits vor einem Jahr genauso ergangen und | |
dort wurde beinahe eine Strafzahlung von 1 Milliarde Euro verhängt, so weit | |
sollte es die deutsche Regierung nicht kommen lassen. [s. Anmerkung der | |
Redaktion unten] | |
Manche Bauern beklagen, die EU-Kommission habe behauptet, in Deutschland | |
seien die Nitratwerte so schlecht wie in Malta – obwohl das nicht stimme. | |
Das stimmt auch nicht. Deutschland hat einmal, 2007/2008, Brüssel die Daten | |
eines nationalen Messnetzes gemeldet, das nicht mehr repräsentativ war. Die | |
EU-Kommission hat die Daten in eine Reihe mit den Zahlen aller europäischen | |
Länder aus dem Netz der Europäischen Umweltagentur gestellt. Da hat man | |
Äpfel mit Birnen verglichen. In Wirklichkeit liegen wir in der EU in etwa | |
im Mittelfeld. | |
Wie lässt sich belegen, dass hauptsächlich die Landwirtschaft | |
verantwortlich ist für die Nitrateinträge ins Wasser? | |
Die Messwerte zum Beispiel aus Wäldern und Siedlungen sind wesentlich | |
niedriger als in Grundwasser unter Flächen, die landwirtschaftlich genutzt | |
werden. Und wir haben derzeit einen Stickstoffüberschuss in der | |
Landwirtschaft von knapp 100 Kilogramm Stickstoff je Hektar und Jahr. Das | |
bedeutet: Pro Hektar und Jahr werden 100 Kilogramm mehr ausgebracht, als | |
die Pflanzen aufnehmen können. Oder anders ausgedrückt: Allein der | |
Stickstoffüberschuss entspricht in Deutschland einer Menge von 250.000 | |
Lkw-Ladungen an Stickstoffdünger – jedes Jahr! | |
Welche Zweige der Landwirtschaft sind die größten Nitratquellen? | |
Erst mal ist es die Intensivtierhaltung in Kombination mit sandigen Böden, | |
die nur wenig Nitrat aus dem Wasser filtern können. Hier fällt aber | |
besonders viel Gülle an. Und der zweite große Problembereich ist der | |
Gemüsebau etwa in Rheinland-Pfalz. In diesen Kulturen wird einfach mit sehr | |
viel Stickstoff gedüngt. | |
Kritiker sagen, die Rolle des Biogas-Booms werde verschwiegen. | |
Das wird überhaupt nicht verschwiegen. Denn 80 Prozent der Biogasanlagen | |
hängen direkt mit der Tierhaltung zusammen. | |
Uns hat ein Bauer geschrieben: Ich will auf Grünland mehr als die bislang | |
zugelassenen 170 Kilogramm Stickstoff pro Hektar und Jahr aus Gülle düngen, | |
weil die Gräser auf meinen Böden sogar 500 Kilogramm in Wachstum umsetzen | |
können. Sollte er mehr als bisher erlaubt mit Gülle düngen dürfen? | |
Wenn dieser Herr eine Landwirtschaftsschule besucht hätte, dann wüsste er, | |
dass er dummes Zeug erzählt. Einmal gibt es eine Ausnahmeregelung, wonach | |
Landwirte auf Grünland bis 230 Kilogramm Stickstoff in Form von Gülle | |
ausbringen dürfen, wenn sie alles genau dokumentieren. Diese Regelung ist | |
derzeit nur deshalb in Deutschland ausgesetzt, weil wir die Vorgaben siehe | |
oben nicht erfüllen. Zum anderen sind in Gülle auch Kalium und Phosphat | |
enthalten, die ebenfalls zur Überdüngung beitragen. Wenn er 500 Kilogramm | |
Stickstoff aus Gülle einsetzen würde, wären die Kaliumgehalte im Futtergras | |
so hoch, dass sie Gesundheitsschäden bei den Tieren auslösen. | |
Manche Bauern fordern, in wenig belasteten Regionen mehr Dünger zu erlauben | |
als bislang. Ihre Meinung? | |
Diese Regionen zehren in der Regel nur davon, dass Nitrat dort noch im | |
Unterboden sozusagen entgiftet wird, bevor es ins Grundwasser gelangt. | |
Diese ‚Entgiftungspotenziale‘ der Nitratreduktion sind aber endlich und | |
irgendwann aufgebraucht. Außerdem trägt Überdüngung erheblich zum | |
Klimawandel bei. Weil das ein globales Problem ist, müssen alle Regionen | |
weniger Treibhausgase durch Düngung freisetzen. | |
Warum führen die Bauern ihren Pflanzen mehr Dünger zu, als diese aufnehmen | |
können? | |
Nach unseren Daten düngt die Hälfte der Landwirte in Deutschland | |
angemessen, das sind häufig Top-Landwirte, die ihren Betrieb bestens im | |
Griff haben. Aber die andere Hälfte düngt zu viel, zum Beispiel aus | |
Unwissen oder Arbeitsüberlastung. Die erwarten häufig viel höhere Erträge, | |
als sie dann tatsächlich ernten. So entstehen die immensen Überschüsse. | |
Außerdem wird Überdüngung bisher in keiner Weise geahndet, so fehlt die | |
Sensibilisierung für das rechte Maß. | |
Wie muss das Düngerecht geändert werden? | |
Zentral ist, dass Düngebehörden wirklich kontrollieren können müssen, wie | |
hoch die Nährstoffüberschüsse des jeweiligen Betriebs sind. Bei den Ämtern | |
müssen alle Daten über die Fläche, den Tierbesatz sowie den Zukauf von | |
Düngern und den Verkauf von Produkten in Form von Stickstoffeinheiten | |
zusammenfließen. Dazu müssen die Bauern eine Stoffstrombilanz erstellen. | |
Und die Düngeverordnung muss endlich Instrumente bereitstellen, um | |
Fehlverhalten zu sanktionieren. | |
Wie beurteilen Sie die nun geplante Reform der Dünge-Vorschriften? | |
Sie ist ein zu später und zu kleiner Schritt, jedoch immerhin in die | |
richtige Richtung. Aber nach der Einigung der Koalition müssten nur | |
Betriebe mit sehr viel Tieren je Hektar eine Stoffstrombilanz vorlegen. Das | |
sind lediglich 5 bis 8 Prozent aller Höfe. So wird sich die | |
Grundwasserqualität nicht ausreichend schnell verbessern. Die Wissenschaft | |
plädiert daher massiv dafür, im Abstimmungsprozess mit dem Bundesrat | |
nachzubessern, sonst bleibt der Druck auf Deutschland seitens der EU | |
berechtigterweise erhalten, ebenso wie das Drohszenario der Strafzahlungen. | |
Anmerkung der Redaktion, 09.01.17: | |
In einer früheren Fassung hieß es, dass gegen Frankreich wegen zu hoher | |
Nitratwerte bereits eine Strafzahlung in Höhe von 1 Milliarde Euro verhängt | |
worden sei. Richtig ist, dass diese Strafzahlung bei Verhandlungen zwischen | |
der EU-Kommission und Frankreich Anfang Dezember 2016 im Gespräch war, als | |
die taz das Interview mit Prof. Taube führte. Erst danach wurde bekannt, | |
dass die Kommission das Vertragsverletzungsverfahren nun einstellen will, | |
nachdem Frankreich Maßnahmen zur Verbesserung der Wasserqualität | |
angekündigt hatte. | |
6 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Jost Maurin | |
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