# taz.de -- Keine Einhegung der Allmenden: Tempelhofer Freiheit für alle | |
> Viele BerlinerInnen verstehen das Tempelhofer Feld als Gemeingut. Sein | |
> Ausverkauf fördert neben Armut auch Wut. | |
Bild: Mehr als 185.000 BerlinerInnen verstehen die weite Wiese als Allmende, al… | |
Letzten Sommer haben Tausende in Istanbul gegen die Bebauung des Geziparks | |
und die Erdogan-Regierung demonstriert. „Her yer Taksim, her yer direnis!“ | |
– Überall ist Taksim, überall ist Widerstand. | |
In Berlin wiederum wird am Sonntag nicht nur über die Zusammensetzung des | |
EU-Parlaments abgestimmt, sondern auch darüber, ob der ehemalige Flughafen | |
Tempelhof bebaut werden darf. „Tempelhofer Freiheit“ werden die etwa 350 | |
Hektar Land mitten in der Stadt genannt. | |
Und in Venedig, dieser Lagune aus Stein, halten Studenten und Studentinnen | |
seit diesem April einen ehemals verschlossenen, verwilderten Garten im | |
Stadtteil Dorsoduro besetzt, der zur Universität gehört. Sie haben ihn | |
wieder für alle geöffnet. Die Uni will ihn verkaufen, ein Hotel soll dort | |
gebaut werden. „Siamo tutte/i #invendibili!“ – Wir sind alle unverkäufli… | |
steht auf ihren Transparenten. Drei Orte, ein Thema: der Protest gegen den | |
Ausverkauf von öffentlichem Land. | |
Um die Volksabstimmung über die Nichtbebauung des Tempelhofer Felds | |
überhaupt möglich zu machen, haben vorab mehr als 185.000 BerlinerInnen sie | |
eingefordert. Sie verstehen die weite Wiese als Gemeingut, als Allmende, | |
als Land also, das allen gehört und das nicht an Investoren verkauft werden | |
soll. Spazieren gehen, Spielen, Joggen, Grillen – alles ist möglich auf der | |
riesigen Fläche. Feldlerchen brüten auf dem Gelände, und Anwohnende haben | |
Gemeinschaftsgärten gegründet, wo alles in Kistenbeeten gezogen wird. Jeder | |
kann mitmachen. Zumindest so fast. Denn auch für eine Allmende-Nutzung gibt | |
es Regeln. | |
Gemeingüter sind jedoch nicht nur in den Fokus der Bürger und Bürgerinnen | |
geraten, sondern auch in den der Investoren und Banken. Die Finanzkrise | |
zwingt viele Regierungen, das Gemeineigentum an sie zu verkaufen, um Geld | |
in die leeren Staatskassen zu bringen. Der US-Ökonom Michael Hudson hält es | |
für äußerst gefährlich, dass private Banken sich vom Kreditgeschäft ab- und | |
dem Aufkauf von natürlichen Ressourcen und Gemeingütern (vom Boden bis hin | |
zu Universitäten) zuwenden. Es ist die moderne Form von „Einhegung der | |
Allmenden“, wie Karl Marx deren Privatisierung auf Kosten der Armen und des | |
Gemeinwohls nannte. | |
## Das Erbe aller | |
Noch gibt es weltweit viele Allmenden, auch Commons genannt. Die meisten | |
Dörfer Afrikas verstehen ihre Äcker als Erbe aller, das sie gemeinsam | |
bewirtschaften. Auch in Europa gibt es noch Allmenden. Besonders in der | |
Schweiz. Im Kanton Uri gehört 94 Prozent des Landes allen, im Tessin 80 | |
Prozent. Die Almen werden den Sommer über als gemeinsame Weide genutzt. | |
Manche Kommunen verdienen durch einen Berglift im Gemeindebesitz Geld. | |
Gemeinsamer Landbesitz ist eine Grundlage für gemeinsamen Wohlstand – so | |
lange, bis jemand anfängt, das Land zu vermessen und parzellieren. | |
Vor allem in Afrika muss die Rolle der Landvermesser kritisch beurteilt | |
werden. Sie kommen in die Dörfer, teilen das Gemeinschaftsland auf und | |
schreiben es den einzelnen Familien zu. Sobald sich ein Bauer, sei es durch | |
Misswirtschaft oder Missernten, verschuldet, muss er sein Land verkaufen. | |
Das öffnet Fremden die Tür. Auch solchen, die auf „Cash Crops“ setzen, auf | |
monokulturelle Nahrungsmittelproduktion für den internationalen Markt. | |
Oft werden die Landbewohner nicht mal gefragt, ob sie Land verkaufen | |
wollen. Im Osten Äthiopiens wurden die Weiden der dort halbnomadisch | |
lebenden Kleinbauern von der Regierung auf 99 Jahre an einen | |
internationalen Investor verpachtet. Vorher gehörte das Land allen, seit | |
Äthiopien eine sozialistische Regierung hat, sah diese den Staat als | |
Besitzer an. Wenn er das Land nun verpachtet, ohne die Ortsansässigen zu | |
fragen, ist das wie Landraub. Den Kleinbauern werden ihre Weiden entzogen. | |
In dem kargen Gebiet können sie von Gartenbau nicht leben. Der Regierung | |
aber gilt die alltägliche Versorgung der Menschen als nicht relevant, | |
ohnehin gilt sie in Afrika als Frauensache. | |
In England wurde die Waldallmende mit der Magna Charta 1215 schon besonders | |
früh aufgehoben. Die Entscheidung löste Wut seitens der Armen aus, die auf | |
den Wald zum Sammeln von Feuerholz oder Pilzen und als Schweineweide | |
angewiesen waren. Robin Hood, der sich dagegen auflehnte, ging als Held in | |
die Geschichte ein. Später wehrten sich die Bauern in den deutschen | |
Bauernkriegen gegen die Aufhebung der Allmenden. Thomas Münzer, der | |
Anführer der Bauern, sah sehr genau, dass die Dorfgemeinschaft von | |
Gemeinschaftsbesitz sowohl materiell, als auch sozial profitiert. Denn er | |
förderte nicht nur ihr Auskommen, sondern auch ihren Gemeinsinn. Er machte | |
sie stark gegenüber der Obrigkeit. | |
## Reichtumskonzentration auf Kosten der Armen | |
Die meisten Nationalökonomen des 19. Jahrhunderts, allen voran Karl Marx, | |
sahen in der „Einhegung der Allmenden“ den Beginn der | |
Reichtumskonzentration auf Kosten der Armen. Die Analyse gilt bis heute. | |
Mike Davis beschrieb in seiner „Geburt der Dritten Welt“ vor ein paar | |
Jahren den entsprechenden Prozess in Indien. Die Folgen der Abschaffung der | |
Allmenden sind damals wie heute die gleichen: Hunger, Landflucht, Slums, | |
Wohnungsnot und Seuchen. | |
Unzählig sind die Regionen, in denen die Finanzindustrie oft mit rüden | |
Mitteln versucht, an Grund und Boden zu gelangen. Auch Großereignisse | |
spielen ihnen in die Hände. Für die Olympischen Winterspiele 2014 wurden | |
Bauern in Sotschi enteignet, für die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 ganze | |
Favelas abgerissen. Und immer werden dabei Kleinsthöfe, | |
Subsistenzwirtschaften und gewachsene Gemeinschaften zerstört. | |
Hierzulande bedient sich das Finanzkapital subtilerer Methoden. Etwa der | |
der Meinungsmanipulation: Im Herbst 2012 gab die Tageszeitung Die Welt mit | |
dem Artikel „Die Favelas des Mittelstandes“ den Ton vor, dem andere Medien | |
folgen. Gemeint waren die Kleingartenanlagen besonders in Berlin. Die | |
Laubenpieper, so der Tenor, mögen einsehen, dass ihr Laubenpieperglück | |
überholt sei. Innerstädtische Grundstücke müssten der Bauindustrie | |
überlassen werden. Es herrsche ja Wohnungsnot. Da mit dieser Argumentation | |
Politik gemacht wird, hat die Abstimmung über das Tempelhofer Feld enorme | |
Signalwirkung. | |
## Land in öffentlicher Hand | |
Wohnungsnot entsteht durch Ausverkauf der Städte an Hotelketten oder | |
Großinvestoren, die sich jahrelangen Leerstand leisten können. Und | |
Wohnungsnot besteht, weil bezahlbarer Wohnraum fehlt. Der lässt sich nicht | |
durch den weiteren Ausverkauf städtischer Liegenschaften beheben. | |
Sozialforschungen belegen, dass Armutsrisiken reduziert werden, wenn 15 | |
Prozent des kommunalen Baulands stets in städtischer Hand verbleiben und | |
mindestens 25 Prozent des Gemeindelands für Umwelt- und Daseinsvorsorge | |
ausgewiesen sind. Nur so kann eine Kommune selbst steuernd in die | |
Bodenpolitik eingreifen. Innerstädtisches Grün wird gebraucht für den | |
sozialen Frieden, als Grabeland für Erwerbslose und für eine langfristig | |
angelegte Bodenvorratswirtschaft. | |
Die derzeit aktuelle Allmende-Diskussion auch anhand des Tempelhofer Felds | |
macht deutlich, dass natürliche Ressourcen nicht beliebig vermehrbar sind | |
und Allmenden eine feste Verfassung und die dazugehörigen Kontrollen | |
brauchen. Denn der Ausverkauf von öffentlichem Grund und Boden, das sollten | |
sich die Politiker und Politikerinnen vergegenwärtigen, fördert neben Armut | |
auch Wut. | |
23 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Meyer-Renschhausen | |
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