| # taz.de -- Nach Volksentscheid Tempelhofer Feld: Mut zur Lücke | |
| > Brachen und Leerstellen wie das Flughafengelände gehören seit Jahrzehnten | |
| > zur Berliner Freiheit. Stadtplanung von oben abzulehnen, ist konsequent. | |
| Bild: Das Tempelhofer Feld ist zum Symbol nicht nur schwindender Freiflächen, … | |
| BERLIN taz | Die große Leerstelle mitten in der Stadt sollte schrumpfen. | |
| Der Horizont sollte ein bisschen kleiner werden. Das Tempelhofer Feld ist | |
| rund 385 Hektar groß. Die rot-schwarze Koalition unter dem Regierenden | |
| Bürgermeister Klaus Wowereit wollte das Gelände des ehemaligen Flughafens | |
| an drei Rändern durch landeseigene Wohnungsbaugesellschaften bebauen | |
| lassen. Bis zu 4.700 Wohnungen sollten entstehen. | |
| Doch beim Volksentscheid stimmte am Wochenende eine deutliche Mehrheit der | |
| BerlinerInnen gegen die Bebauung und sprach sich für die Erhaltung des | |
| kompletten Feldes als Freifläche aus. Es war der zweite erfolgreiche | |
| Volksentscheid in Berlin seit der Einführung dieses Elements direkter | |
| Demokratie vor gut sieben Jahren. | |
| Nur sehr wenige Wähler erteilten den beiden konkurrierenden Plänen von | |
| Regierung und Bürgerinitiative eine Absage, was bei genauer Betrachtung das | |
| Vernünftigste gewesen wäre. Aber um reine Vernunft geht es nie, wenn um | |
| Symbole gerungen wird: Das Tempelhofer Feld ist den Berlinern zum Symbol | |
| nicht nur schwindender Freiflächen, sondern auch schwindender Freiheiten | |
| geworden. | |
| Die „Voids of Berlin“ sind in der ganzen Welt bekannt. Es fällt schwer, | |
| sich Berlin ohne seine Brachen, seine freien Flächen und seine Parks | |
| vorzustellen. Westberlin und Ostberlin haben sich in vielerlei Hinsicht | |
| unterschieden, aber in einer nicht. Beide Stadthälften waren mit | |
| Leerstellen übersät. Wie die Einschusslöcher der Maschinengewehre auf | |
| manchen Fassaden erinnerten sie Bewohner und Besucher auch Jahrzehnte | |
| später noch an den Krieg, den die Wehrmacht siegessicher bis vor Moskau | |
| getragen hatte. Bis er in die Reichshauptstadt zurückkam. | |
| ## Brachen, die die Bomben geschlagen hatten | |
| Seit 1943 griffen die alliierten Bomber regelmäßig Berlin an. Tagsüber | |
| waren es die Flugzeuge der United States Army Air Forces, nachts die | |
| Maschinen des Bomber Command der britischen Royal Air Force. Bis zum Ende | |
| des Kriegs zählten die Behörden 363 Luftangriffe. Interessanterweise wurde | |
| der Bombenkrieg vom Völkischen Beobachter, dem nationalsozialistischen | |
| Parteiorgan, als „Symbol der untergehenden Welt des Kapitalismus“ und als | |
| stadtplanerischer Segen begrüßt. Der Bombenterror mache den „verseuchten | |
| Raum“ frei für gesunde, zweckmäßige und schöne Bauten des „deutschen | |
| Sozialismus“. | |
| Der Völkische Beobachter war etwas zu optimistisch. Und auch den | |
| Stadterneuerungsprogrammen in Ost und West seit den sechziger Jahren des | |
| vergangenen Jahrhunderts gelang es weder, die innerstädtische | |
| Gründerzeitsubstanz gänzlich durch Neubauten zu ersetzen noch die Brachen | |
| zu füllen, die die Bomben geschlagen hatten. Letzteres schaffte in den | |
| innerstädtischen Bezirken erst der Immobilienboom der vergangenen zehn | |
| Jahre. | |
| ## Die Stadt wird wieder heile | |
| Knapp 25 Jahre nach der Revolution in der DDR hat die Zahl der Brachen in | |
| Ost wie West deutlich abgenommen. Es wird dichter in Berlin. Wo Platz ist, | |
| wird gebaut. Das freut konservative Urbanisten: Die Stadt wird wieder | |
| heile! Schon stehen auf dem Schlossplatz die Grundmauern der Rekonstruktion | |
| des Hohenzollernschlosses, das eine weitere „Wunde“ im Gewebe der Stadt | |
| schließen soll. | |
| Was die einen freut, erfahren die anderen als Verlust. Denn die Brachen, | |
| die Leerstellen in der Stadt sind einerseits Symbole, andererseits ganz | |
| konkrete Versprechen auf die vielen Möglichkeiten, die Berlin immer noch | |
| verheißt. Berlin ist im Vergleich zu anderen Metropolen eine Stadt, in der | |
| junge Kreative noch gut leben können. Hier gibt es Raum für Muße, für die | |
| Entwicklung von eigenen Ideen und einen selbstbestimmten Lebensstil. Wer | |
| der Brache den Kampf ansagt, stellt sich dieser mächtigen Erzählung der | |
| Berliner Freiheit entgegen. | |
| Berlin ist eine anarchische Stadt, sie zu regieren nicht leicht. Umso mehr | |
| wird Glaubwürdigkeit zu einem entscheidenden Faktor für politisches | |
| Handeln. „Gestaltung statt Stillstand“ lautete der Slogan der SPD. Diese | |
| Argumentation klang nicht nur technokratisch, sie widerspricht auch der | |
| Alltagserfahrung der Berliner. Die SPD hat ja recht, tatsächlich wird der | |
| Wohnraum knapp in der Hauptstadt, die seit einigen Jahren einen deutlichen | |
| Zuwachs an Einwohnern verzeichnet. Die Mieten steigen, es wird | |
| erschwinglicher Wohnraum benötigt für diejenigen, die ihn sich in vielen | |
| sanierten und gentrifizierten Vierteln innerhalb des S-Bahn-Rings nicht | |
| mehr leisten können. | |
| Der Immobilienboom und der Einwohnerzuwachs sind dynamische Prozesse, die | |
| das gemütliche Berlin beschleunigen und zwangsmobilisieren. Daher ist es | |
| zum einen politisch dumm und sachlich falsch, das Leiden an diesen | |
| Prozessen als Bedürfnis nach „Stillstand“ zu diffamieren. Zum anderen | |
| werden die Sozialdemokraten längst mit einer Politik der Veräußerung | |
| landeseigenen Wohneigentums identifiziert, nicht mit dem Projekt seiner | |
| Schaffung. Ohnehin sollte die Hälfte der Neubauten auf dem Tempelhofer Feld | |
| für Gewerbe reserviert sein. Wie genau die Bebauung aussehen sollte, blieb | |
| bis zuletzt merkwürdig schwammig und intransparent. | |
| ## Nein zu einer Stadtplanung von oben | |
| Das Nein der Berlinerinnen zur Bebauung von Teilen des Tempelhofer Feldes | |
| ist ein Nein zu einer Stadtplanung von oben. Niemand ist gegen | |
| „Gestaltung“, aber man will dann doch ein Wörtchen mitzureden haben. Eine | |
| Politik, die nach vorne schauen will, muss die Forderung nach | |
| Gestaltungsspielraum ernst nehmen. Spielen kann man aber nur, wenn das Ende | |
| offen bleibt. Und wer Gestaltungsmacht verliehen bekommen will, muss mit | |
| guten Ideen überzeugen. | |
| Fürs Erste hat der Senat die Möglichkeit verspielt, das Tempelhofer Feld | |
| als Experimentierfeld zu etablieren, auf dem sich städtische Zukunft | |
| ausprobieren lässt. Die Stadtgesellschaft wiederum sollte sich über die | |
| Widersprüchlichkeit ihres Neins im Klaren sein: Alle leiden unter dem | |
| Fehlen erschwinglicher Wohnungen, aber niemand will die Freiheit der | |
| Brachen missen. | |
| 26 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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