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# taz.de -- Bedrohte Kleingärten: Gartenzwerge gegen Investmentriesen
> Am Sonntag findet in Charlottenburg ein Bürgerentscheid statt. Es geht um
> eine Gartenkolonie – und um undurchsichtige Machenschaften.
Bild: Hallo? Protest mit Schild und Banner – die Kleingärtner wehren sich.
Die Kleingartenanlage Oeynhausen in Charlottenburg ist eine der ältesten
Kleingartenanlagen Berlins, fast 100 Jahre alt. Sie ist offen für jeden: Am
Eingang gibt es keine Tore, die Gartenzäune sind niedrig, Besucherblicke
sind willkommen. Im Vereinslokal inmitten der Anlage in der Nähe des
Heidelberger Platzes versammeln sich häufig die Nachbarn. Im Sommer, sagt
eine Kellnerin, kommen bis zu 120 Gäste zum Sonntagsbrunch mit Schnitzel,
Mettigel und Rosenkohl.
Auf der Wiese hinter dem Lokal werden Feste gefeiert. Die nächsten Termine
stehen schon auf der Infotafel: Kinderfest im Juni, Sommerfest und
Frühshoppen im Juli. Den wichtigsten Termin der Anlage kündigt daneben
allerdings ein drei Meter langes Banner an: Am 25. Mai, [1][dem Tag der
Europawahl] und dem Tag [2][//www.taz.de/!t25430/:des Volksentscheids zum
Tempelhofer Feld], dürfen rund 250.000 Charlottenburg-Wilmersdorfer bei
einem Bürgerentscheid darüber abstimmen, ob der nördliche Teil der Anlage
Oeynhausen erhalten bleiben wird.
Denn die Kleingärten sind bedroht: Der Besitzer des Grundstücks, die Lorac
Investment Management, will auf den 302 Parzellen auf rund 93.000
Quadratmetern eine dreigeschossige Wohnhaussiedlung bauen. Wenn jedoch mehr
als zehn Prozent der Wahlberechtigten am Bürgerentscheid teilnehmen und die
Mehrheit für die Anlage stimmt, würde das die Kleingärten retten: Dann muss
die Stadt einen Bebauungsplan zum Schutz der Kolonie aufstellen.
Man könnte diese Geschichte ähnlich wie die des Tempelhofer Feldes
erzählen, die Teilhabe der Bürger thematisieren oder die Frage, wem die
Stadt gehört. Man könnte über eine funktionierende Gemeinschaft,
Grünflächen und das Stadtklima schreiben, und darüber, welche Auswirkungen
eine bebaute Kleingartenanlage auf die Temperatur des Kurfürstendamms hat.
## Unterschlagene Akten, Ermittlungsverfahren
Stattdessen ist die Geschichte der Kleingartenkolonie Oeynhausen die von
undurchsichtigen politischen Machenschaften. Es geht um unterschlagene
Akten, um Ermittlungsverfahren und Protokolle, die zeigen, dass sich die
bezirklichen Politiker für eine hohe Abfindung für ein umstrittenen
Investmentunternehmen einsetzten. Und es geht um eine Entschädigung für
ebendieses Unternehmen, falls der Bürgerentscheid zugunsten der
Kleingartenanlage ausgehen sollte.
Wenn Lorac nicht auf dem Gelände bauen darf, kann das Unternehmen eine
Entschädigung von 25 Millionen Euro verlangen – diesen Hinweis musste
zumindest die Bürgerinitiative [3][„Schmargendorf braucht Oeynhausen“] in
ihrer Infobroschüre zum Bürgerentscheid so formulieren, verfügte das
Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Dagegen klagte die Initiative
vergangenen Sommer vorm Verwaltungsgericht – und verlor. Die Summe von 25
Millionen scheint gesetzt, selbst in den offiziellen Unterlagen zum
Entscheid muss sie nun erwähnt werden. Doch die Bürgerinitiative hält diese
Summe für überhöht.
Die Lorac ist ein Tochterunternehmen der US-amerikanischen
Investmentgesellschaft Lone Star. Diese wiederum ist an mehreren
umstrittenen Berliner Bauprojekten beteiligt, etwa dem [4][Umbau der
Eisfabrik in Mitte]. Gekauft hat die Lorac das Charlottenburger Grundstück
2008 von der Deutschen Post AG für 600.000 Euro. Wie jedoch kommt nun die
Summe von 25 Millionen Euro Schadenersatz zustande?
Ein Mitarbeiter des Vermessungsamts des Bezirks hatte auf der Grundlage
mehrerer Gutachten einen möglichen Anspruch von 26 Millionen Euro
Schadenersatz für die Lorac ausgerechnet. Als während des Prozesses am
Verwaltungsgericht im letzten Sommer die Richterin den Leiter des
bezirklichen Rechtsamtes fragte, wieso denn nur 25 Millionen Euro in den
Unterlagen stehen und nicht die errechneten 26 Millionen, sagte er, man
habe eben abgerundet.
## Schadenersatz nicht möglich
Ein Gutachten allerdings, das das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf
selbst erstellen ließ, besagt: Schadenersatzforderungen seien in diesem
Fall nicht möglich. Die Lorac könne das Grundstück, sofern die Initiative
den Bürgerentscheid gewinnt, an das Land geben – für den aktuellen
Verkehrswert von 900.000 Euro. Das wären immerhin 300.000 Euro mehr als der
Kaufpreis.
Doch dieses Gutachten lag dem Verwaltungsgericht nicht vor – weshalb die
Bürgerinitiative Charlottenburg-Wilmersdorfs Baustadtrat, Marc Schulte
(SPD), vorwirft, er habe dem Verwaltungsgericht Akten vorenthalten. Schulte
stehe dem Bauvorhaben der Lorac nicht neutral gegenüber, so die Vermutung
der Bürgerinitiative: „Er hat versucht, uns das Bürgerbegehren auszureden�…
sagt Alban Becker, Vorstand der Gartenkolonie Oeynhausen.
Im Januar zeigte die Bürgerinitiative Schulte an wegen
Urkundenunterdrückung und Prozessbetrug. Die Staatsanwaltschaft leitete ein
Ermittlungsverfahren ein. Die CDU-Fraktion der
Bezirksverordnetenversammlung Charlottenburg will am Donnerstag dieser
Woche einen Ausschuss beantragen, der Schultes Rolle klären soll.
Darüber hinaus stieß die Initiative auf eine E-Mail, die eine gewisse Nähe
zwischen Politikern und der Lorac nahelegt. Baustadtrat Marc Schulte,
Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann sowie Bausenator Michael Müller und
dessen ehemaliger Staatssekretär Ephraim Gothe (alle SPD) hatten sich im
Dezember 2011 zu einem Gespräch getroffen, das offenbar das Ziel hatte, der
Lorac zu einem Kompromiss zu verhelfen.
## „Bestehendes“ Baurecht?
Laut einer daraufhin geschriebenen E-Mail zwischen zwei Abteilungen der
Senatsverwaltung, die der taz vorliegt, habe der Bezirk Charlottenburg für
die Lorac das „bestehende Baurecht herauszustellen“. Schulte [5][sagte
gegenüber dem RBB] allerdings, der Verfasser der Mail habe das Gespräch
nicht korrekt wiedergegeben.
Währenddessen bemühte sich die Lorac, wenn schon vielleicht nicht zu den
Bauvorhaben, dann zumindest zu ihrer Entschädigung zu kommen. Das
Unternehmen hatte bereits 2011 einen sogenannten Bauvorbescheid erst beim
Bezirksamt, dann bei der Senatsverwaltung und schließlich vor dem
Verwaltungsgericht beantragt.
Mit einem solchen Vorbescheid kann ein Bauherr einzelne Fragen zum
Bauvorhaben verbindlich entscheiden lassen. Das bedeutet: Ein zugelassener
Vorbescheid erhöht die Chancen auf eine Baugenehmigung – oder auf eine
finanzielle Entschädigung. Doch sowohl das Bezirksamt Charlottenburg als
auch die Senatsverwaltung verweigerten den Bescheid.
Erst im dritten Anlauf gab das Verwaltungsgericht dem Gesuch Anfang Mai
teilweise recht. Was das nun genau heißt, ist umstritten: So behauptet der
Anwalt der Lorac, Bernhard Haaß, dass der Richterspruch der Rettung der
Anlage „endgültig die Grundlage nehme“ – und die Entschädigungssumme
„mindestens 25 Millionen Euro betragen würde“, wie er in einer
Pressemitteilung schreibt.
Die Initiative schätzt das anders ein: Die Frage einer Entschädigung sei
„zu keinem Zeitpunkt Gegenstand des Prozesses“ gewesen, heißt es in deren
Mitteilung. „Das ist alles Kaffeesatzleserei“, sagt Martina Kelz,
Gartenbesitzerin. Man müsse das schriftliche Urteil abwarten – und den
Bürgerentscheid am Sonntag.
21 May 2014
## LINKS
[1] /Politik/Europawahl-2014/!p4837/
[2] http://https
[3] http://www.oeynhausen-retten.de/
[4] /!124442/
[5] http://www.rbb-online.de/klartext/archiv/20140416_2215/buergerentscheid-zur…
## AUTOREN
Svenja Bednarczyk
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