# taz.de -- Volksentscheid: „Kein Gesetz ist für die Ewigkeit“ | |
> Die Grünen werben für ein Ja, wollen aber trotzdem bauen. Wie das | |
> zusammen gehen soll, erklärt Landeschefin Bettina Jarasch. | |
Bild: Mutter der Schießschartenarchitektur: der Bundesnachrichtendienst in der… | |
taz: Frau Jarasch, Berlin braucht bis 2030 laut Senat 140.000 neue | |
Wohnungen. Auf dem Tempelhofer Feld sollen knapp 5.000 davon entstehen. Ist | |
das Feld insofern überhaupt von Bedeutung für Berlin? | |
Bettina Jarasch: Auf jeden Fall. | |
Warum? | |
Das Feld ist eine Chance, modellhaft zu zeigen, wie in Berlin eine | |
ökologische, soziale und demokratische Stadtentwicklung funktionieren kann. | |
Leider nimmt der Masterplan des Senats diese Chance nicht wahr. | |
Auf dem Parteitag am heutigen Samstag wollen die Grünen dennoch | |
beschließen, beim Volksentscheid am 25. Mai gegen jede Veränderung des | |
Felds, also für ein Bauverbot zu stimmen. Wie geht das zusammen? | |
Wir haben uns von Anfang an für einen dritten Weg starkgemacht, der ein | |
Kompromiss wäre zwischen Senat und Initiative. Dieser Weg sieht vor, am | |
Rand des Tempelhofer Felds zu bauen – das ist nötig in dieser wachsenden | |
Stadt. Aber wir wollen das mit einer starken Bürgerbeteiligung verknüpfen, | |
ökologisch bauen und lebendige Quartiere schaffen. Wir wollen keine | |
Siedlungsblöcke, die das Feld absperren. Und auch keine Landesbibliothek | |
auf dem Feld als weiteres überteuertes Prestigeprojekt. | |
Doch der überparteiliche Gesetzentwurf als Alternative, in den diese | |
Überlegungen einfließen sollte, kam nicht zustande. | |
Leider. Deswegen kommt es jetzt darauf an, dem Senat ein Stoppschild | |
entgegenzuhalten und zu verhindern, dass dort Tatsachen geschaffen werden. | |
Das geht mit einem Ja zur Initiative am besten. Wir kündigen auch jetzt | |
schon an, dass wir über den 25. Mai hinaus am dritten Weg festhalten, dass | |
wir dafür werben und Bündnispartner suchen werden. | |
Das ist doch ein Widerspruch: Die Grünen wollen bauen, aber für den Status | |
quo stimmen. | |
Wenn man konsequent die Chance für einen dritten Weg offenhalten will, dann | |
ist das derzeit die beste Möglichkeit. Wir können damit auch viele Bürger | |
jenseits der Innenstadt ansprechen, denen ein Nein zu jeder Bebauung nicht | |
vermittelbar ist. Und selbst wenn der Volksentscheid erfolgreich sein | |
sollte, wird es viele Menschen geben, die eine Debatte über die Art der | |
Bebauung unterstützen werden. Denn viele haben ja nicht unterschrieben, | |
weil sie auf dem Feld keinen Grashalm krümmen möchten, sondern weil sie | |
Angst haben vor den Plänen des Senats. | |
Wenn der Entscheid erfolgreich ist, ist ein Baustopp Gesetz. Die Initiative | |
100 % Tempelhofer Feld wurde sehr gescholten, als einige Mitglieder kurz | |
nach Zustandekommen des Entscheids sagten, in ein paar Jahren könnte trotz | |
erfolgreichen Entscheids auf dem Feld etwas passieren. Wie schnell kann man | |
ein vom Volk beschlossenes Gesetz wieder abschaffen? | |
Es gibt da keine festen Fristen. Das ist eine Frage der gesellschaftlichen | |
Dynamik. Aber kein Gesetz ist für die Ewigkeit gemacht. Und selbst einige | |
der Aktivisten haben betont, dass der Entscheid vor allem eine | |
Notwehrmaßnahme ist. Ich bin sicher, der Entscheid kann auch ein Neustart | |
für eine Debatte sein – und nicht das Ende der Entwicklung auf dem Feld. | |
Die Grünen sind zwar die größte, aber eben auch nur eine Oppositionspartei | |
im Abgeordnetenhaus. Haben Sie ernsthaft geglaubt, dass der Senat ihren | |
Kompromiss akzeptiert? | |
Er wäre gut beraten gewesen, es zu tun. Immer, wenn es in den Verhandlungen | |
darum ging, den Masterplan noch mal zu verändern, hat die SPD geblockt. Das | |
ist kein gutes Zeichen für die politische Kultur in dieser Stadt. Das | |
Kalkül der SPD mag gewesen sein: „Wir setzen uns durch. Wer für | |
Wohnungsneubau in Berlin ist, muss für unseren Masterplan am Tempelhofer | |
Feld sein.“ Das ist natürlich Quatsch. | |
Also sind die 5.000 Wohnungen auf dem Feld verzichtbar? | |
Diese Stadt braucht sehr viel mehr als 5.000 Wohnungen. Das Hauptproblem | |
ist, dass eine Gesamtstrategie fehlt. Beispiel Europacity an der | |
Heidestraße: Dort sollen 4.200 Wohnungen entstehen, fast so viele wie auf | |
dem Feld. Aber dort hat der Senat darauf verzichtet, dafür zu sorgen, dass | |
ein maßgeblicher Anteil bezahlbarer Wohnungen dabei ist. Der Senat nutzt | |
die bestehenden Instrumente nicht. | |
Kann man jetzt auf die 5.000 Wohnungen in Tempelhof verzichten oder nicht? | |
Wir brauchen Wohnungen, vor allem kleine und bezahlbare, insbesondere in | |
der Innenstadt. Die würden wir auch gerne am Rand des Tempelhofer Felds | |
bauen. Aber natürlich ist es eine Farce zu behaupten, die Wohnungsnot in | |
Berlin könne auf dem Tempelhofer Feld behoben werden. | |
Wäre es dann nicht klarer, wenn sich die Grünen auf ihre ökologischen Ziele | |
besännen und einen Erhalt der dortigen Stadtnatur ohne Wenn und Aber | |
unterstützten? Wie es ja auch langjährige Mitstreiter der Grünen – etwa der | |
Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) – fordern? | |
Wir sind in diesem Fall ganz klar als Partei: Wir haben uns auf diesen | |
dritten Weg geeinigt, wir halten ihn für richtig, und wir werden weiterhin | |
dafür kämpfen. Und was den BUND angeht, da stehen wir in gutem Kontakt, | |
denn auch er hat bis zuletzt für einen Kompromiss geworben. | |
In der Debatte geht es auch um die Glaubwürdigkeit der Politik. Vertrauen | |
die Berliner den Zusagen von Bausenator Müller, dass ein Teil der Wohnungen | |
zu bezahlbaren Mieten auf den Markt kommt? Und dass die Bebauung nicht doch | |
die Mitte des Feldes erreicht? | |
Die Koalition liefert wenig Gründe, ihr zu vertrauen. In dem jetzigen | |
Gesetzentwurf von Rot-Schwarz steht kein einziges Wort von sozialem | |
Wohnungsbau. Just das, was der SPD ja angeblich so wichtig ist, will sie | |
nicht garantieren. Nicht mal das, was Senator Müller nicht müde wird zu | |
versprechen: 50 Prozent bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Die Menschen | |
müssen damit rechnen, dass das leere Versprechen sind. Das Einzige, was der | |
Gesetzentwurf festschreibt, ist, dass 230 Hektar Parkfläche nicht bebaut | |
werden sollen. | |
Kein Gesetz ist für die Ewigkeit, sagten Sie gerade. | |
Stimmt. | |
In dem Leitantrag, der am Samstag abgestimmt werden soll, steht: „Die | |
größte Hypothek, die Wowereit und Henkel der Stadt aufbürden, ist aber der | |
Vertrauensverlust der Bevölkerung in Politik insgesamt.“ | |
Dafür ist das Agieren von Rot-Schwarz am Tempelhofer Feld leider nur ein | |
Beispiel. Das Schlimmste ist, dass die Menschen in Berlin angefangen haben, | |
sich an die Skandale wie das BER-Desaster, an den laxen Umgang mit | |
Steuergeldern, an die Bürgerferne und Selbstbezogenheit dieses Senats zu | |
gewöhnen. Aus dieser Art von Lethargie müssen wir raus. | |
Der Volksentscheid, so heißt es im anderen Leitantrag, ist „im Kern ein | |
Misstrauensvotum gegen die Basta-Politik“ der Koalition. Deren | |
Halbzeitbilanz ist so vernichtend, dass die Grünen eigentlich sofort die | |
neue Initiative unterstützen müssten, die Wowereits Abwahl fordert. Werden | |
Sie das tun? | |
Nein. Wir stellen unsere Alternativen zur Wahl bei der nächsten Wahl. Die | |
Abwahlinitiative ist für eine Partei nicht das politisch opportune Mittel, | |
Neuwahlen zu erzwingen. | |
Wie stellen Sie sich den Abstimmungskampf vor? Piraten wie Linke sind auch | |
für ein Ja. Damit kämpft bei dem Entscheid erneut die Opposition gegen den | |
Senat. | |
Ich weiß nicht, was die anderen Parteien planen. Wir werden aber keine | |
Kampagne mit der Initiative machen. Unser Ja ist ein Ja für den dritten | |
Weg. | |
28 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Bert Schulz | |
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