# taz.de -- Debatte ums Tempelhofer Feld: Mehr als ein Speckgürtel | |
> Terminal, Industriequartiere, Wohnviertel, Kirchen, Friedhöfe – sie alle | |
> haben die Entwicklung des Feldes über Jahrzehnte beeinflusst. Ein | |
> Rundgang. | |
Bild: Da liegt es, so unberührt: das Tempelhofer Feld von oben | |
In größter Distanz zur Peripherie des Tempelhofer Feldes befindet man sich | |
auf einer der beiden Landebahnen. „Gefühlt“ jedenfalls. Die Stadtkante rund | |
um die 385 Hektar große Freifläche gleicht einem schmalen Strich. Neukölln, | |
Kreuzberg und Tempelhof sind weit, die Silhouette Berlins ist es ebenso. Es | |
ist die Perspektive, die alle kennen. | |
Es geht auch umgekehrt: Macht man sich auf den Weg rund um das Feld durch | |
die benachbarten Wohnquartiere, Sport- und Grünanlagen, Friedhöfe, über | |
Gewerbe- und Industrieflächen sowie Straßen, ist spürbar, wie eng die | |
Beziehungen und Blickwinkel zwischen dem Feld und seinen Anrainern waren | |
und sind: baulich und räumlich, sozial und historisch. | |
Nur durch seinen „Ring“, seinen Quasi-Speckgürtel, scheint das Tempelhofer | |
Feld mit seiner Entwicklung, Funktion und Gestalt verstehbar. „Gegenwelten“ | |
sind das Feld und die Peripherien niemals gewesen, die „Wirkungsmächte“ von | |
außen nach innen sind nach wie vor groß, sagt Matthias Lilienthal, | |
langjähriger Intendant des Hebbel am Ufer und Initiator von Kunstprojekten | |
auf dem Feld. „Was im Moment ein Freizeitpark ist, war immer auch eine | |
Ansammlung von Randgeschichten.“ | |
Definierten bis ins 18. Jahrhundert die landwirtschaftlichen, danach die | |
militärischen Nutzungen (Kasernen, Schießstände, Manöver- und | |
Exerziergelände) und später der Luftverkehr die Entwicklungen des zentralen | |
Standortes, so traten ab Mitte des 19. Jahrhunderts die zivilen, | |
ökonomischen und urbanen „Randgeschichten“ in Beziehung zum Feld. | |
Stadtentwicklung und Feldentwicklung bewegten sich „wechselseitig“ | |
aufeinander zu, wie Planer auf der Stadtwerkstadt der Senatsbauverwaltung | |
im vergangenen Jahr zum Thema konstatierten. Im Süden wandert man bis heute | |
zwischen Bahlsen oder Gillette durch den Industrie- und Gewerbegürtel an | |
der Oberlandstraße, der sich nach den Gründerjahren des Deutschen Reichs | |
entwickelte. | |
1871 war die Ringbahn angelegt worden, sie zog im Süden einen ersten | |
scharfen Trennungsstrich zwischen dem Feld und der Gemeinde Tempelhof, | |
welcher mit dem Bau der späteren Stadtautobahn noch verstärkt worden ist. | |
Ende des 19. Jahrhunderts siedelten sich Metall-, Elektro- und | |
Chemiebetriebe zwischen Ringbahn und Teltowkanal an. Superlative hatte der | |
„Ring“ dort auch zu bieten: 1903 wurde bei der Fahrt der Militär-Eisenbahn | |
von AEG und Siemens die damalige Bestzeit für elektrische Triebwagen | |
gemessen: 210,3 Kilometer pro Stunde. | |
Dass hier noch immer die Anfänge des deutschen Films aufzuspüren sind, | |
daran erinnern bis dato die fünf backsteinroten Ateliers der Berliner Union | |
Film, die bis an das Feld heranreichen. 1905 hatten, wegen des guten | |
Lichts, die Filmpioniere Alfred Duskes und Paul Davidson zwei gläserne | |
Studiobauten auf dem Tempelhofer Feld errichtet, welche von der Ufa nach | |
1920 erweitert wurden. Das Hollywood in Tempelhof konnte zwar mit | |
Babelsberg nicht mithalten, bis 1989 jedoch produzierte der Westberliner | |
Medienstandort für Film und TV. | |
Unter dem Straßenpflaster der Fliegersiedlung westlich des Tempelhofer | |
Damms liegen 140 Hektar ehemaliges Tempelhofer Feld. Kaum etwas erinnert | |
heute daran. Weil der preußische Militärfiskus 1910 seine Kriegskasse | |
auffüllen wollte, verkaufte er die große und rentable Fläche „im größten | |
Grundstücksgeschäft des Deutschen Reiches vor dem Ersten Weltkrieg“ für 72 | |
Millionen Goldmark an die Gemeinde Tempelhof – die in der Folge das Areal | |
bebauen ließ oder veräußerte. | |
Bis Ende der 1920er Jahre wirkte sich die Immobilienblase in | |
„Neu-Tempelhof“ auf Berlins Stadtentwicklung aus. Viel Geld, Wohnungsbau, | |
Spekulation, Planung waren im Spiel. Ist es da ein Zufall, dass in der | |
Nachbarschaft des Fliegerviertels heute der Masterplan der Berliner | |
Bauverwaltung eines der größten Segmente aus dem Tempelhofer Feld | |
herauszuschneiden gedenkt für 1.700 Wohnungen samt einer neuen Zentral- und | |
Landesbibliothek? Das Feld ist pures Gold. | |
Neben dem zentralen Terminalgebäude im Nazi-Design (1936 bis 1941), das dem | |
einst trapezförmigen Flugfeld seine ovale Form und Größe verpasst hat, | |
zählt der türkische Begräbnisplatz samt den Spitzen der Sehitilik-Moschee | |
am Columbiadamm zu den markantesten Orten am Rand. Sie bilden heute | |
Wahrzeichen und sind zugleich Symbole für ein über 200 Jahre andauerndes | |
Nebeneinander abend- und morgenländischer Begräbniskultur. | |
Der Friedhof hat in seiner Geschichte die Ränder des Feldes gleich mehrfach | |
– mal nach innen, mal nach außen – verschoben, erinnert der Historiker Karl | |
Robert Schütze. Zu einer ersten türkischen Begräbnisstelle (1798) nahe der | |
Tempelhofer Feldmark kamen 1854 und in der Folge erst der neue Berliner | |
Garnisonfriedhof und dann ein weiteres Grundstück zur Bestattung | |
türkisch-muslimischer Diplomaten, Soldaten und später Mitbürger hinzu. | |
1936 erhielt der Friedhof seine bis heute gültige Grenze zum Feld. Seit dem | |
Zweiten Weltkrieg hat sich der türkische Begräbnisplatz auf mehr als 2.000 | |
Quadratmeter erweitert und seine 500 Grabfelder weit zwischen die 7.000 | |
Gräber des Garnisonfriedhofs geschoben. Die türkische Gemeinde ist nun | |
bestrebt, den Bestand auf das Feld hinaus zu erweitern, wie die | |
Friedhofsverwaltung erklärt. Passt das zu einem modernen Freizeitpark? | |
Aktuell erfährt auch der Neuköllner Schillerkiez durch die Parklandschaft | |
vor der Tür eine Strukturveränderung. Immobilien wechseln die Besitzer, die | |
Mieten steigen, junge und wohlhabende Ankömmlinge mischen sich unter die | |
Feldbesucher. Die Hinterhöfe sind als „Pioniergärten“ auf die Rasenfläch… | |
gewandert. Die Kante zur Oderstraße ist Kunstraum, Veranstaltungsort, | |
Sportfläche. | |
Die breite Fläche davor sehen Grundstücksspekulanten und Stadtplaner des | |
Senats in ihrem Masterplan gleichermaßen bereits als rentables Bauland für | |
Stadtvillen. Das östliche Tempelhofer Feld steht vor einer erneuten | |
Landnahme – wie schon 1936 und nach 1945. | |
Aber hat das Feld nicht auch Spuren im „Ring“ hinterlassen? Am | |
Herrfurthplatz im Schillerkiez steht die Genezarethkirche im Mittelpunkt | |
des Quartiers. Ihre Spitze fehlt. Schuld daran ist das benachbarte Feld. | |
1905 wurde die evangelische Kirche mit viel Pomp eingeweiht, den | |
neogotischen Bau krönte eine 62 Meter hohe Spitze. Zum Sicherheitsrisiko | |
für den Flugverkehr wurde der Turm 1939, als die Nazis den Airport | |
erweitert hatten: 24 Meter Turm wurden abgetragen. 1944, nach | |
Bombenschäden, wurde der Turmrest auf 38 Meter Höhe abgetragen. Und in der | |
Zeit der alliierten Luftbrücke 1948/49 stutzte man den Glockenstuhl erneut | |
um 18 Meter. Heute ist die Genezarethkirche wieder etwas gewachsen – in der | |
Breite, nicht in die Höhe. Die Beziehung Feld – Umgebung wartet optisch | |
dort auf ihre Renaissance. | |
22 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Rolf Lautenschläger | |
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