# taz.de -- AfD im Sachsen-Wahlkampf: Frauke auf Schlingerkurs | |
> Die AfD steht kurz vor dem ersten Landtagseinzug. Ihr Kurs: steile | |
> Thesen, niemanden verprellen. Die nette Frauke Petry soll das Ganze | |
> verkaufen. | |
Bild: Flexibel in der Richtung: AfD-Sachsenchefin Frauke Petry | |
DRESDEN/BERLIN taz | Frauke Petry biegt mit ihrem Fahrrad auf den Dresdener | |
Theaterplatz, sie blinzelt in die Sonne. Links die Semperoper, rechts das | |
Elbufer, mittendrauf der AfD-Stand. An Petrys Gepäckträger flattern zwei | |
AfD-Wimpel. Drumherum flattern noch mehr Wimpel: 30 Parteifreunde begleiten | |
Petry, auch ihre älteste Tochter. Die Stimmung ist ausgelassen, auch Petry | |
lacht. | |
22 Kilometer ist die sächsische AfD-Spitzenkandidatin da schon geradelt. Um | |
6.30 Uhr morgens war sie aufgestanden. Anderthalb Stunden später fuhr die | |
AfD-Truppe in Pirna los, immer entlang der Elbe. In Dresden ist Pause. Die | |
AfD-Radler belagern den Provianttisch, greifen zu Würstchen und | |
Müsliriegeln. Petry nimmt zwei Aprikosen und einen Becher Wasser. Dann gibt | |
sie den wartenden Journalisten Interviews, eine Stunde lang. Die ganze | |
Pause über. | |
Es gibt einigen Grund für das Interesse. Um die 7 Prozent geben Umfragen | |
Petrys Alternative für Deutschland (AfD) für die Landtagswahl in Sachsen am | |
31. August. Das Bundesland ist Hochburg der jungen Partei. 6,8 Prozent | |
holte die AfD hier zur Bundestagswahl, 10,1 Prozent waren es im Mai zur | |
Europawahl – beides bundesweite Spitze. | |
Die jetzige Wahl aber ist weit bedeutsamer. Erstmalig will die AfD in einen | |
Landtag einziehen. Zwei Wochen später sollen Thüringen und Brandenburg | |
folgen. Und die AfD macht sich daran, gleich zwei Parteien ins Aus zu | |
drängen: die FDP und die NPD. | |
## Klingt rechts, is aber so | |
Dafür fährt die Partei einen eigenwilligen Kurs: Sie wagt möglichst steile | |
Thesen, legt sich aber politisch möglichst nicht fest – mit viel Raum nach | |
weit rechtsaußen. Es ist ein Vabanquespiel. Eines, das funktioniert. | |
Bisher. | |
Petry bestreitet in Dresden einen gewissen Populismus nicht. „Wir | |
polarisieren vielleicht etwas mehr als andere Landesverbände“, gibt die | |
39-Jährige zu. „Aber wir greifen eben auf, was die Bürger beschäftigt.“ | |
Auf dem Theaterplatz säuselt aus einem Lautsprecher das Parteiprogramm. Um | |
den Euro geht es kaum. Mehr Lehrer, referiert die monotone Männerstimme, | |
mehr Volksentscheide, mehr Mittelstandsförderung. Dazwischen aber auch: | |
Abstimmungen über Minarette, keine Förderung von „Integrationsfolklore“, | |
mehr deutsche Musik im Radio, Aufnahme von „Asylanten nach unseren | |
Möglichkeiten“. Im Land werben AfD-Plakate für „sichere Grenzen statt | |
grenzenlose Kriminalität“. Mancherorts lockt die NPD daneben mit ganz | |
ähnlichen Sprüchen. | |
Es ist ein Spagat: Denn noch immer ringt die AfD, wo genau sie stehen will. | |
Wenig wies AfD-Bundeschef Bernd Lucke in den letzten Monaten heftiger | |
zurück als den Vorwurf des Rechtspopulismus. In Sachsen aber klingt seine | |
Partei genau nach diesem. | |
## Sie ist ein Glücksfall | |
Es ist Petry, die dies – je nach Publikum – bewerben oder verbrämen soll. | |
In der AfD gehört die energische Frau mit dem Kurzhaarschnitt zum | |
Bundesvorstand, sie ist unter vielen Männern eine Ausnahmeerscheinung – und | |
ein Glücksfall. Petry ist Chefin einer Firma für Reifenkunststoffe, | |
Pfarrersfrau, Mutter von vier Kindern, Trägerin des Bundesverdienstordens. | |
Fast jeden Tag schwärmt Petry jetzt für die AfD von ihrem Heimatdorf bei | |
Leipzig ins Land aus. Meist steht sie weit vor 6.30 Uhr auf, fährt auf | |
Marktplätze, besucht Ortsverbände. Die Radtour ist der offizielle | |
Wahlkampfauftakt, 48 Kilometer von Pirna nach Meißen. „Wir strampeln uns | |
für sie ab“, lautet das Motto. Druck belaste sie nicht, sagt Petry. „Ich | |
bin zäh.“ | |
In Dresden kümmern sich die Passanten kaum um den AfD-Stand. Es sind nur | |
Parteifreunde, die Petry umgeben. Und Journalisten. Petry macht jetzt die | |
Verbrämerin. | |
Das mit der Grenzkriminalität sei eben ein Problem, sagt sie. Man solle | |
doch mal die Polizisten in ihrer Partei fragen. Und die Abstimmung über | |
Minarette, nun ja, das hätten die Mitglieder eben mehrheitlich gewünscht. | |
„Dann tragen wir das als Vorstand auch so mit.“ | |
## Das Hin und Her hat bisher nicht geschadet | |
Petry, die Liberale in einem rechten Landesverband? Ganz so einfach ist das | |
nicht. Denn Petry ist hier unumstrittene Führungsfigur, greift auch mal | |
durch – wo sie es für nötig hält. Anderes lässt sie laufen. Auch, dass | |
frühere Mitglieder der „Freiheit“-Partei in die AfD wanderten. Einer von | |
ihnen ist heute Landessprecher. Die „Freiheit“ fiel vor allem mit herber | |
Islam-Schelte auf und mit Anbandeleien mit dem niederländischen | |
Rechtspopulisten Geert Wilders. Und es ist Petry selbst, die sagt, | |
Deutschland habe in den letzten Jahren viele Probleme „importiert“. Und | |
dass Themen wie Identität und Kriminalität in den letzten Jahren sträflich | |
der NPD überlassen wurden. „Das greifen wir jetzt auf.“ | |
Es bleibt nicht das einzige Schlingern. Noch vor Wochen ließ Petry wissen, | |
die AfD stehe auch für eine Regierungsbeteiligung bereit. Gar eine | |
Tolerierung eines Linksbündnisses sei denkbar. Die Basis rebellierte. Petry | |
ruderte zurück. Die Koalitionsfrage, sagt sie heute, stelle sich vorerst | |
nicht. Und Rot-Rot werde man keinesfalls unterstützen. | |
Bisher hat der AfD das Hin und Her nicht geschadet. Seit Monaten liegt die | |
Partei über 5 Prozent. Petry rechnet mit deutlich mehr: „zweistellig“. | |
Dass die AfD gerade in Sachsen erfolgreich ist, erklärt Petry damit, dass | |
die Leute hier seit jeher offener und unangepasst seien. Deshalb hätten in | |
Sachsen 1989 die Montagsdemonstrationen begonnen. Deshalb wähle das Land | |
nun die Partei der Unangepassten. Ihre. | |
## Gefrusteter Mittelstand | |
Es gibt noch eine andere Erklärung: Kaum ein anderes Bundesland hat eine | |
derart rechte Wählerschaft. Seit zehn Jahren sitzt hier die NPD im Landtag. | |
Die FDP stellt in Sachsen einen ihrer konservativsten Landesverbände, | |
ebenso die CDU. Nimmt man Programm und Parolen, platziert sich die AfD nun | |
noch rechts daneben. | |
Der Erfolg beruht aber auch auf Leuten wie Andreas Overheu. Der Versicherer | |
steht im blauen AfD-Polohemd auf dem Dresdener Theaterplatz, betreut den | |
Wahlkampfstand. Auch der 57-Jährige aus dem kleinen Weinböhla bei Meißen | |
sagt, man müsse sich schon fragen, ob Deutschland noch souverän sei, bei | |
all dem Einfluss der EU und USA. Mit der NPD aber will Overheu nichts zu | |
tun haben. | |
Im Frühjahr 2013 trat Overheu in die AfD ein. „Weil’s so nimmer weitergeht. | |
Seit zehn Jahren verdiene ich immer weniger.“ Zehn Leute seien sie im | |
Ortsverband, die meisten Politneulinge wie er, die anderen kämen von der | |
CDU und der FDP. Beide Parteien brächten es seit Jahren nicht mehr, sagt | |
Overheu. Zu profillos, zu weit weg von den „wahren Problemen“. | |
Auch Overheu ist ein Glücksfall für die Partei, er ist in Weinböhla bestens | |
vernetzt. „Die Hälfte der Handwerker in der Stadt ist bei mir versichert.“ | |
Bei der Europawahl holte die AfD in der Stadt 14,6 Prozent. | |
## Lucke attestiert Ostdeutschland „Staatsversagen“ | |
Es gibt jetzt viele Overheus in Sachsen. Parallel zur Europawahl zog die | |
AfD in alle Kreistage ein, holte landesweit 70 Mandate. In Freital traten | |
CDUler gleich in Fraktionsstärke zur AfD über. Auf der Radtour fahren | |
Immobilienmakler, Autohausbesitzer, Rechtsanwälte oder Polizisten mit. | |
Gehobener Mittelstand. Und gefrusteter. | |
Auch Petry wählte lange die CDU, immer enttäuschter. Der Frust, sagt sie, | |
rühre von einer Politik, die sich von den Bürgern „weitgehend abgekoppelt“ | |
habe. „Ich kann diesen Frust verstehen. Weil es auch mein eigener ist.“ | |
AfD-Bundeschef Bernd Lucke drückte es jüngst drastischer aus. Auf einer | |
Pressekonferenz in Berlin attestierte er Ostdeutschland „Staatsversagen“. | |
Es klang nach einem failed state: hohe Arbeitslosigkeit, Kriminalität, | |
niedrige Geburtenrate. Petry saß daneben. Sie widersprach nicht. | |
Das tut sie erst in Dresden. Von Staatsversagen hätte sie nicht gesprochen, | |
rückt Petry gerade, mal wieder. „Aber es gibt definitiv Missstände.“ | |
Für Petry liegen die größten derzeit in der Familienpolitik, den geringen | |
Geburtenzahlen. Sie fordert als Leitbild die 3-Kind-Familie und ein | |
Wahlrecht, in dem Eltern für ihre Kinder wählen dürfen. Es ist das Thema, | |
bei dem Petry gerne auf die DDR verweist. „Die DDR hat mitnichten alles | |
richtig gemacht“, sagte sie in Berlin. „Aber eines hat sie richtig gemacht: | |
Sie hat Familiengründungen unterstützt.“ | |
## Stimmung & Stammtisch | |
Auch hier spricht Petry geschickt eine Stimmung im Land an: Es sei ja nicht | |
alles schlecht gewesen damals. Petrys Eltern allerdings standen in | |
Opposition zur DDR. Ihr Vater, ein Ingenieur, floh im März 1989 in den | |
Westen. Wenige Monate später folgte die Familie. Petry vermag es auch hier, | |
eine Brücke zu schlagen. Für die heutigen Zustände, sagte sie, „sind wir 89 | |
doch nicht auf die Straße gegangen“. | |
Es ist nicht der einzige Widerspruch, der sich bei Petry auch ins Private | |
zieht. Ende letzten Jahres ging ihre Reifenfirma pleite, Petry meldete | |
Privatinsolvenz an. Für die AfD ist es wohl eine der misslichsten | |
Wirrungen: Ausgerechnet von der Partei, die stets Pleiten anderer EU-Länder | |
anprangert, rutscht die Spitzenfrau selbst in die Pleite. Petry verteidigt | |
sich: Es gehe um den Umgang mit der Pleite. Und ihre Firma sei heute neu | |
aufgestellt. Griechenland nicht. | |
Auf dem Dresdener Theaterplatz werden die Widersprüche beiseite gewischt. | |
Die AfD-Anhänger glauben fest an einen Wahlerfolg in zweieinhalb Wochen. | |
Einstellig, sagt Andreas Overheu, das wäre schon eine Niederlage. Der | |
Moderator am AfD-Stand zeigt neben die Semperoper, auf den Landtag. „Einige | |
von euch sehen den heute das letzte Mal von außen.“ Lachen in der Runde. | |
Ernst wird es erst danach. Dann, wenn Petry und ihre AfD im Parlament ihre | |
Widersprüche entwirren, sich auch mal festlegen müssen. | |
13 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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