# taz.de -- Ex-US-Botschafter über Ukraine-Krise: „Das ist ein Familienstrei… | |
> Putins aktuelle Politik ist die Folge von Provokationen des Westens, sagt | |
> Jack Matlock, ehemaliger US-Botschafter in Moskau. | |
Bild: Symbol des Kalten Kriegs: US-Abhöranlage am Rande Berlins. | |
taz: Herr Matlock, zur Zeit Gorbatschows waren Sie US-Botschafter in | |
Moskau. Wo haben Sie damals Russlands künftigen Platz gesehen? | |
Jack Matlock: Als wir den Kalten Krieg beendet und politisch dabei geholfen | |
haben, Osteuropa zu befreien, war klar, dass wir Russland für ein freies | |
und vereintes Europa einbeziehen müssen. Wir wussten auch, wenn man ein | |
Instrument des Kalten Krieges – die Nato – in dem Moment vor bewegt, wo die | |
Barrieren fallen, schafft man neue Barrieren in Europa. Und genau das ist | |
jetzt geschehen. Wenn wir Frieden wollen, dann sollten Russland, die | |
Ukraine und die Länder Ost- und Westeuropas in einer einzigen | |
Sicherheitsgemeinschaft sein. | |
Wäre es besser gewesen, die Nato nach Ende des Kalten Krieges aufzulösen? | |
Die Osteuropäer brauchten eine gewisse Rückversicherung und Schutz. Aber es | |
war ein Fehler, die Nato in den Osten auszudehnen – und die Art und Weise, | |
wie das geschehen ist. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ende des Kalten | |
Kriegs kein westlicher Sieg war. Wir haben das Ende des Kalten Kriegs | |
verhandelt und es zu Bedingungen getan, die auch vorteilhaft für die | |
Sowjetunion waren. Wir haben alle gewonnen. | |
Das Ende des Kalten Krieges war kein Sieg des Westens? | |
Das ist eines der Probleme, dass heute viele Leute die Sache als einen | |
westlichen Sieg betrachten. In Wirklichkeit war es Gorbatschow, der den | |
Kommunismus und die kommunistische Kontrolle der Sowjetunion zerstört hat. | |
Nicht westlicher Druck. Wir haben den Kalten Krieg zwei oder drei Jahre vor | |
dem Kollaps der Sowjetunion beendet. | |
Wie viel Nato-Osterweiterung war denn Ihres Erachtens vertretbar? | |
Wir, also jene, die das Ende des Kalten Krieges verhandelt haben, haben | |
immer gewarnt: Macht keine Sicherheitsangelegenheit daraus. Benutzt keine | |
Kalter-Krieg-Allianz. Mitte der 1990er Jahre haben wir mit der „Partnership | |
for Peace“ bei der Reformierung des Militärs in Osteuropa geholfen. Aber | |
der Umbau der Wirtschaft war viel wichtiger. Wäre das getrennt von der | |
Sicherheitsseite und von der Nato geschehen, wäre es akzeptabel gewesen. | |
Und wäre es bei Polen, Tschechien und Ungarn geblieben, auch. Es war auch | |
vertretbar in die drei baltischen Länder zu expandieren. Aber Rumänien und | |
Bulgarien waren es nicht mehr. Keines dieser Länder war von Russland | |
bedroht. Und dann begann die Eröffnung von Militärbasen, unter anderem in | |
Polen – gegen nicht existierende Raketen aus Iran – Für die Russen war das | |
eine Provokation. 2008 entschied die Nato, die Ukraine auf eine Spur zur | |
Mitgliedschaft zu setzen. Ein in seinem Inneren tief gespaltenes Land, | |
direkt vor Russlands Türe. Das alles waren sehr dumme Schachzüge des | |
Westens. Heute haben wir die Reaktion darauf. | |
Wie würden die USA reagieren, wenn sich vor ihrer Türe ein vergleichbares | |
Szenario entfaltete? | |
Wenn China anfangen würde, eine Militärallianz mit Kanada und Mexiko zu | |
organisieren, würden die USA das nicht tolerieren. Wir würden uns auch | |
nicht auf abstrakte Prinzipien von internationalem Recht beschränken | |
lassen. Wir würden das verhindern. Mit jedem Mittel, das wir haben. Jedes | |
Land, das die Macht dazu hat, würde das tun. | |
Bedeutet dies, dass Sie Putin nicht als Aggressor betrachten? | |
Ich entschuldige nicht, was er tut. Und ich billige es auch nicht. Aber ich | |
sage, es war komplett vorhersehbar. Putin handelt so, wie jeder russische | |
politische Verantwortliche unter diesen Umständen handeln würde. Der | |
Umsturz in Kiew im vergangenen Februar hat Leute in den Sicherheitsapparat | |
gebracht, die vehement antirussisch sind und die politisch so weit rechts | |
stehen, dass man sie ohne Übertreibung Neonazis nennen kann. Die gewaltsame | |
Übernahme von Regierungsgebäuden hat im Westen der Ukraine begonnen. Nicht | |
im Osten. | |
Ist das, was wir in der Ostukraine sehen, eine Intervention? | |
Ich glaube nicht, aber das hängt von der Definition ab. Putin hat gesagt, | |
er könnte Kiew in zwei Wochen einnehmen. Die Russen wollen diese Region | |
nicht wirklich. Das sind wirtschaftliche Katastrophengebiete. Sie wären | |
eine enorme Last. | |
Wollen Sie sagen, dass Putin die Krim ohne die Ereignisse vom 22. Februar – | |
die Absetzung von Expräsident Wiktor Janukowitsch – nicht annektiert hätte? | |
Ich glaube nicht, dass er es ohne den Umsturz getan hätte. Auch nicht ohne | |
die Frage der Nato-Mitgliedschaft. Und auch nicht, wenn er nicht sicher | |
gewesen wäre, dass die Mehrheit der Leute dort von ihm genau das erwartete. | |
Es geschah friedlich und nicht gegen den Willen der Bewohner. Es gab eine | |
Abstimmung. Die Krim hat drei Jahrhunderte lang zu Russland gehört. Man | |
kann argumentieren, dass es ein großer Fehler von Chruschtschow war, sie | |
der Ukraine abzutreten. Aber es ist passiert. Ich sage nicht, dass es | |
richtig war, die Krim einzunehmen. Aber es war vorhersehbar, dass Russland | |
es tun würde, wenn es um seinen Flottenstützpunkt in Sewastopol geht. | |
Wie definieren Sie das, was jetzt in der Ukraine passiert? | |
Das ist im Wesentlichen ein Familienstreit. Außenseiter sollten sich da | |
raus halten. Die gegenwärtige Situation ist von vitaler Bedeutung für | |
Russland und die Ukraine, für niemanden sonst. Es war ein Fehler des | |
Westens, sich da einzumischen. | |
Wollen Sie bestreiten, dass Russland internationale Regeln verletzt? | |
Natürlich nicht. Aber es war der Westen, der damit begonnen hat, dieselben | |
internationalen Regeln zu brechen, als die Nato wegen Kosovo Serbien | |
bombardiert hat. Unsere zweite Verletzung der Schlussakte von Helsinki – | |
wonach Grenzen nur veränderbar sind, wenn beide Seiten zustimmen – war, als | |
wir die Unabhängigkeit von Kosovo akzeptiert haben. Putin sagt: Ihr habt | |
den Präzedenzfall geschaffen. Jetzt verletze ich die Regeln. Das müssen wir | |
berücksichtigen, wenn wir über Legalität reden. So zu tun, als ob Russland | |
etwas Einzigartiges täte und Russland zu einem besonderen Ausgestoßenen zu | |
machen, ist unfair. | |
Für die Ukraine bedeutet das jedoch, dass sie wenig Optionen hat. | |
Das Hauptproblem in der Ukraine ist, dass es keine ukrainische Einheit | |
gibt. Ihr größter – der östliche – Teil war drei Jahrhunderte lang | |
integraler Bestandteil von Russland. Der westliche Teil, wo heute die | |
Nationalisten sind, ist erst durch den Hitler-Stalin-Pakt dazugekommen. | |
Wenn wir über Geschichte und Emotionen sprechen, müssen wir einfach | |
verstehen, dass dies kein Land mit traditionellen Grenzen und einer | |
vereinten Bevölkerung ist. Die gegenwärtige ukrainische Regierung | |
repräsentiert nicht das ganze Land. Auch wenn das nicht ihr Fehler sein | |
mag. Die Sicherheitsorgane befinden sich in den Händen von extremen Rechten | |
– was auch Westeuropa beunruhigen. sollte. Und in Luhansk und Donezk | |
beschießen Ukrainer ihre eigenen Leute. Dabei sind die meisten Opfer der | |
ukrainischen Armee ukrainische Zivilisten. Und ein Teil der Kämpfe im Osten | |
wird von Leuten geführt, die enge Verbindungen zu anderen Ländern haben. | |
Darunter Polen und die Slowakei. Aber das nennen wir nicht „Invasion“. | |
Russland hat immer klar gemacht, dass es keine Ukraine akzeptiert, die eine | |
Allianz mit Ländern eingeht, die zeigen, dass sie Russland gegenüber | |
feindselig sind. In dieser Hinsicht ist Russland nicht anders, als jedes | |
beliebige andere Land. | |
Ihr Präsident Barack Obama sagt, Russland müsse einen Preis zahlen. Wie | |
bewerten Sie seine Russlandpolitik? | |
Der Präsident ist in den letzten zwei Wochen in seiner Rhetorik gedämpfter | |
geworden. Er hat sehr klar gemacht, dass es keinen militärischen Eingriff | |
in der Ukraine geben wird. Und was den Preis angeht, den Russland zahlen | |
soll: Es sieht aus, als ob Obama den russischen Präsidenten vor sich her | |
treibt. Und der muss dann zeigen, dass er der Boss in der Gegend ist und in | |
der Lage, sein Volk zu schützen. Das führt für keine Seite zu einem guten | |
Ergebnis. | |
Sind Sanktionen gegen Russland effizient? | |
Keine einzige ökonomische Sanktion wird Putin davon abhalten, das zu tun, | |
wovon er überzeugt ist, dass er es tun muss. Erstens für die Sicherheit | |
seines Landes und zweitens, um sich selbst im Amt zu halten. Er hat seine | |
eigene Popularität von unter 50 Prozent auf über 85 Prozent gebracht. Die | |
ersten Sanktionen waren gegen bestimmte Individuen und Unternehmen | |
gerichtet. Aber wenn man breitere Sanktionen macht, die das Volk treffen, | |
dann wird es noch feindseliger und gute Nachbarschaft wird | |
unwahrscheinlicher. | |
Was sollte die US-Regierung stattdessen gegenüber Russland tun? | |
Stille Diplomatie. Putin die Nachteile für sein Land aufzeigen. Und ihm | |
versichern, dass wir uns militärisch nicht einmischen werden. Und dass wir | |
keine Absicht haben, die Ukraine jemals zu einem Nato-Mitglied zu machen. | |
Wenn Putin diese Zusagen hätte, könnte er viel entspannter sein. Auch | |
gegenüber wirtschaftlichen Vorschlägen der EU. | |
Sie haben den Kalten Krieg erlebt. Haben Sie jetzt Sorge, dass sich in der | |
Ukraine ein heißer Krieg entwickelt? | |
Ich glaube nicht, dass es ein Krieg wird. Einige von unseren politischen | |
Verantwortlichen mögen mittelmäßig sein. Ihnen fehlen die Vision und der | |
Sinn für die Realität der späten 1980er Jahre. Aber sie sind nicht | |
verrückt. | |
9 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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