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# taz.de -- Studieren in Ostdeutschland: Streichen und Hoffen
> Jeden zehnten Studierenden zieht es nach Sachsen, Sachsen-Anhalt oder
> Thüringen. Doch die Hochschulen müssen sparen.
Bild: Im Juli besetzten Studierende der Theaterwissenschaft das Rektorat der Un…
LEIPZIG taz | Für Professor Günther Heeg kam die Meldung Anfang des Jahres
aus heiterem Himmel. Das Institut für Theaterwissenschaft der Universität
Leipzig soll drei Professorenstellen und zwei Stellen für wissenschaftliche
Mitarbeiter streichen. Übrig bliebe eine Professur, was einer Schließung
gleichkäme.
Dabei hat das Institut alles richtig gemacht: Die Studierendenzahlen
steigen, eine Kooperation für einen internationalen Master mit einer
japanischen Uni steht vor dem Abschluss und man wirbt fleißig zusätzliches
Geld zu Forschungszwecken ein, sogenannte Drittmittel. „Die Entscheidung
ist für uns nicht nachvollziehbar“, so Heeg.
8.000 Studierende aus Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt demonstrierten
im Sommer in Leipzig gegen die Sparpolitik an den Hochschulen. Die damalige
schwarz-gelbe Regierungsmehrheit im Dresdner Landtag hatte vor vier Jahren
beschlossen, dass bis 2020 an den Hochschulen 1.042 Stellen gestrichen
werden müssen. Welche das sind, können die Hochschulen selbst entscheiden.
Man kann das als Wissenschaftsfreiheit bezeichnen, aber auch als
Selbstamputation. Besonders kleinere Fächer wie die Theaterwissenschaft
geraten unter Druck. Das Leipziger Rektorat verweist darauf, dass man
Vorgaben der Politik umsetze. Mehr aus praktischen denn inhaltlichen
Gründen verfiel die Hochschulleitung darauf, die Theaterwissenschaft und
die Archäologie zu schließen. Denn an beiden Instituten werden Professoren
demnächst in Rente gehen, die frei werdenden Stellen werden einfach nicht
nachbesetzt.
Die Situation in den mitteldeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und
Sachsen-Anhalt ist auf den ersten Blick paradox. Die großen Universitäten
melden zum Wintersemester neue Bewerberrekorde, trotz des Geburtenknicks
nach der Wende. Denn alle drei Länder ziehen Studierwillige aus der
gesamten Bundesrepublik an. Fast jeden zehnten Studierenden zieht es nach
Mitteldeutschland, längst nicht jeder Bewerber bekommt einen Platz. Gerade
die großen Universitätsstädte Leipzig, Jena und Dresden sind bei
Erstsemestern beliebt.
Doch die Politik bremst das Wachstum aus. In Sachsen herrschen
Sparvorgaben, die rein fiskalisch und nicht inhaltlich begründet sind. Und
in Thüringen und Sachsen-Anhalt wirbeln Profilierungsbestrebungen die
Hochschullandschaft durcheinander.
## Sachsen-Anhalt: Kein Fach mehr doppelt
In Sachsen-Anhalt gingen Studierende und Hochschulangehörige bereits 2013
auf die Straße. Die CDU-SPD-Regierung wollte bei den Hochschulen insgesamt
77 Millionen Euro bis zum Jahr 2025 einsparen. „Wir hatten in Halle die
größten Proteste seit der Wende“, erzählt Clemens Wagner, der in Halle
studiert und einer der Organisatoren des Protests war. Der Landtag
korrigierte die Pläne auf eine einmalige Kürzung von 18 Millionen Euro und
beschloss, mindestens 34.000 Studienplätze im Lande vorzuhalten.
Doch der Streit, wo gekürzt wird, geht weiter. So sollen Studiengänge, die
derzeit noch doppelt angeboten werden, künftig vermieden werden. Das sorgt
für Knatsch zwischen den Universitätsstädten Halle und Magdeburg. Die
Madgeburger Technische Universität wurde nach der Wiedervereinigung zur
Volluni ausgebaut und möchte diesen Status auch behalten. Das ginge zu
Lasten der Universität Halle, dort fühlen sich Studierende und Mitarbeiter
benachteiligt.
## Profilierungsbemühungen in Thüringen
Auch zwischen den Thüringer Hochschulstandorten Erfurt und Jena knirscht es
gewaltig. Hier geht es darum, welche Universität weiterhin Lehrer ausbilden
darf. Die schwarz-rote Regierung in Thüringen kürzt bis zum nächsten Jahr 7
Millionen Euro. Ein Druckmittel, damit die Hochschulen ihre Profilbildung
beschleunigen und sich auf aussichtsreiche Fächer konzentrieren. Nach
dieser Rosskur sollen die Budgets ab 2016 wieder um 1 Prozent ansteigen.
Das Land hat ebenfalls zugesichert, Tarifsteigerungen auszugleichen.
Das Grundproblem ist die schlechte Einnahmesituation der ostdeutschen
Länder. Trotz aller Erfolge bei den Studierendenzahlen werden ihre
Einnahmen ab 2020 voraussichtlich noch einmal drastisch sinken. Dann
nämlich läuft der Solidarpakt aus, der den ostdeutschen Ländern seit 2001
fast 160 Milliarden Euro an Zusatzeinnahmen bescherte, um teilungsbedingte
Lasten auszugleichen. Bereits jetzt schrumpfen die Landeshaushalte, und bei
den Steuereinnahmen liegen die ostdeutschen Länder weit hinter dem Westen.
Die Hochschulen gelten als Strukturentwickler. Viele Regionen brauchen die
kleinen, spezialisierten Fachhochschulen als Impulsgeber. „Die Hochschulen
übernehmen eine wichtige regionalpolitische Funktion“, sagt Peer Pasternack
vom Institut für Hochschulforschung in Halle. Seit der Wende haben die
Ostländer massiv Bevölkerung verloren, darunter vor allem junge Menschen.
Den Ländern droht die Vergreisung. Lediglich in den attraktiven Unistädten
ist mittlerweile ein Zuzug junger Leute spürbar – darunter auch viele
Studenten. „Die Offenheit der ostdeutschen Unis für Studierende ist wichtig
und die derzeitige Überbelegung das kleinere Übel“, meint Pasternack
Trotzdem wird gestrichen und konzentriert. Es fehlt das Geld, um in Zukunft
noch mehr Studierende vernünftig zu betreuen. Bereits jetzt übernehmen
Beschäftigte in Drittmittelprojekten, die eigentlich forschen sollen,
Seminare und Vorlesungen.
Die Exzellenzinitiative, der bundesweite Wettbewerb der forschungsstärksten
Unis und Institute, ist an Mitteldeutschland weitgehend vorbeigegangen.
Lediglich die Technische Universität Dresden konnte den Exzellenzstatus und
die damit verbundene Förderung erringen, ansonsten fielen nur einige
Exzellenzcluster für Sachsen und zwei Graduiertenschulen für Leipzig und
Jena ab.
## Frisches Geld für die Hochschulen
Doch ab 2015 haben die Länder wieder etwas mehr Luft. Dann wird der Bund
den Länderanteil an der Finanzierung der Ausbildungsförderung für Schüler
und Studierende, Bafög, komplett übernehmen. Thüringen hat angekündigt, die
jährlich frei werdenden 28 Millionen komplett den Hochschulen zugutekommen
zu lassen. Sachsen-Anhalt möchte die 29 Millionen jeweils zur Hälfte für
Hochschulen und Schulen ausgeben. Und in Sachsen sollen 83 Millionen Euro
in einen Sondertopf für die Anschaffung von Großgeräten und ein Programm
für Nachwuchswissenschaftler. Die Stellenkürzungen an den Hochschulen
sollen aber nicht abgemildert werden.
Auch die angestrebte Grundgesetzänderung für mehr Zusammenarbeit in der
Wissenschaft könnte mittelfristig den Hochschulen zugutekommen. Dann wäre
es dem Bund nämlich wieder möglich, sich an der Grundfinanzierung der
Hochschulen zu beteiligen. Das dürfen derzeit nur die Länder selbst. Iris
Gleicke, Beaufragte für Ostdeutschland der Bundesregierung: „Ich setze mich
für eine Fortsetzung der Förderung strukturschwacher Räume auch nach 2020
ein.“ Allerdings müsse man diesmal nicht nur den Osten, sondern auch den
Westen im Blick haben.
In Thüringen und Sachsen laufen gerade Koalitionsverhandlungen. Die CDU in
Sachsen muss sich einen neuen Regierungspartner suchen, heißester weil
einziger Kandidat ist derzeit die SPD. Von ihr werden in den Verhandlungen
klare Ergebnisse zugunsten der Hochschulen erwartet. Dann entscheidet sich
auch, ob es die Theaterwissenschaft und die Archäologie weiterhin in
Leipzig geben wird.
26 Sep 2014
## AUTOREN
Torben Ibs
## TAGS
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Schwerpunkt Thüringen
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