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# taz.de -- Sächsisch-Trainerin über Vorurteile gegen Ostler: „Görbor, Kö…
> Es ist unfair, Sächsisch noch immer nur mit DDR und Stasi in Verbindung
> zu bringen. Denn die Sachsen verstehen sich vor allem aufs Herz, sagt
> Annekatrin Michler.
Bild: Die Abwertung des Sächsischen sei auch eine Abwertung der Ostdeutschen, …
taz: Frau Michler, Sie sind Kommunikationstrainerin und haben Darstellern
aus dem Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ Sächsisch beigebracht.
Wie wird man eigentlich Sächsisch-Trainerin?
Annekatrin Michler: Aufhänger für die Zusammenarbeit war, dass ich vor drei
Jahren für westdeutsche Studenten im Erstsemester an der Leipziger
Universität einen Sächsisch-Kurs gegeben habe. Daraufhin wurde ich
angefragt. Ich war total begeistert, dass Sächsisch bei dem Musical
gebraucht wird.
Weil der sächsische Dialekt normalerweise verspottet wird?
Ja, und im Normalfall wird sehr schlecht imitiert. Ich muss aber auch
sagen, dass ich erst gar nicht zusagen wollte, als ich das Textbuch bekam
und sah, dass die Stasileute Sachsen sind.
Warum nicht?
Das geht doch nicht, dass die Sachsen immer auch noch die Stasileute sind!
Warum haben Sie den Auftrag dann doch angenommen?
Angriff nach vorn, hingehen und gucken, was ist. Die Macher des Musicals
haben das gut karikiert und es ist nicht diese Verdämlichung, die ich sonst
kenne.
Kann man einem Nichtsachsen überhaupt Sächsisch beibringen?
Soll ich ehrlich antworten?
Natürlich.
Das geht nicht. Irgendwie fehlt da ä Musgel im Giefer.
Wie haben Sie das Problem gelöst?
Mit jeder Sächsisch-Coach-Stunde habe ich gemerkt, dass ich mit den
Darstellern anders arbeiten muss als mit den Leuten, die ich sonst als
Teamcoach habe. Es ging für mich nicht darum, ihnen beizubringen, wie man
de Wogahle un Gonsonanden ausspricht. Un ährlich: Mir Sachsen wollen gar
nich gobiert werden, da sind wir inzwischen bissel empfindlich.
Warum?
Der Sachse gilt ja als der Ossi schlechthin. Als jammernd, negativ denkend
und in die DDR verliebt, wird er immer wieder in dieses Klischee geschoben.
Sie können mir glauben: Viele im Osten verbliebene Sachsen haben sich auch
25 Jahre nach der Wiedervereinigung von den Abwertungen nach der Wende
nicht ganz erholt.
Wie erklären Sie das?
In Sachsen besiegen de Weechen, die Weichen, de Harten. Die Konsonanten P,
T, K gibt es nicht, wir sprechen das weich als Beh, Deh und Gah aus. Dazu
muss man den Kopf runternehmen, bissel entspannt stehen, sonst genn de
Gonsonanden nich rausgullern. Diese Körperhaltung hat eine Wirkung und wird
bewertet – als weich und schwach.
Aber um in Kontakt zu anderen Menschen zu treten, um diese Menschen zu
würdigen, ihnen Raum zu geben, ist gerade das sächsische Verhalten sehr
gut, weil wir Sachsen stark auf der Beziehungsebene agieren. Wir sächseln
auch nicht die ganze Zeit. Aber wir haben zum Teil eine sehr vernuschelte
Aussprache, daran habe ich auch mit den Darstellern gearbeitet.
Was haben Sie den Schauspielern überhaupt beibringen können?
Das Verhalten der Sachsen zu lernen. Ich erkläre das mal an einem Beispiel:
In einer Szene des Musicals kommt ein Darsteller sehr schnell in den Raum
rein, stürzt auf jemanden zu und guckt die Leute nicht an. Wenn der Sachse
irgendwo hin kommt, nimmt er sich Zeit. Er stellt sich erst einmal hin,
guckt sich der Reihe nach die Leute an und tätschelt die noch ein bisschen
am Oberarm.
Der Westdeutsche breitet sich im Raum aus, der Sachse in der Zeit. Daran
haben wir gearbeitet. Oder: Die Darsteller haben sich fast den Mund
verbogen, um Sächsisch zu sprechen. Wir haben dann aber gesagt: Sprecht
hochdeutsch und knallt ab und an ein sächsisches Wort dazwischen. Görbor,
Körper, andiaudoridär. Das sticht dann klar als Sächsisch raus. Konsequent
wird auch un statt und gesagt.
Wie tickt der Sachse denn so?
Wir Sachsen mit DDR-Hintergrund sind osteuropäisch und sozialistisch
sozialisiert. Bei uns ging es theoretisch um die Gemeinschaft, im Westen
ging es um den Einzelnen. Wir Sachsen brauchen länger, um eine Beziehung
einzugehen, dafür hält das dann ooch. Und die Sachsen sind neugierig. Sie
geben dem Gegenüber Raum und Gelegenheit, sich zu produzieren. In der
heutigen auf Präsenz, Geschwindigkeit und Perfektionismus gebürsteten
Gesellschaft wird das schnell als schwach gewertet. Es gibt aber
Situationen, da muss ooch der Sachse mal bisschen gutes Selbstmarketing
machen.
Wie meinen Sie das?
Man muss sich auch mal überwinden zu sagen, ja, ich leiste eine gute
Arbeit. Da hat der Sachse, der Ostdeutsche, noch ein bisschen was zu tun.
Der Westdeutsche ist eher amerikanisch sozialisiert. Er kommt gleich zur
Sache. Somit wird er vom Sachsen schnell als Selbstdarsteller und Egoist
gewertet, als einer, der nur auf die Kacke haut. Es geht in der Begegnung
von Menschen immer auch um Status, und da hat der Sachse, der Ostdeutsche,
die Last der immer wiederkehrenden Abwertung zu tragen.
Fehlt es denn dem Sachsen an Selbstbewusstsein?
Auf keinen Fall. Der Sachse hat Selbstbewusstsein, nur eben manchmal
heemtüksch. Es kann passieren, dass sich der Ostdeutsche hinstellt und die
Auf-die-Kacke-Hauer ebenfalls abwertet und dann sozusagen von hinten durch
die Brust einen gucken lässt. Ich glaube, das ist eine Art Hochmut und auch
eine Form des Selbstbewusstseins, sich scheinbar klein zu machen und
dadurch zu erhöhen. Mir Sachsen, mir sinn helle, das weiß de ganze Welt, un
sinn mer mal nich helle, dann ham se sich verstellt.
Was hat das Sächsische, was das Hochdeutsche nicht hat?
Ich würde so fragen: Was hat der Dialekt, was das Hochdeutsche nicht hat?
Dialekt kommt aus dem Herzen und ist nicht auf Wirkung aus. Der ist einfach
da, sehr authentisch und teilweise mit einem naiven Auftreten verbunden.
Einfach so daherquasseln, wie es ämd so gomm dud. Das Hochdeutsche dagegen
ist kontrollierter, mehr vom Verstand her.
Bei Sach- und Beziehungsebenen in der Kommunikation ist der Dialekt eher
die Beziehungsebene und das Hochdeutsche die Sachebene. Die Menschen werden
immer kontrollierter, und gerade viele junge Leute wollen keinen Dialekt
mehr sprechen und versuchen, das Herz ein bisschen auszuschalten und immer
perfekter zu werden. Die Welt braucht aber Herz und Verstand.
Warum hat der sächsische Dialekt dieses Endlosstigma der Blöden und
Bekloppten?
Die nach wie vor gesellschaftliche Abwertung der DDR besagt: Die waren doch
alle bissel bescheuert, wie konnte man sich das gefallen lassen? Am
Sachsen, der von den Ostdeutschen als der lauteste heraussticht, bleibt das
hängen. Die Abwertung des Sächsischen ist auch eine Abwertung der
Ostdeutschen und deren Geschichte. Wir sind aber auch starke und
selbstbewusste Persönlichkeiten und nicht immer nur ideologisiert worden.
Wenn gesamtgesellschaftlich der Ostdeutsche nur in Verbindung mit Unrecht,
Diktatur, Stasi, Folter, Schießen und Denunzieren wahrgenommen wird, dann
ist er beschädigt und damit ist es auch der Sachse. Ein weiterer Grund,
dass Sächsisch so unbeliebt ist, könnte mit der prägnanten negativen
Erfahrung vieler Westdeutscher zu tun haben, wenn sie in die DDR eingereist
sind. Dabei ist der Sachse am nachhaltigsten im Gehirn.
Was können Sie denn nur auf Sächsisch so genau auf den Punkt bringen, wie
Sie es im Hochdeutschen niemals könnten?
Mein Ansatz ist, Kernbotschaften klar und knapp in Hochdeutsch zu bringen.
Das kann auf der anderen Seite Emotionen, Verschließen, sogar Bestürzung
auslösen. Wenn ich sehe, dass der andere geflasht ist, wie man heute so
schön sagt, dann ist Sächsisch eine wunderbare Methode, den anderen auf der
Beziehungsebene wieder einzuholen. Jetzt guggen se nich so. Sie warn äschd
tapfer.
9 Nov 2014
## AUTOREN
Barbara Bollwahn
## TAGS
Vorurteile
Kommunikation
DDR
Sachsen
Stasi
Schwerpunkt Ostdeutschland
Dialekt
DDR
Wende
DDR
DDR
Schwerpunkt AfD
Leipzig
Schwerpunkt Landtagswahlen
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