# taz.de -- Bildungsmigranten in Ostdeutschland: Kalt, sauber, pünktlich | |
> In den Neunzigern regierte in Cottbus die Angst vor rechter Gewalt. Nun | |
> aber ist der Anteil der ausländischen Studenten hier besonders hoch. | |
Bild: Jeffrey Paul Walusa aus Uganda verbringt seine Zeit nach den Seminaren ge… | |
COTTBUS taz | Deutschland hat hervorragende Fußballer. Und es stellt gute | |
Autos her. Das wusste Jeffrey Paul Walusa, als er 2003 aus Uganda nach | |
Deutschland kam. Es war seine erste große Auslandsreise. | |
Sein Vater, ein Elektroingenieur, ist in der Welt herumgekommen und hatte | |
auch Deutschland besucht. Er wollte für seinen Sohn eine gute Ausbildung. | |
Über die deutsche Botschaft in der Hauptstadt Kampala hatte die Familie | |
erste Informationen eingeholt. Schließlich saß Walusa mit anderen | |
Afrikanern in einem Flugzeug. „Kalt, sauber, pünktlich“, das waren seine | |
ersten Eindrücke von Deutschland. | |
An die Kälte hat er sich inzwischen gewöhnt. Der schlanke 38-Jährige | |
verbringt die Zeit nach den Seminaren gern im „Informations-, | |
Kommunikations- und Medienzentrum“, wie die Uni-Bibliothek genannt wird. | |
Sie ist hell und warm. Hier stehen wichtige Bücher, hier gelangt der | |
Student schnell ins Internet. | |
Bevor er 2010 nach Cottbus kam, hatte er versucht, in Hamburg | |
Ingenieurwissenschaften und in Leipzig Physik zu studieren. Aber er hatte | |
Probleme, naturwissenschaftliche Kenntnisse auf Deutsch zu erwerben. „Ich | |
verstand zwar, was gesprochen wurde, konnte aber nicht so schnell antworten | |
oder es aufschreiben“, sagt Jeffrey Paul Walusa. | |
## Studium auf Englisch in Ostdeutschland | |
Mittlerweile spricht er zwar passables Alltagsdeutsch. Doch in Cottbus | |
studiert er auf Englisch Enviromental and Resource Management. Für die | |
100.000-Einwohner-Stadt nahe der polnischen Grenze spricht aus seiner Sicht | |
auch, dass sie übersichtlich und das Leben preiswert ist. Er kann von ein | |
paar hundert Euro im Monat leben. 2014 wird er wohl seinen Bachelor | |
schaffen. | |
Auf dem Campus der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus (BTU) | |
sind viele ausländische Studenten unterwegs. Sie leben in den Wohnheimen, | |
die in sanierten Plattenbauten untergebracht sind, sitzen in den hellen, | |
freundlichen Gebäuden, die nach der Wende entstanden sind, über ihren | |
Büchern. Oft ist Englisch zu hören. Der Cottbusser Campus wirkt weltläufig. | |
## | |
## "Geht lieber nur in Gruppen durch die Stadt!" | |
Vor zehn Jahren waren an der BTU 361 Ausländer immatrikuliert. Heute sind | |
1.673 von 10.000 Studenten aus dem Ausland, rund 17 Prozent. Wichtige | |
Herkunftsländer sind China, Polen, Indien, Russland und Kamerun. Das ist | |
eine bemerkenswerte Entwicklung für eine Stadt, die in den neunziger Jahren | |
oft wegen fremdenfeindlicher Gewalt in die Schlagzeilen geriet. Es kam vor, | |
dass rechtsgerichtete Jugendliche Ausländer durch die Stadt jagten. | |
Inzwischen aber hat sich das Klima gewandelt. | |
Die Polizeistatistik verzeichnet seit Jahren immer weniger rechte | |
Straftaten in Cottbus. „Bei den Politikern, der Gewerkschaft, den Kirchen | |
und bei vielen Bürgern herrscht Konsens, dass wir Rechtsradikalismus nicht | |
wollen“, sagt der evangelische Studentenpfarrer Reinhard Menzel. Die | |
Sprecherin der BTU, Marita Müller, erzählt von der engen Zusammenarbeit der | |
Unileitung mit den Stadtoberhäuptern. Beim jährlichen Stadtfest | |
präsentierten ausländische Studenten ihr eigenes Kulturprogramm, was zur | |
Verständigung beitrage. | |
Menzel sagt: „Wir raten ausländischen Studierenden trotzdem: Geht abends | |
lieber in Gruppen durch die Stadt!“ In Gesprächen mit Cottbusern, auch mit | |
Studenten, nehme er bisweilen eine latente Fremdenfeindlichkeit wahr. | |
„Diese Leute machen Ausländer für alle Probleme verantwortlich, etwa dafür, | |
dass es zu wenig Jobs gibt.“ | |
## Gewaltdrohungen im Zugabteil | |
Am Hauptbahnhof wirkt Cottbus weniger einladend als rund um die Uni. Eine | |
breite, laute Straße, dahinter ein Einkaufszentrum und monotone Gebäude aus | |
der DDR-Zeit. Viele Studenten kommen nur zum Einkaufen hierher und bleiben | |
sonst meist auf dem Campus. Das liegt nicht nur daran, dass sie sich mit | |
manchen Einheimischen kaum verständigen können. Gerade die älteren | |
Cottbuser sprechen kaum Englisch. | |
Außerhalb des Campus kann es doch noch passieren, dass sie angepöbelt | |
werden. Eine deutsche Studentin erzählt, wie sie im September mit | |
Kommilitonen aus Aserbaidschan, Indien und Afrika im Zug nach Berlin fuhr. | |
Eine Gruppe von Männern zwischen 25 und 40 Jahren baute sich vor ihnen auf. | |
„Sie fragten, was die Ausländer hier in Deutschland zu suchen hätten. Sie | |
drohten, dass sie ihnen die Kehle aufschneiden würden.“ | |
Zum Glück stiegen die Männer vor den Studenten aus. Sie waren so geschockt, | |
dass sie nicht an eine Anzeige bei der Polizei gedacht hätten, sagt die | |
Studentin. | |
## | |
## Geschichten von Bären und Wölfen | |
Jeffrey Paul Walusa hat fremdenfeindliche Übergriffe bislang nicht selbst | |
erlebt. Aber er hat davon gehört. Einmal traf er einen Asylbewerber aus | |
Kenia. Der Mann sei in einem der Cottbusser Plattenbaubezirke so geschlagen | |
worden, dass er ins Krankenhaus musste. Doch wo Studenten sind, herrsche | |
keine Gefahr für ihn und die anderen Ausländer, da ist Walusa sich sicher. | |
Kontakte knüpft der evangelische Christ vor allem über die Cottbuser | |
Studentengemeinde. In diesem Semester wurde er zu einem ihrer Sprecher | |
gewählt. Wie an fast jedem Dienstagabend ist er in die Erdgeschosswohnung | |
im Stadtzentrum gekommen, in der sich ein Dutzend Studenten und Pfarrer | |
Menzel versammeln. Ein paar Studentinnen legen Käse, Wurst und Tomaten auf | |
Teller und schneiden Paprika. Die anderen sitzen schon an der langen Tafel. | |
Zwei Rumänen erzählen auf Englisch von den Bären und Wölfen in ihrer | |
Heimat. „Bei uns dringen die Füchse bis in die Städte vor“, sagt ein | |
Deutscher. Dann singen sie ein christliches Lied und essen Abendbrot. | |
## Spannung bis zum Schluss des Satzes | |
Jeffrey Paul Walusa unterhält sich mit Adi aus Nigeria und Estéban aus | |
Ecuador, der seine Doktorarbeit schreibt. Sie scherzen über die deutsche | |
Sprache, die allen dreien schon viel Mühe bereitet hat. In vielen Sätzen | |
steht das Verb am Ende. So bleibt die Spannung, was eigentlich gesagt wird, | |
bis zum Schluss. „Ich freue mich, dass du heute gekommen bist“, sagt er auf | |
Deutsch ganz langsam zu Adi, der erst ein paar Unterrichtsstunden hinter | |
sich hat. Adi soll den Satz wiederholen, aber er verhaspelt sich. „Du musst | |
Deutsch lernen, das hilft dir, hier zurechtzukommen“, sagt Jeffrey Paul | |
Walusa. | |
Adi sagt von sich, dass er nun einigermaßen in Deutschland angekommen sei. | |
In den Semesterferien jobbt er in einer Berliner Kaffeerösterei, schleppt | |
Säcke, um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren. In Berlin seien die | |
Stundenlöhne höher als in Leipzig und Cottbus. Vielleicht will Jeffrey Paul | |
Walusa in Deutschland noch einen Master machen, vielleicht auch in Uganda | |
Arbeit suchen. Eine Biogasanlage auf dem Land bauen oder die | |
Wasserversorgung in Kampala verbessern, das sind zwei mögliche | |
Perspektiven. | |
Auch Barbara Maciejewska glaubt, dass ihr das Studium in Cottbus gute | |
Chancen eröffnet. Die 21-jährige Polin hat in Poznan eine Schule mit | |
intensivem Deutschunterricht besucht. Sie spricht die Sprache perfekt, nur | |
einen leichten Akzent hat sie. Barbara studiert im dritten Jahr | |
Architektur, das in Cottbus auf Deutsch angeboten wird. Sie steht in dem | |
hellen, geräumigen Atelier ihres Fachbereichs. Die Architekturstudenten | |
haben Schlüssel für die Räume, können zu jeder Tageszeit an ihren Entwürfen | |
arbeiten. | |
Barbara Maciejewska zeigt eine Skizze der Gegend um den Schäfersee in | |
Berlin. Ihre fünfköpfige Arbeitsgruppe überlegt, wie man das Viertel neu | |
gestalten könnte. Ob ihre Ideen einmal umgesetzt werden, weiß sie nicht. | |
Doch ihr gefällt, dass sie an einem konkreten Problem arbeiten. Das Studium | |
sei praxisnah im Unterschied zu dem, was in Polen üblich sei. Deshalb sei | |
sie auch so häufig im Atelier. „Im ersten Semester war ich so oft hier, | |
dass ich hier fast gewohnt habe“, scherzt sie. Tatsächlich lebt sie in | |
einer WG mit polnischen Studenten. | |
## Übersichtlich und gut ausgestattet | |
Nach der Schule hatte sie sich zunächst an einer polnischen Uni beworben. | |
Doch dann erzählte ihr ein Schulfreund, der schon in Cottbus studierte, von | |
den Vorteilen der BTU. „Die Uni ist übersichtlich und gut ausgestattet, und | |
die Studenten werden gut betreut“, schwärmte er. Cottbus sei nur | |
zweieinhalb Stunden von Poznan entfernt. | |
So kam sie im Mai 2011 zu einem vierwöchigen Probestudium. Jede Woche | |
stellte sich eine andere Fakultät vor. Es gab Rundgänge und Feste mit den | |
Studenten. Maciejewska war so begeistert, dass sie auf ihren Platz an der | |
polnischen Uni verzichtete. | |
Neben dem Praxisbezug begeistert sie vor allem, dass das Studium nicht so | |
verschult sei wie in ihrer Heimat. Dort werde den Studenten streng | |
vorgeschrieben, wann sie welche Kurse zu besuchen hätten. In Cottbus hat | |
sie mehr Wahlfreiheit, sagt sie: „Und der Professor macht keinen | |
Unterschied zwischen deutschen und ausländischen Studenten. Ich habe auch | |
noch nie erlebt, dass jemand nicht mit mir zusammenarbeiten wollte, weil | |
ich aus Polen bin.“ | |
## Begeisterung trotz historischer Lasten | |
Ja, sie habe von fremdenfeindlichen Übergriffen in der Vergangenheit | |
gehört. Aber weder sie noch ihre polnischen Freunde hätten bislang | |
schlechte Erfahrungen gemacht. | |
In der Mensa sitzen die Studenten in Gruppen zusammen. Barbara Maciejewska | |
nippt an ihrem Kaffee. Sie erzählt von ihrer Familie in Poznan. Ihre | |
Urgroßeltern wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts dazu gezwungen, Deutsch | |
zu sprechen. Poznan gehörte damals zu Preußen. Ihr Großvater und ihre | |
Eltern waren erst ein wenig skeptisch, als sie sich in Cottbus bewarb. | |
Jetzt freuen sie sich mit ihr, dass sie dort eine gute Ausbildung bekommt. | |
Auch die meisten ihrer Bekannten fänden das toll, sagt Barbara Maciejewska: | |
„Viele Polen wollen ja in Deutschland arbeiten. Nur ganz wenige sagen, dass | |
sie nie hierher gehen würden, wegen der Geschichte.“ | |
1 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Josefine Janert | |
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