# taz.de -- Private Unterkünfte für Flüchtlinge: Einmal Deutschland und zur�… | |
> Iraker fliehen vor dem Krieg. In Deutschland stoßen sie auf Skepsis und | |
> Ablehnung – aber auch auf Menschen, die ihnen die Türen öffen. | |
Bild: Vereint: Heinrich (Mitte) zwischen seinen leiblichen Eltern (r.) und sein… | |
LOHNE taz | Die irakische Flagge steht auf dem Gemälde vom letzten | |
Abendmahl. Er hat sie selbst gebastelt, schwarz, rot und weiß, und zwischen | |
die grünen Sterne „Allahu Akbar“ geschrieben, Gott ist groß. Auf dem | |
Gemälde darunter: Jesus im Kreis der Apostel, im Nahen Osten, lange bevor | |
es die Nationalstaaten gab, die nun wieder zu zerfallen drohen. | |
Er läuft die Treppe hinauf in den ersten Stock, holt den Laptop aus seinem | |
Zimmer und klickt sich durch Fotos seiner Familie, Aufnahmen aus dem | |
Nordirak, aus Dohuk, die Eltern im Heimatdorf Faidah, Bilder von dem Haus, | |
in dem nun niemand mehr wohnt. Die Wände waren rosafarben gestrichen, | |
Matratzen für seine vier Geschwister stapelten sich in der Zimmerecke. Ein | |
Foto zeigt die Dorfkirche. Zerstört. | |
Auf dem Esszimmertisch der Familie Mönnich steht frischer Filterkaffee, | |
Orangensaft, Russischbrot und Gebäck. „Er will am liebsten ein ganz | |
normaler Junge sein“, hat Bernadette Mönnich zuvor am Telefon erklärt. | |
Vielleicht könne man ihm in der Zeitung ja einen anderen Namen geben. | |
Er findet die Idee gut, nimmt sich ein Stück Gebäck, überlegt und lacht: | |
„Du kannst mich ja Heinrich nennen.“ Also gut: Heinrich. Heinrich aus | |
Faidah im Nordirak, sesshaft in Lohne, Niedersachsen. | |
## Jedenfalls „kein Platzproblem“ | |
Es ist Jahre her, dass Heinrich, der im Sommer seinen 18. Geburtstag | |
gefeiert hat, das letzte Mal im Irak war. Die Fotos auf dem Laptop haben | |
ihm seine Eltern geschickt – die leiblichen. Für Bernadette und Thomas | |
Mönnich ist Heinrich ein „Pflegesohn“. Warum sie ihn damals aufgenommen | |
haben? Thomas überlegt. „Wir hatten kein Platzproblem“, sagt er dann, der | |
Feuerwehrmann aus Lohne, 53 Jahre, die Kinder – die leiblichen – waren aus | |
dem Haus. | |
Dass Heinrich in Lohne wohnt, hat viel mit den Mönnichs zu tun, damit, dass | |
sie Heinrich mochten, ihm vertrauten und „kein Platzproblem“ hatten. | |
Vielleicht auch mit Heinrichs Hartnäckigkeit, die Bernadette Mönnich immer | |
wieder betont. Mit den Dschihadisten des „Islamischen Staats“ jedenfalls, | |
die diesen Sommer weite Teile des Iraks unter ihre Kontrolle brachten, hat | |
es nichts zu tun. Da war Heinrich schon längst weg aus dem Irak. | |
Seine Eltern waren nach Deutschland ausgewandert – erst der Vater, 2009 | |
dann die Mutter mit den fünf Kindern, Familienzusammenführung. „Eine | |
grausige Geschichte“, sagt Bernadette Mönnich. Schleuser hatten Heinrichs | |
Vater nach Europa gebracht. „Er hat mir erzählt, wie irgendwann die Tür des | |
Lkws aufging, in dem sie ihn versteckt hatten. Zu Fuß musste er die Grenze | |
nach Deutschland überqueren.“ | |
## Der Anschlag von Sindschar | |
In den deutschen Medien spielte der Irak damals kaum eine Rolle. Von der | |
religiösen Minderheit der Jesiden, die heute im Norden des Landes vor den | |
Dschihadisten fliehen, hatten nur die wenigsten Deutschen schon einmal | |
gehört. Heinrichs Familie aber litt bereits damals unter dem islamistischen | |
Terror. In den frühen Abendstunden eines Augusttages 2007 hatten sich vier | |
Selbstmordattentäter in verschiedenen Wohnvierteln im Nordirak zeitgleich | |
in die Luft gesprengt. Der Anschlag von Sindschar galt den Jesiden. Die | |
Terroristen töteten mindestens 400 Menschen. Und verunsicherten Tausende. | |
In Lohne fand Heinrichs Familie Sicherheit. Für Bernadette Mönnich waren | |
Heinrich und seine Geschwister die ersten ausländischen Kinder, die sie | |
betreute. | |
Bernadette Mönnich. 51 Jahre, gelernte Krankenschwester. Spricht kein | |
Arabisch, nur wenige Wörter Kurdisch. Scheut nicht zurück vor Bürokratie, | |
kennt die Sachbearbeiterin in der Ausländerbehörde beim Namen. Zwei Söhne, | |
Jan und Lenard, ein Bild des Stiefsohns an der Wand. Mit vierzig hat sie | |
angefangen zu studieren. Gerontologie, Alterswissenschaft. Das Diplom, sagt | |
Bernadette, hat sie irgendwann „doch noch geschafft“. Dann unverhofft eine | |
Anstellung im Jugendzentrum von Lohne. Jugendliche statt Alte. | |
Eines Tages klingelte das Telefon im Jugendzentrum, erzählt Bernadette. | |
Eine Schule, sie hätten Kinder aus dem Irak, die kein Deutsch sprächen, dem | |
Unterricht nicht folgen könnten, ob man da nicht irgendwie helfen könnte. | |
Bernadette Mönnich half: „Drei Jahre lang ging ich ein und aus in der | |
Familie“, erinnert sie sich. Man beschnupperte sich, lernte einander | |
kennen, baute Vertrauen auf. Heinrichs Vater fand Arbeit als | |
Produktionshelfer bei Wiesenhof, der Geflügelschlachterei, „hatte immer | |
einen Job“, betont Bernadette. Die Kinder gingen zur Schule, die Mutter | |
machte die Hausarbeit. | |
## Rückkehr in den Irak | |
Dann, im Sommer 2012, kehrte Heinrichs Familie mit allen Kindern nicht aus | |
dem Urlaub im Irak nach Lohne zurück. Vielleicht, so hofften seine Eltern | |
damals noch, gebe es im Nordirak ja doch eine Zukunft für, ohne Angst vor | |
Terroristen, ein friedliches Zusammenleben von Kurden und Arabern, von | |
Christen, Jesiden und Muslimen. | |
Heinrich kam die Entscheidung seiner Eltern in den Plan ganz und gar | |
ungelegen, er wollte das Leben, das er sich in Lohne gerade erst aufgebaut | |
hatte, nicht schon wieder als Zwischenstation abtun. „Am Anfang hatte ich | |
ja immer in den Irak zurückgewollt, aber das war vorbei, nachdem ich | |
Deutsch gelernt hatte.“ Nur ein Jahr blieb noch bis zum | |
Hauptschulabschluss. „Ich wollte einfach Schule weitermachen“, sagt er, | |
„und eine Ausbildung.“ Aus dem Irak schrieb er den Mönnichs über Facebook. | |
Wenige Wochen später landete er wieder auf deutschem Boden. Gerade 16 Jahre | |
alt geworden, ließ er die Eltern in 3.000 Kilometern Entfernung zurück. Die | |
Mönnichs hatten getan, was sie tun, wenn ihnen etwas wichtig ist: Dinge in | |
Bewegung gesetzt. | |
Es gebe zwar gute Menschen in Lohne, sagt Bernadette, aber auch viele | |
institutionelle Hürden. „Wie kann man nur so paragrafenreiterisch sein?“ | |
Dabei hätten die Leute in Lohne das Gutsein eigentlich gepachtet, | |
erzkatholisch seien sie ja hier. „Wenn hier einer aus der Kurve fliegt, | |
landet er nicht im Graben, sondern an ’nem Kreuz“, wirft Thomas Mönnich | |
ein. Die Jugendlichen aus Irak oder Syrien kämen ja oft erst mit 15 oder 16 | |
Jahren nach Deutschland. Ohne Hilfe könne niemand in ein oder zwei Jahren | |
einen Schulabschluss machen, sagt Bernadette. „Und das sind die Jungs und | |
Mädels unserer Zukunft.“ Sie wirft Heinrich einen Blick zu: „Er hier muss | |
für meine Rente arbeiten.“ | |
## Vor allem eins: hartnäckig | |
Heinrich arbeitet, bereits seit einem Jahr. Mittlerweile ist sein Deutsch | |
fast perfekt. Allein das „ch“ bereitet ihm ein wenig Schwierigkeiten, zum | |
Beispiel, wenn er Verfahrenstechnik sagt. Im Irak wüssten die Leute gar | |
nicht, was das sei. In Lohne lernt er Verfahrenstechnik bei der Pöppelmann | |
GmbH – Kunststoffe verarbeiten, Maschinen programmieren, | |
Produktionsprozesse optimieren. „Pöppelmann hat ihn hoch gelobt“, sagt | |
Thomas Mönnich. In der Firma seien alle ganz angetan von dem Azubi. „Sehr | |
ehrgeizig“, beschreibt Bernadette ihren Pflegesohn, „und hartnäckig“. Sie | |
meint die Facebook-Nachricht, die er ihnen damals aus dem Irak schrieb. | |
Die Dschihadisten, die Luftschläge der internationalen Koalition, die | |
Plünderer, von denen die Eltern berichtet haben und die die Kühlschränke | |
aus Faidah mitnahmen – all das ist weit weg von Lohne, Pöppelmann und den | |
Mönnichs, mit denen Heinrich nun seit zwei Jahren den Frühstückstisch | |
teilt. Vielleicht hätte er die Probleme endgültig hinter sich lassen | |
können, wären da nicht seine Angehörigen gewesen. „Im Frühling, als Isis | |
noch nicht groß war“, erzählt Thomas Mönnich, „wollte Heinrich zu seiner | |
Familie in den Irak an seinem 18. Geburtstag.“ Anschließend, frisch | |
volljährig, hätte er wieder problemlos nach Deutschland einreisen können. | |
Doch dann starteten die Gotteskrieger des Islamischen Staats ihren blutigen | |
Feldzug, die Ereignisse überschlugen sich. | |
Heinrichs Familie musste erneut aus Faidah fliehen, sie kam vorerst bei | |
Verwandten in Dohuk unter. Heinrich blieb in Lohne. „In den Irak zu fahren | |
hätten wir ihm nicht erlaubt“, sagt Thomas. „Da hätten sie ihm nur den Ko… | |
abgeschnitten“, sagt Bernadette. Die Mönnichs taten noch einmal, was sie | |
tun, wenn ihnen etwas wichtig ist. Wenn der Sohn nicht zur Familie kann, | |
warum nicht die Familie zum Sohn holen? | |
## Jetzt sind sie zu neunt | |
Bernadette telefonierte, füllte Formulare aus, klapperte Behörden ab, | |
Heinrich telefonierte, sein Vater füllte Formulare aus, klapperte Behörden | |
ab. Innerhalb weniger Wochen wurde die Familienzusammenführung erneut | |
genehmigt, diesmal andersherum: Die Eltern reisten ihrem Sohn hinterher, | |
mitsamt den Geschwistern. „Ich wusste vorher auch nicht, dass das geht“, | |
sagt Bernadette Mönnich. | |
Parfüm und eine Armbanduhr haben ihr Heinrichs Eltern als Gastgeschenk | |
mitgebracht, für Thomas zwei T-Shirts. Die Mönnichs sind nun vorerst zu | |
neunt zu Hause. Heinrichs Vater würde gern wieder bei Wiesenhof arbeiten. | |
„Jobcenter, Ausländerbehörde, Krankenversicherung“ – das übliche Progr… | |
stehe jetzt an, sagt Bernadette. „Und hoffentlich finden wir bald eine | |
Wohnung für die Familie, eigentlich wollten wir ja am Freitag in den Urlaub | |
fahren.“ Wir, das sind Thomas und sie. | |
7 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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