| # taz.de -- Bolivien vor der Wahl: Das gute Leben muss warten | |
| > Bolivien legt eine rasante ökonomische Entwicklung hin. Dabei könnte das | |
| > in der Verfassung verankerte Konzept des „Buen Vivir“ auf der Strecke | |
| > bleiben. | |
| Bild: Am Sonntag wird gewählt – auch das Buen Vivir ist Thema. | |
| HAMBURG taz | Luis Alberto Arce Catacora winkt nur gelangweilt ab. „Ja, ja, | |
| das ist der alte Vorwurf, dass wir neoliberaler agieren würden als unserer | |
| Vorgänger“, sagt er müde lächelnd. Boliviens Wirtschafts- und | |
| Finanzminister kennt die Argumente der Kritiker. Sie unterstellen ihm und | |
| seiner Regierung, nur noch in Großprojekten zu denken und die Bodenhaftung | |
| verloren zu haben. | |
| Der 51-Jährige ist der Architekt des bolivianischen Wirtschaftsmodells, das | |
| auf der Industrialisierung des lateinamerikanischen Landes basiert. | |
| Kritiker werfen der Politik vor, dass dieses Modell nicht mit dem Konzept | |
| des „Buen Vivir“ zu vereinbaren ist, das seit 2008 in Boliviens Verfassung | |
| verankert ist. | |
| Das Konzept des „Buen Vivir“, des guten Lebens, greift die Traditionen der | |
| indigenen Völker der Anden auf. Gemeint ist nicht nur materieller | |
| Wohlstand. Der Begriff zielt auch auf soziale Rechte und die Zufriedenheit | |
| aller Mitglieder der Gesellschaft ab – und all das nicht auf Kosten der | |
| Natur, sondern im Gleichgewicht mit der Umwelt. | |
| Skeptiker der Regierung unter Präsident Evo Morales sind der Auffassung, | |
| dass dies in der Politik der vergangenen Jahre zu kurz gekommen ist. Doch | |
| das anhaltende Wachstum unterstützt auch die Popularität des Präsidenten. | |
| Am 12. Oktober stellt Morales sich der Wiederwahl. Es kandidieren zwar auch | |
| vier Oppositionskandidaten. Die haben nach Umfragen aber keinerlei Chancen | |
| gegen Morales. | |
| ## Wachstum gefeiert | |
| 2013 konnte die Regierung ein Wachstum von 6,8 Prozent feiern. Statt wie | |
| seit der Zeit der spanischen Besetzung nur Rohstoffe zu exportieren, lautet | |
| das Credo von Wirtschaftsminister Arce Catacora heute, dass alles, was das | |
| Land mit dem Stempel „Hecho en Bolivia“ verlässt, in der einen oder anderen | |
| Weise weiterverarbeitet sein sollte. | |
| Bolivien solle einen Mehrwert erwirtschaften, sich nicht mit der Rolle des | |
| Lieferanten begnügen, sondern selbst liefern. „Kein Land kommt heutzutage | |
| ohne technologische Fortschritte aus, wir müssen in die wissenschaftliche | |
| Entwicklung investieren, mehr Know-how erlangen. Ein Land, welches keine | |
| technologischen Produkte herstellt, ist heutzutage schnell abgehängt“, | |
| betont er. | |
| Morales hat im August erst auf die guten Perspektiven beim Export von | |
| Elektrizität nach Brasilien und Argentinien hingewiesen. Dafür sollen neue | |
| Staudämme und Kraftwerke gebaut werden. Die Fertigung von Lithium-Batterien | |
| soll von der Pilot- in die industrielle Fertigungsphase katapultiert | |
| werden, und auch ein Ausbau der Lebensmittelproduktion ist geplant. | |
| ## Kritik von Umweltschützern | |
| Das hat Folgen auf die Natur des Landes: „Dazu wurden von der Regierung in | |
| La Paz bereits zehn Millionen Hektar Regenwald freigegeben, um die | |
| Anbauflächen zu erweitern“, kritisiert der Umwelt- und | |
| Gewerkschaftsaktivist Oscar Olivera. „In Bolivien herrscht eine | |
| Exportmanie. Alles muss versilbert werden, statt sparsam mit den Ressourcen | |
| umzugehen und Pachamama zu schonen.“ | |
| Pachamama ist die Mutter Erde, mit der sich die indigene | |
| Bevölkerungsmehrheit Boliviens eigentlich in Harmonie zu leben bemüht, | |
| sprich: ressourcenschonend. Das ist auch Wirtschafts- und Finanzminister | |
| Arce Catacora klar. Er kann sich aber etwa Aufforstungsmaßnahmen im | |
| Austausch für die Umwandlung von Wald zu Ackerflächen vorstellen. | |
| Kompensationsmaßnahmen heißt das im Fachjargon. | |
| Bei Umweltschützern wie Oscar Olivera kommt diese pragmatische Haltung | |
| weniger gut an. „Ein Wirtschaftskonzept, dass auf Industrialisierung und | |
| stetiges Wachstum setzt, ist mit der Idee des Buen vivir kaum vereinbar.“ | |
| Naturschützer wie Olivera könnten auf einen Achtungserfolg der neu | |
| formierten grünen Partei Boliviens bei den Wahlen am Sonntag hoffen. | |
| 10 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Knut Henkel | |
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