# taz.de -- Ex-Minister über Wahl in Bolivien: „Besoffen von der Macht“ | |
> Rafael Puente Calvo war einst Vize-Innenminister unter Evo Morales. Jetzt | |
> hofft er, dass der Präsident nicht noch einmal die absolute Mehrheit | |
> bekommt. | |
Bild: Kann vermutlich allein weiterregieren: Boliviens Präsident Evo Morales. | |
Herr Puente, Sie waren erst Mitglied der Regierung von Evo Morales, | |
begleiten sie nun kritisch seit mehreren Jahren und werden auch die Wahlen | |
an diesem Sonntag beobachten. Wie beurteilen Sie die Bilanz von Evo | |
Morales? | |
Rafael Puente Calvo: Die Regierung hat einen Wandel in Bolivien | |
eingeleitet, der teilweise unumkehrbar ist. Die indigenen Völker Boliviens | |
werden es nie wieder akzeptieren, ins zweite Glied zurückgeschickt zu | |
werden. Und: Bolivien hat noch nie in seiner Geschichte ökonomisch so gut | |
dagestanden wie heute. Auch der Bevölkerung geht es besser als früher. | |
Aber: der makroökonomische Erfolg der letzten Jahre schlägt sich nicht eins | |
zu eins in der Lebensqualität der Bevölkerung nieder. | |
Warum ist dann so wenig Kritik zu hören? | |
In den ersten vier Jahren gab es viel soziale Partizipation, es gab | |
Auseinandersetzung, Diskussion, Debatte und ein politisches Projekt: die | |
Erarbeitung der neuen Verfassung und der Prozess der Nationalisierung der | |
nationalen Ressourcen. Seit den Präsidentschaftswahlen vom Dezember 2009 | |
fehlt die inhaltliche Klammer: Die Regierung kann seitdem machen was sie | |
will, denn sie hat die absolute Mehrheit. Macht korrumpiert, Macht ist | |
giftig und sorgt für Selbstüberschätzung. Genau das erleben wir mit der | |
Regierung von Evo Morales und seiner „Bewegung zum Sozialismus“. | |
Wie meinen Sie das? | |
Die Regierung ist nicht mehr auf Partizipation und die Überzeugung der | |
Wähler ausgelegt, sondern darauf, andere Organisationen an sich zu binden. | |
Durch die Gewährung von Vorteilen, durch Druck und auch durch die | |
Einschaltung des Justizsystems. Ich möchte zurück zu einer Regierung, die | |
zuhört, die argumentiert, den Dialog sucht und nicht die Konfrontation. | |
Woran machen Sie das fest? | |
Nehmen Sie die Wirtschaftspolitik. Bis 2010 wurde auf die Partizipation der | |
Wähler geachtet. Heute wird entschieden, was im Kontext des | |
Industrialisierungskonzepts richtig erscheint. | |
Ist denn der proklamierte Schutz von Mutter Erde kein übergeordnetes Ziel | |
mehr? | |
Der Schutz der Mutter Erde hat sich in den letzten Jahren als reine | |
Worthülse entpuppt. In den letzten vier Jahren wurden zehn Millionen Hektar | |
Regenwald zugunsten der Ausdehnung der Anbauflächen freigegeben. Zudem | |
haben sich die Lebensbedingungen auf dem Land nicht wesentlich verbessert, | |
weshalb die Jugend in die Städte flieht. | |
Auf dem alternativen Klimagipfel im Frühjahr 2010 waren die Kleinbauern und | |
ihre ressourcenschonende Produktionsweise ein markantes Thema. Spielen | |
diese Diskussionen heute keine Rolle mehr in Bolivien? | |
Schon damals hat Vizepräsident Álvaro García Linera aufhorchen lassen, weil | |
er eine Art Übergangszeit für Bolivien in Anspruch nahm: Man müsse sich | |
erst industrialisieren und würde folgerichtig mehr emittieren. Zudem | |
plädierte er für die Rohstoffförderung, weil sie der einzige Weg sei, das | |
Land aus Hunger und Perspektivlosigkeit zu führen. Dabei wird nicht immer | |
auf die Bedingungen geachtet, unter denen abgebaut wird. Das halte ich für | |
einen verkehrten Ansatz, denn man muss doch nicht die Fehler der anderen | |
wiederholen. | |
Sie hoffen, dass die Regierung nicht erneut die absolute Mehrheit erhalten | |
wird. Warum? | |
Ich wünsche mir, dass die Regierung den Dialog wieder aufnimmt, Gesetze im | |
Parlament aushandeln und abstimmen muss und nicht einfach beschließen kann. | |
Die Regierung verhält sich wie besoffen von der Macht und es wäre ein | |
Fortschritt, wenn sie nicht mehr allein regieren könnte, sondern sich bei | |
wichtigen Entscheidungen abstimmen müsste. | |
12 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
## TAGS | |
Bolivien | |
Evo Morales | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Konflikt in Boliviens Militär: Rebellion der unteren Ränge | |
Unteroffiziere in Bolivien protestieren gegen Rassismus und fordern bessere | |
Beförderungschancen. Die Armee reagiert mit Massenentlassungen. | |
Kinderarbeit in Bolivien: Mit der Trompete auf der Straße | |
Das Parlament hat Arbeit ab dem Alter von zehn Jahren legalisiert. Schon | |
jetzt arbeiten etwa 850.000 Kinder im Land – unter prekären Bedingungen. | |
Bolivien vor der Wahl: Das gute Leben muss warten | |
Bolivien legt eine rasante ökonomische Entwicklung hin. Dabei könnte das in | |
der Verfassung verankerte Konzept des „Buen Vivir“ auf der Strecke bleiben. | |
Wahlen in Bolivien : Symbol des Wandels | |
Evo Morales stellt sich am Sonntag erneut zur Wahl. Ein Besuch in El Alto, | |
wo Boliviens erster indigener Präsident viel Kredit hat. | |
Wahlen in Bolivien: Erfolgsmodell Evo Morales | |
Der erste indigene Präsident des Landes sieht seiner dritten Amtszeit | |
entgegen. Hintergrund des Erfolgs: Politische, soziale und wirtschaftliche | |
Stabilität. | |
Wahlen in Bolivien: Evo Morales siegt | |
Boliviens Präsident Evo Morales gewinnt die Wahlen mit etwa 60 Prozent der | |
Stimmen. Seine sozialistische Partei erreicht zudem eine | |
Zwei-Drittel-Mehrheit im Senat. | |
Kommentar Evo Morales: Erdöl als Gesellschaftskitt | |
Der Erfolg von Evo Morales ist abhängig von einer guten wirtschaftlichen | |
Lage Boliviens – und damit von Rohstoffen. Für die Umwelt ist das fatal. | |
Präsidentschaftswahl in Bolivien: Klarer Sieg nun auch offiziell | |
Das Endergebnis steht fest: 61 Prozent stimmten in Bolivien für Präsident | |
Morales. Der linke Reformer geht damit in seine dritte Amtszeit. |