# taz.de -- Bergbau in Peru: Im Höhenrausch | |
> La Rinconada in Peru ist die höchstgelegene Stadt der Welt. Es gibt nur | |
> einen Grund, warum dort Menschen leben: Gold, viel Gold. | |
Bild: Giftdämpfe, Kälte, schwere Arbeit und dünne Luft: Die Bewohner von La … | |
LA RINCONADA taz | Als er vor mehr als 30 Jahren zum ersten Mal nach La | |
Rinconada kam, hätte Víctor Mejilla nie gedacht, dass dieser unwirtliche | |
Ort einmal seine Heimat sein würde. Wieso sollte man hier leben? Allein | |
schon die dünne Luft haut einen um. | |
Heute ist er früh aufgestanden. Sechs Uhr, die Sonne ist gerade | |
aufgegangen, Don Víctor, Anfang 50, sitzt im Radiostudio, einem Holzkasten | |
mit Glasscheiben, er trägt eine dicke rote Jacke und Handschuhe. Wenn er | |
lacht, blitzt es golden in seinem Mund. Er fährt die Musik herunter und | |
spricht ins Mikrofon. „La voz del minero“ heißt seine Sendung auf Radio | |
Latina, 100,3 Megahertz, „Die Stimme des Bergmanns“. Die Themen, um die es | |
geht, betreffen hier alle. | |
Denn es gibt nur einen einzigen Grund, warum in La Rinconada überhaupt | |
Menschen leben: Gold, viel Gold. Während in den großen Tagebauminen in Peru | |
pro Tonne Gestein ein bis vier Gramm Gold gewonnen werden, sind es hier bis | |
zu 250 Gramm. | |
Die Stadt wirkt wie ein Ufo, das aus Versehen in der kargen Landschaft der | |
peruanischen Anden gelandet ist. Kleine Wellblechhütten ziehen sich den | |
Hang hinauf in Richtung Gletscher. Sie haben nur einen Raum, keine Küche, | |
kein Bad – und keine Isolierung. Dabei wird es vor allem nachts eisig kalt, | |
auch mal 20 Grad unter Null. Im Zentrum gibt es auch größere Häuser, | |
ineinander verschachtelt, aus Backstein erbaut, unverputzt, bis zu sieben | |
Stockwerke hoch. | |
La Rinconada liegt so hoch wie keine andere Siedlung weltweit: 5.015 Meter | |
über dem Meeresspiegel, so steht es auf dem Ortsschild. Das ist höher als | |
der Mont Blanc. Ganz am Rande der Welt liegt dieser Ort und erzählt gerade | |
deshalb eine Menge über das Wesen der Menschen, ihre Leidensfähigkeit – und | |
die gravierenden Nebenwirkungen beim Streben nach Glück und Profit. | |
Don Víctor war gerade 18 Jahre alt, als er La Rinconada wegen eines | |
Fußballspiels besuchte. Er kam wieder, um zu arbeiten – und blieb. „Damals | |
haben vielleicht 300 Leute hier gewohnt und wir kannten uns alle.“ Aber | |
dann zogen immer mehr hierher, Glücksritter, Geschäftsleute. Heute dürfte | |
die Stadt zwischen 40.000 und 50.000 Einwohner haben. „Der Regierung“, sagt | |
er, „war das Schicksal von La Rinconada von Anfang an völlig egal.“ | |
## Es stinkt, süßlich, stechend | |
Auf der Straße ist das Leben aufgetaut. Es geht zu wie in einem | |
Ameisenhaufen, eng, voll, wuselig. Einigermaßen befestigt sind nur die | |
beiden Hauptstraßen, die durch Treppen miteinander verbunden sind. Alle | |
anderen Wege bestehen aus Schotter und zähem grauen Schlamm. Es stinkt, | |
süßlich, stechend. | |
Der Weg zu den Minen führt durch die Einkaufsstraße, hier bekommt man fast | |
alles: Schuhe, Fernseher, Monopoly-Spiele. Bergleute kommen einem entgegen. | |
Manche tragen den Helm mit der Lampe noch auf dem Kopf, andere in der Hand. | |
Das Stollenfeld sieht aus wie ein riesiger Sandkasten gefüllt mit Schotter. | |
Überall wird gebuddelt. Ein Vorderkipper fährt vorbei, Männer schleppen | |
gelbe Plastiksäcke auf dem Rücken, gefüllt mit 30 bis 40 Kilogramm Gestein. | |
Frauen sitzen auf den Abraumhalden und klopfen Steine, den ganzen Tag. | |
Unter Tage arbeiten zwischen 8.000 und 12.000 Bergleute für insgesamt 450 | |
Unternehmer. Manche haben mehrere hundert Arbeiter unter Vertrag, andere | |
nur eine Handvoll. Es ist eine Grauzone. Der informelle Bergbau ist nicht | |
illegal, aber auch nicht reguliert – noch nicht. | |
## Kein festes Gehalt, aber eine Chance auf das große Glück | |
Eine örtliche Besonderheit: Die Bergleute bekommen kein festes Gehalt, | |
sondern arbeiten fast den ganzen Monat unbezahlt für die Firma – und danach | |
ein paar Tage nur für sich. Das Gold, das sie in dieser Zeit finden, dürfen | |
sie behalten. Der sogenannte Cachorreo ist eine Lotterie, an der die | |
Bergleute sehr hängen. Denn mit etwas Glück können sie hier richtig viel | |
Geld verdienen. | |
Darauf nimmt auch Víctor Mejilla Bezug, als er bei einer Bürgerversammlung | |
auf dem Hauptplatz das Wort erhebt, es geht um aktuelle Themen, die die | |
Stadt bewegen. „Viele verschließen die Augen und Ohren vor den Ergebnissen | |
unseres Protestes“, ruft er. „Aber wir haben doch erreicht, dass das | |
Präsidialdekret 27 den Cachorreo als Bezahlmethode anerkennt.“ | |
Er spricht als Präsident des Comité de Lucha. Das ist eine Organisation, | |
die sich für die Interessen der Bewohner einsetzt, gegenüber der | |
Kommunalverwaltung oder der Regierung in Lima. Manche versuchten, die | |
Bevölkerung zu spalten, warnt Don Víctor. „Das müssen wir verhindern!“ | |
## Kein fließend Wasser, kein Abwassersystem | |
Er ist stolz darauf, dass sie es geschafft haben, überhaupt eine | |
Gemeinschaft aufzubauen. Die Eltern haben Geld gesammelt, damit für die | |
Grundschule neue Klassenzimmer gebaut werden konnten. Aber es bleibt noch | |
viel zu tun. Nach wie vor gibt es weder fließend Wasser noch ein | |
Abwassersystem. | |
Der Staat ist nicht sehr präsent in La Rinconada, aber manchmal fährt er | |
dick auf. Im Zentrum wird ein neuer Platz eingeweiht: Betonmäuerchen, gelb | |
und rot gestrichen, Beete mit Kunstrasen. Bürgermeister José Mamani Yucra | |
sitzt mit einem halben Dutzend weiterer Würdenträger an einem langen Tisch. | |
Nacheinander greifen sie nach dem Mikrofon – und loben vor allem sich | |
selbst. Schließlich haben sie den Anwohnern ein „schönes Bauwerk“ | |
geschaffen. Nur: Kaum einer interessiert sich dafür. | |
Viele in der Stadt kritisieren den Bürgermeister. Er sei nie da, tue viel | |
zu wenig. Er weist das zurück. Er arbeite ehrenamtlich und müsse oft | |
unterwegs sein, um Mittel zu akquirieren. Er hat keinen leichten Job. La | |
Rinconada ist offiziell nicht einmal eine richtige Stadt, sondern als | |
„Centro Poblado“ einer Hauptgemeinde untergeordnet, die Gelder bewilligen | |
muss. | |
## „Compro oro“, steht an Rosalinas Laden, „ich kaufe Gold“ | |
Die Bewohner selbst seien mit Schuld daran, dass in La Rinconada vieles | |
nicht so gut läuft, sagt der Bürgermeister. „Sie müssen sich mehr für ihre | |
Stadt engagieren.“ Viele kämen nur, um auf die Schnelle Geld zu verdienen. | |
An Rosalinas Geschäft hängt ein buntes Schild in einem Design, wie es zu | |
einer Spielhalle passen würde. „Compro oro“ steht darauf, ich kaufe Gold. | |
Im einzigen Raum steht ein abgewetztes Ledersofa, auf dem Tresen eine | |
goldene Winke-Katze. Mehrere Dutzend solcher Geschäfte gibt es in der | |
Stadt, sie haben alle exakt denselben Stil. | |
Rosalina ist 23 Jahre alt, rundes Gesicht, große Ohrringe, eine Wolldecke | |
nutzt sie als warmen Rock. Seit knapp einem Jahr arbeitet sie hier. | |
Inzwischen hat sie eine Freundin mit ins Boot geholt. In Juliaca, | |
dreieinhalb Busstunden tiefer, haben sie Rechnungswesen studiert, jetzt | |
arbeiten sie jeden Tag und spekulieren auf schnellen Gewinn. Ein Eldorado | |
auf Zeit. | |
## Peru ist der größte Goldexporteur Südamerikas | |
Rosalinas Ankaufgeschäft ist der letzte Schritt der Goldproduktion. Zuerst | |
werden die Steine zerkleinert, dann kommen sie in eine Trommel, die an eine | |
Waschmaschine erinnert. Quecksilber wird dazu geschüttet und in einigen | |
Stunden löst das Schwermetall das Gold vom Gestein und verbindet sich mit | |
ihm. Das Amalgam bringen die Bergleute zu Rosalina, in einem gasbetriebenen | |
Ofen erhitzt sie es. Zurück bleibt pures Gold. | |
„Hier oben gibt es einfach mehr Möglichkeiten“, sagt Rosalina. „Hier | |
verdiene ich mehr.“ Das Gold verkauft sie weiter an einen Zwischenhändler, | |
ein Großteil wird ins Ausland exportiert, vor allem nach Europa. Peru ist | |
der größte Goldexporteur Südamerikas, der Bergbausektor verschafft dem Land | |
fast zwei Drittel der Exporterlöse. | |
Über was Rosalina nicht so gerne spricht: Das Quecksilber ist hoch toxisch. | |
Schon beim Mischen geht ein Teil des Gifts in die Umgebung ab, noch mehr | |
wird beim Erhitzen durch die Schornsteine gepustet. Rosalina hat andere | |
Sorgen: „Weil es hier viel Geld gibt, gibt es auch eine ganze Menge | |
schlechter Dinge“, sagt sie nüchtern. „Prostitution, Alkohol, Drogen, viel | |
Kriminalität.“ Sie will nicht hier bleiben. | |
## Die Bergmänner tanzen in Arbeitsmontur | |
Samstagabend, in einem der vielen Nachtclubs. Lichteffekte blitzen durch | |
die Dunkelheit. Es riecht nach Bier und Schnaps, der gesamte Boden ist mit | |
einer klebrigen Plastikfolie bedeckt. Die meisten Bergmänner trinken und | |
tanzen in Arbeitsmontur, vor allem trinken sie. Es läuft der 80er-Jahre-Hit | |
„Live Is Life“. | |
Am Rand sitzen junge Frauen auf Barhockern, leicht bekleidet und | |
geschminkt. Die Mädchen sollen die Männer zum Trinken animieren – und am | |
Ende gehen sie oft miteinander ins Bett. So erklärt es Hermila Oblitos, die | |
als Hebamme arbeitet und sich um jene in der Stadt kümmert, denen sonst | |
keiner hilft. | |
Wie viele Barmädchen es in den rund 100 Nachtclubs gibt, weiß auch sie | |
nicht. Sie ist sich aber sicher, dass sich auch viele Minderjährige | |
prostituieren. Viele sollen aus dem Nachbarland Bolivien verschleppt worden | |
sein. Aber meist haben die jungen Frauen keinen Ausweis und sind auch nicht | |
bereit, gegen die Schlepper auszusagen. | |
## Blutarmut, Atemwegserkrankungen, Arbeitsunfälle | |
Hermilas Oblitos’ Arbeitsplatz ist die Gesundheitsstation am Ortseingang. | |
Hier zählt sie die Probleme auf, mit denen sich die Menschen in La | |
Rinconada am meisten herumschlagen müssen: Blutarmut – im Vergleich zur | |
Meereshöhe gelangt hier nur die Hälfte des Sauerstoffs in die Lungen –, | |
Atemwegserkrankungen, Arbeitsunfälle. Viel könnte sie hier für ihre | |
Patienten nicht tun, sagt Hermila Oblitos. Die einzige positive | |
Entwicklung: Die Kinderarbeit wurde stark zurückgedrängt. | |
Die peruanische Regierung versucht jetzt, den Bergbau komplett in geordnete | |
Bahnen zu lenken. Umwelt- und Arbeitsstandards sollen überall gelten, auch | |
bisher unregulierte Bergbaufirmen sollen Förderzins und Steuern zahlen. | |
Diese sogenannte Formalisierung ist ein komplizierter und langwieriger | |
Prozess. Zuletzt sollte auch der Goldankauf neu geregelt werden. Rosalinas | |
Zukunft: unklar. | |
Don Víctor spricht sich wie die meisten in La Rinconada für die | |
Formalisierung aus. Gleichzeitig hat er die Sorge, dass die Bergleute am | |
Ende als Verlierer dastehen. „Die großen Minenfirmen wollen den | |
Kleinbergbau am liebsten verschwinden lassen“, sagt er. „Wenn es nach ihnen | |
geht, werden wir am Ende als Illegale von unseren Arbeitsstätten | |
vertrieben.“ Don Víctor befürchtet, dass der Stadt die Lebensgrundlage | |
genommen wird. Man dürfe La Rinconada nicht verteufeln, sagt er. | |
21 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Erb | |
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