# taz.de -- Kinderarbeit in Bolivien: 16 Euro als Tageseinnahme | |
> David ist eins von hunderttausenden Kindern, die in Bolivien arbeiten | |
> müssen. Jetzt hat das Parlament deren Arbeit legalisiert. | |
Bild: Die Plaza Acre in Uyuni. | |
UYUNI taz | David ist 14 Jahre alt. Sagt er zumindest. Tatsächlich wirkt | |
der kleine, schmächtige Junge höchstens wie 12. David arbeitet auf den | |
hundert Metern der Plaza Arce, an der sich sämtliche auf Touristen | |
spezialisierte Lokale von Uyuni befinden. Für Bolivien-Besucher ist die | |
unscheinbare, auf 3.700 Metern Höhe in den Anden gelegene Kleinstadt im | |
Südwesten des Landes nur eine Durchgangsstation, sie wollen weiter, zum | |
größten Salzssee der Welt, der hier gleich um die Ecke liegt. | |
Auf die Plaza kommen die Touristen morgens vor der Tagestour zum | |
Frühstücken. Und abends auf dem Rückweg vom See, um hier ein Lama-Steak | |
oder Pizza zu essen. Das ist die große Chance für David, aber er versucht | |
den ganzen Tag über sein Glück. Jeden Tag, über Wochen. | |
Der 14-Jährige hat Landkarten im Angebot. Sie sind auf kartonartiges Papier | |
gedruckt und sollen alt aussehen. Und wenn ein Tourist keine Karte will, | |
dann hat er noch die Allzweckwaffe aller Straßenhändler im Angebot: bunte, | |
geflochtene Armbändchen, die die hippiesken Rucksackreisenden gern tragen. | |
David ist eins von hunderttausenden Kindern, die in Bolivien arbeiten. Als | |
Schuhputzer, als Erntehelfer, in den Stollen der Minen oder eben als | |
Verkäufer auf den Straßen. Kinderarbeit ist in dem ärmsten Land | |
Lateinamerikas alltäglich. So alltäglich, dass es sogar eine eigene Kinder- | |
und Jugendgewerkschaft gibt, die sich vehement für die Liberalisierung | |
ihrer Arbeit eingesetzt hat. | |
## Lieber Fußball spielen | |
Mit Erfolg: [1][das bolivianische Parlament hat nun ein Gesetz beschlossen, | |
laut dem künftig in bestimmten Fällen schon 12-Jährige angestellt werden | |
können] – wenn es freiwillig und mit Zustimmung der Eltern geschieht. | |
Bisher war das erst für 14-jährige erlaubt. Zudem dürfen sich schon | |
10-Jährige selbst verdingen, also etwa als Straßenhändler wie David. Das | |
ist eine Anpassung der Gesetzeslage an die Realität. | |
David hat einen Wirtschaftsplan. Drei Karten will er verkaufen pro Tag. | |
Aber heute laufen die Geschäfte schlecht. Er hat noch gar nichts verkauft. | |
Für eine Karte nimmt er 50 Bolivianos. „Findest du das zu teuer?“, fragt | |
er. Drei verkaufte Karten, das sind 150 Bolivianos, etwa 16 Euro als | |
Tageseinnahme. Davon muss er noch die Übernachtung bezahlen. Er schläft in | |
einem Alojamiento – so werden die billigesten, meist privaten Unterkünfte | |
in Bolivien bezeichnet. Denn David ist ganz allein in der Stadt. | |
Auch sein Vater verkauft Artesania – also Kunsthandwerk –, aber in Santa | |
Cruz, einer Großstadt im Osten des Landes, eine Tagesreise von Uyuni | |
entfernt. Eigentlich wohnt die Familie in Sucre. Aber auch Davids Vater ist | |
Straßenhändler, immer dort, wo gerade die meisten Touristen sind, je nach | |
Saison. Seinen Sohn hat er nach Uyuni geschickt, damit er in den | |
Schulferien etwas zum kargen Familieneinkommen beiträgt. David kennt das | |
schon, er macht das seit Jahren. | |
Auf der Plaza kickt ein Vater mit seinem Sohn gegen einen Ball. Ob auch | |
David lieber Fußball spielen würde? Ja, murmelt der Junge halbherzig. Er | |
macht eine Pause und fügt dann hinzu: noch lieber würde er studieren. Was | |
genau, weiß er noch nicht. Aber er will an die Uni. Drei Jahre Schule sind | |
es bis dahin noch. | |
Ganz aktuell aber hat er anderen Wunsch: „Spendierst du mir ein Eis?“, | |
fragt er. | |
4 Jul 2014 | |
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## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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