# taz.de -- TV-Serie Gomorrha: Viel Geballer, viel Kokain | |
> Der dritte Aufguss von Savianos Mafiathema scheitert. Die Serie | |
> „Gomorrha“ kommt über Klischees der organisierten Kriminalität Italiens | |
> nicht hinaus. | |
Bild: Filmszene aus „Gomorrha – die Serie“. | |
Wer die brutalen Methoden der Camorra studiere, vor allem ihre | |
Investitionsstrategien, der werde verstehen, worum es heute geht – und zwar | |
nicht nur in Neapel und Umgebung. Mit diesem analytischen Impetus schrieb | |
Roberto Saviano sein epochemachendes Buches „Gomorrha“, das 2006 in Italien | |
und ein Jahr später in Deutschland erschien. | |
Epoche machend: Weil danach zumindest in Ansätzen auch hierzulande anders | |
über das Phänomen der italienischen organisierten Kriminalität (OK) | |
gesprochen wurde. Weniger folkloristisch, mit Blick mehr auf die Opfer als | |
auf die Täter und mit der ganz vorsichtigen Bereitschaft, bei „Mafia“ | |
global, also nicht nur an Palermo und Kalabrien, sondern auch an Mexiko, | |
Kempten oder Erfurt zu denken. | |
Wie zart solche Pflänzchen der Erkenntnis sind, zeigt sich allerdings | |
daran, dass die Erinnerung an das Love-Parade-Unglück in Duisburg jene an | |
das Massaker der kalabresischen ’Ndrangheta 2007 schon vollkommen verdrängt | |
hat – schön zu sehen etwa, wenn man bei Google „Gomorrha+Duisburg“ eingi… | |
Man muss also gar nicht das bittere persönliche Schicksal von Roberto | |
Saviano, der seit Jahren unter Polizeischutz leben muss, mit ins Spiel | |
bringen, um festzustellen, dass der dritte Aufguss des Stoffes kein mehr, | |
sondern ein weniger an Erkenntnis liefert. Nach Buch und Kinofilm ist | |
„Gomorrha – die Serie“ (Regie: Stefano Sollima, Drehbuch: Roberto Saviano | |
u. a.) ein Abstieg. Damit könnte man nun ganz gut leben, denn auch ein Film | |
über, sagen wir, linksliberale Vergewaltiger in Eliteinternaten, muss vor | |
allem als Film funktionieren und nicht als Volkshochschule. | |
## Geld-und-Macht-Maschine | |
Die „Sopranos“ haben aber gezeigt, wie man dem OK-Stoff nach allen | |
Scorseses und Leones noch einmal etwas genial Neues abgewinnen konnte. Die | |
Szenen von „Gomorrha – die Serie“ dagegen hat man alle schon mal gesehen, | |
die Ästhetik ist vom Kinofilm übernommen; und dass es die oft besungenen | |
uralten Mafiawerte nicht gibt, dass die Mafia kein Buddie-Club, sondern | |
eine Geld-und-Macht-Maschine ist, musste spätestens mit Savianos Buch klar | |
sein. | |
Ein gnadenloser Boss, seine nicht minder harte Ehefrau, ein dicklicher | |
Sohn, dem die Schuhe des Vaters zu groß sind, ein gekränkter, ehrgeiziger | |
Aufsteiger, ein Bandenkrieg, viel Geballer, viel Kokain – das sind die | |
Inhaltsstoffe, routiniert und auch musikalisch durchaus cool abgemixt vor | |
der desolaten Kulisse der neapolitanischen Peripherie. Die Darsteller sind | |
gut gecastet, bekommen aber keine Gelegenheit, ihre feststehenden Figuren | |
in der guten alten Commedia della mafia zu verlassen. | |
Wer mehr will als gut abgefederte Unterhaltung, muss sich an ein paar | |
Details halten: Die List etwa, mit der der Gefängnisdirektor den Godfather | |
Pietro Savastano (Fortunato Cerlino) drankriegt – und dessen Angst vor dem | |
Paragrafen 41 bis, also dem verschärften Knast für Mafia-Angehörige, der | |
auch hierzulande so wohlmeinende wie ahnungslose Menschenrechtsverteidiger | |
auf die Barrikaden bringt. Nett ist auch, wenn das Mädchen von Söhnchen | |
Genny Savastano (Salvatore Esposito) Noemi heißt und so blondgelockt | |
daherkommt wie diejenige Noemi, die einst skandalträchtig als Minderjährige | |
mit Silvio Berlusconi ins Bett ging. | |
Diese italienische Produktion als europäische Antwort auf ein Kunstwerk wie | |
„The Wire“ zu promoten, ist natürlich grotesk. Wo „The Wire“ den groß… | |
Anlauf wagt, eine ganze Stadt zu sezieren, wird bei „Gomorrha“ nur das alte | |
Mafiamärchen in Szene gesetzt. Dass man dabei wenigstens nicht einschläft, | |
hebt die zwölf einstündigen Episoden über einen katastrophal öden und nicht | |
minder grotesk hochgejubelten Totalflop wie Dominik Grafs „Im Angesicht des | |
Verbrechens“ dann doch hinaus. Aber schlechter geht immer. | |
10 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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