# taz.de -- Arte-Serie „Rectify“: Aus der Zeit gefallen | |
> Die neue Serie zeigt unseren Alltag aus der Sicht eines modernen Kaspar | |
> Hauser. Schade, dass die Nebenrollen so kitschig gestaltet sind. | |
Bild: Neustart: Daniel Holden (Aden Young) kommt in eine US-Kleinstadt zurück | |
Was macht einer, der sein halbes Leben in einem Loch saß und auf den Tod | |
wartete, als Erstes? Er geht baden. In einem höhlenartigen Badezimmer mit | |
wenig Licht, das an eine Gefängniszelle erinnert. Die Bewegung des | |
Vorderfußes, mit der er in der Wanne liegend warmes Wasser nachlaufen | |
lässt, die ist von früher, das sieht man. | |
Daniel Holden saß 19 Jahre für den angeblichen Mord an seiner | |
Teenagerfreundin Hanna in der Todeszelle, als neue DNA-Tests seine | |
Freilassung bewirken. Nun versucht er klarzukommen. Von diesem Klarkommen | |
erzählt die Fernsehserie „Rectify“, die ab heute drei Donnerstage lang mit | |
je zwei Folgen auf Arte läuft. | |
Daniel ist aus seinem Alltag herausgerissen worden. Zwei Mal. Einmal vor 20 | |
Jahren und nun heute. „Ich hab noch keine Vorstellung, was Zeit hier | |
draußen bedeutet“, sagt Daniel zu seiner Mutter. „Es gab Momente heute, an | |
denen ich dachte, ich wäre nur drei Wochen weg gewesen und ich wäre noch | |
auf der Highschool. Aber überwiegend fühlt es sich so an, als wäre ich | |
immer dort gewesen. Du musst es mir also unter Umständen sagen, wenn es | |
Zeit für mich wird zu gehen.“ | |
Wir beobachten Daniel und er beobachtet die Normalität um ihn herum, die | |
auch unsere ist. Das ist schön und poetisch, weil es mit einer Ruhe und | |
Langsamkeit geschieht, die genauso unzeitgemäß wirkt wie der alte Walkman, | |
den Daniel auf dem Dachboden findet. | |
## Entspannt – und seltsam | |
Aden Young spielt Daniel als modernen Kaspar Hauser, zurückgenommen, | |
entspannt, seltsam. Gar nicht bedrohlich wie Brody in „Homeland“, jener | |
anderen aktuellen Serienvariante des Mannes im Erdloch. So weit, so | |
erfreulich. | |
Nun zu den Frauenfiguren. Es treten auf: Erstens die rote Frau, Daniels | |
Schwester Amantha (Abigail Spencer), eine kettenrauchende Furie mit | |
verfilzten braunen Locken in zu kurzen Blumenkleidern, die ständig | |
versucht, den Anwalt zu verführen. Zweitens die weiße Frau, Daniels | |
Schwägerin Tawney (Adelaide Clemens), ein frommes Blondchen mit einer | |
synchronisierten Fistelstimme. Sie ist die Zarte, die Reine, die | |
Unbefleckte. Die meiste Zeit des Tages verbringt sie im Bett, aber nie | |
darin liegend. Meistens sitzt sie angezogen im Schneidersitz oben drauf und | |
betet. Drittens die Mutter, die das Muttersein erst wieder lernen muss, | |
bedrückend gespielt von Jean Isabel Smith-Cameron. | |
Fast vierzig Jahre ist es her, dass Klaus Theweleit seine Dissertation über | |
die Literatur der Freikorps als konsequente Unterdrückung der weiblichen | |
Sexualität unter dem Titel „Männerphantasien“ bei Rowohlt veröffentliche. | |
Die Frauenbilder der Popkultur sind offenbar dieselben wie vor hundert | |
Jahren. | |
## Kein Whodunit | |
Die Serie entwickelt eine relativ vorhersehbare Geschichte, die nirgendwo | |
zu Ende erzählt wird. Das ist nicht schlimm. Die wirklich spannende Frage | |
ist nicht: Who done it?, sondern: Was macht er jetzt? Wie fühlt es sich an, | |
in ein Leben zurückzukommen, in dem man sich nicht mehr auskennt. Wo sind | |
die Ansatzpunkte? | |
Staunend steht Daniel vor der schönen neuen Welt. Vor den kleinen Sachen: | |
dem Pieper an der Kasse im Spätkauf. Oder den großen Dingen: einer Wand aus | |
Flipflops in der Shoppingmall. „Die Leute essen mehr als früher“, stellt er | |
fest, und sein Stiefbruder schwärmt von All-you-can-eat-Buffets. | |
Wenn der Film das Normale aus den Augen eines aus der Zeit Gefallenen | |
betrachtet, dann ist er toll. Die schablonenhaften Nebenfiguren sind dann | |
nur überflüssiger Kitsch. | |
16 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Lea Streisand | |
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