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# taz.de -- Kommentar Massengräber in Mexiko: Vereinigte Mörder
> Die Drogenmafia verwandelt sich immer mehr in eine paramilitärische
> Truppe, die die Bevölkerung terrorisiert. Der Regierung ist das recht.
Bild: Trauer um die ermordeten Studenten der Ayotzinapa-Schule.
Für die Angehörigen der verschwundenen Studenten im südmexikanischen
Bundesstaat Guerrero war die Nachricht ein neuer Schock: Wieder wurden vier
Gräber gefunden, in denen wohl die Leichen ihrer Söhne, Brüder oder Cousins
liegen.
Und einmal mehr müssen ihnen die Worte des Präsidenten Enrique Peña Nieto
wie Hohn erscheinen. Schockierend, schmerzhaft und inakzeptabel seien die
Vorfälle, ließ der Staatschef schon nach dem Fund der ersten Massengräber
am vergangenen Wochenende wissen. Zu diesem Zeitpunkt hatten die
Angehörigen bereits acht Tage nach jenen 43 jungen Männern gesucht, die
seit einem Angriff von Polizisten und Mafia-Killern Ende September
verschwunden waren.
Kein einziger hoher Regierungsvertreter war bis dato gekommen, um mit den
Müttern, Väter und Geschwistern zu sprechen. Die Angehörigen selbst waren
es, die Zeugen befragten und Fotos auswerteten. Ihre Proteste sorgten
dafür, dass der blutige Vorfall nicht wie so viele Verbrechen in
Vergessenheit geriet. Die Regierung hatte wieder den „Weg der
Straflosigkeit und des Verschleierns“ eingeschlagen.
## Gemeinsame Sache von Polizei und Mafia
Noch muss eine DNA-Untersuchung bestätigen, ob die bislang gefundenen
Leichen tatsächlich jene Männer sind, die am 27. September nach einem
Angriff auf die Studenten der pädagogischen Fachschule Ayotzinapa
verschleppt wurden. Sechs Menschen starben damals, von 43 Studenten fehlte
jede Spur, bis ein Polizist und ein Killer der kriminellen Organisation
Guerreros Unidos (Vereinigte Krieger) die Ermittler zu den ersten Gräbern
führten, in denen die 28 Leichen lagen. Klar ist: Der örtliche Chef der
Guerreros Unidos hat die Morde angeordnet, und offensichtlich ging der
Befehl, die Studenten festzunehmen, von Igualas Bürgermeister und dessen
Frau aus.
Dass lokale Polizisten, Politiker und die Mafia gemeinsame Sache machen,
ist nicht neu. Jeder in Guerrero weiß das. Daran änderte die Mobilisierung
der Armee nichts, die der ehemalige Staatschef Felipe Calderón im Rahmen
seines „Krieges gegen die Mafia“ in Gang gesetzt hatte.
Das korrupte Geflecht blieb von der Präsenz der Soldaten unberührt. Nicht
anders sieht es aus, seit Peña Nieto vor knapp zwei Jahren die
Präsidentschaft übernommen hat. Weiterhin sterben täglich Menschen im
„Drogenkrieg“, die Zahl der Verschwundenen nimmt zu. Allein 2013 waren es
3000, 246 geheime Gräber wurden in Peña Nietos Amtszeit gefunden. Er hat
zwar einen Rückzug der Armee angekündigt, davon ist aber in Guerrero nichts
zu sehen.
## Neue Taktik der Kriminellen
Geändert hat sich das Vorgehen der Kriminellen: Früher kämpften die Banden
untereinander um Transportrouten und Anbauflächen für Drogen. Inzwischen
gehen sie immer stärker gegen die Bevölkerung vor, kassieren Schutzgeld,
vergewaltigen Frauen.
Gruppen wie die „Vereinten Krieger“ sind mehr denn je in lokale Geschäfte
wie illegalen Holzschlag oder Eisenerzabbau eingebunden. Im Auftrag
korrupter Politiker und heimischer Unternehmer greifen sie gezielt Kritiker
an. Das verweist auf eine Paramilitarisierung, wie man sie sonst aus
Kolumbien kennt.
Hier ist der Hintergrund für das Massaker zu suchen. Die rebellischen
Ayotzinapa-Studenten sind den Mächtigen in der Region lästig. Gilt es,
Indigene gegen ein Bergbauprojekt zu verteidigen, sind sie als erste mit
dabei. Wird ein linker Aktivist verhaftet, stehen sie auf der Straße. Sie
sehen sich in der Tradition der zahlreichen Aufständischen Guerreros. Auch
deshalb zeigte die Bundesregierung nie Interesse, das Internat zu erhalten.
Immer wieder gab es Versuche, Ayotzinapa zu schließen.
##
## Verhaftung nach Bedarf
Wenn Peña Nieto nun Bundespolizisten und Soldaten geschickt hat und lokale
Beamte entwaffnen und verhaften ließ, ist das vor allem der großen
internationalen Empörung über den Fall geschuldet. Sogar die UNO hatte mehr
Initiative gefordert.
Der Staatschef steht unter Druck und muss Erfolge zeigen. In diesem Licht
wirft auch die plötzliche Verhaftung zweier tatsächlich wichtiger
Drogenbosse Fragen auf. Just heute ging den Fahndern der Capo Vicente
Carillo Fuentes ins Netz, vor zehn Tagen erwischte es Héctor Beltrán Leyva.
Offensichtlich hängt die Regierung so eng an der Mafia, dass sie je nach
Bedarf zuschlagen kann. Oder nicht. Alles ist Verhandlungssache.
Die jüngsten Verhaftungen ändern freilich nichts an der prekären Lage für
die Menschen in Guerrero. Mafia-Organisationen sind moderne Unternehmen,
jeder ist ersetzbar. Sobald das Rampenlicht erloschen ist, wird sich in der
Regierung niemand mehr für die Toten aus Iguala interessieren.
2011 erschossen Polizisten zwei Ayotzinapa-Studenten, bis heute sind die
Täter nicht strafrechtlich verfolgt worden. Nur zwei Prozent aller
Verbrechen in Mexiko werden aufgeklärt.
Der Krieg geht indes weiter, letztes Jahr wurden allein in Guerrero 2100
Menschen ermordet. Für die Bevölkerung in dem verarmten Bundesland heißt
das: Noch mehr Tote, noch mehr Verschwundene, noch mehr Angst vor den
Uniformierten und Kriminellen, die schon jetzt das Straßenbild vieler
Dörfer dominieren. Auf Hilfe von Außen werden sie dann wieder vergeblich
warten.
10 Oct 2014
## AUTOREN
Wolf-Dieter Vogel
## TAGS
Mexiko
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Mafia
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