# taz.de -- „A Most Violent Year“ im Kino: Die Absichten der Menschen | |
> Von Kaufleuten, die legal große Geschäfte machen wollen, erzählt das Kino | |
> selten. J. C. Chandors Film „A Most Violent Year“ ist eine Ausnahme. | |
Bild: Anna (Jessica Chastain) und Abel Morales (Oscar Isaac) in „A Most Viole… | |
Über der zunehmenden visuellen Eleganz der Actionfilme aus letzter Zeit | |
gerät manchmal in Vergessenheit, was das Genre des amerikanischen | |
Gangsterfilms eigentlich so interessant macht: Dass es darin oft auch | |
unverhohlen um den Kapitalismus geht, um organisierte Kriminalität als | |
elementare Wirtschaftsform. | |
Wo „Der Pate“ in diesem Sinn bereits die amerikanische Version der | |
„Buddenbrocks“ lieferte, trieb es die Serie „Sopranos“ noch einmal auf … | |
Spitze, verkörperte James Gandolfini darin doch den geplagten, | |
mittelständischen Verbrecher mit schichtentypischen Ängsten und Neurosen, | |
der hart darum kämpfen muss, konkurrenzfähig zu bleiben. | |
Der amerikanische Regisseur J. C. Chandor aber dreht die Metapher wieder | |
eine Stufe zurück. Sein Film „A Most Violent Year“ spielt 1981, in einer | |
Welt, die gleichsam die ersten zwei „Paten“-Filme bereits gesehen hat. | |
Zumindest die beiden Hauptfiguren kleiden sich, als seien Michael und Kay | |
Corleone ihre Vorbilder. Doch Anna (Jessica Chastain) und Abel Morales | |
(Oscar Isaac) gehören keiner Mafia an. | |
Anna, so wird man im Lauf des Films erfahren, ist zwar die Tochter eines | |
stadtbekannten Brooklyner Gangsters, von dem Abel das Öl-Unternehmen | |
gekauft hat, mit dem er es zur herausragenden Marktstellung gebracht hat. | |
Abel jedoch, und das bildet den roten Faden des Films, kämpft hart darum, | |
auf der legalen Seite der Gesellschaft zu bleiben. Oscar Isaac verkörpert | |
ihn als Mann aus dem Nichts, dessen ganzes Wesen aus Entschlossenheit zu | |
bestehen scheint. | |
Für den Zuschauer ist das eine überraschende Konfliktlinie, so gewöhnt ist | |
man daran, dass Mord und Erpressung nun mal die Standard Operating | |
Procedures dieser Sorte Kino sind. Und der Titel „A Most Violent Year“ | |
weckt zusätzlich die falschen Erwartungen. New York und seine um 1980 | |
Rekordhöhe erreichende Kriminalitätsrate geben lediglich den Hintergrund ab | |
für Abel Morales’ Unternehmerdrama. | |
## Der wichtigste Deal seines Lebens | |
Meldungen über Messerstechereien und Überfälle dringen aus dem Radio, wenn | |
er aus dem Auto steigt, um zu Beginn des Films den wichtigsten Deal seines | |
Lebens zu unterschreiben. Er möchte ein Grundstück am Wasser kaufen, um | |
seine Öllaster direkt betanken und selbst als Verteiler auftreten zu | |
können. Der Grundstückskauf ist als eine Art Optionshandel organisiert: | |
Abel liefert eine erhebliche Summe als Anzahlung und muss den erklecklichen | |
Rest binnen 30 Tagen beschaffen. Wenn ihm das nicht gelingt, geht die | |
Anzahlung verloren. In der verbleibenden Zeit darf also nichts schiefgehen. | |
Aber es gäbe natürlich keinen Film, wenn dem so wäre. Das Unglück schlägt | |
doppelt und dreifach zu – und nichts davon ist Schicksal. Zum einen werden | |
Abels Heizöllaster am helllichten Tag überfallen, was zur Folge hat, dass | |
seine Fahrer entweder aufgeben oder sich bewaffnen wollen. Zum andern rückt | |
ihm ein Staatsanwalt auf die Pelle. Zum Dritten bekommt die Bank, bei der | |
er den Kredit für das Grundstück aufnehmen wollte, kalte Füße. Angesichts | |
all dessen wachsen bei seiner Frau Anna Zweifel darüber, ob seine | |
Behauptungsstrategien in dieser Situation die richtigen sind. | |
Wie bereits in seinem zu wenig beachteten Film „Margin Call“ interessiert | |
sich Chandor mehr für die trockenen Geschäftsabläufe als fürs emotionale | |
Drama. „Margin Call“ war ein Lehrstück zur Finanzkrise, das den | |
Zusammenbruch einer der Lehman Brothers Bank nachempfundenen Institution | |
als Systemablauf schilderte und weniger als Werk von bösen Bankern. | |
## Kredite statt Waffen | |
Auch für Abel ist die Frage, zu welchen Mitteln er greift, weniger von | |
moralischen Bedenken als von geschäftlichen Kalkulationen besetzt. Der Film | |
macht keinen Hehl daraus, dass eine bestimmte Art des „book cooking“ zum | |
Business gehört. Doch um das zu erreichen, was er will, muss Abel auf | |
Waffengewalt verzichten. Die Ölmagnaten seiner Branche verfügen eh über | |
wirksamere Methoden, ihre Gegner zu vernichten: Man zieht sich bei Krediten | |
mit haushohen Zinsen über den Tisch. | |
Die relative Ödnis seiner Handlung macht der Film mit der Dichte seiner | |
Atmosphäre wett: Es ist ein kalter Wintermonat, schmutziger Schnee säumt | |
die Straßen. Statt bekannter New-York-Ansichten gibt es den Anblick von | |
aufgelassenen Industrieanlagen, die von Untergang zeugen, solange, bis sie | |
jemand mit Träumen füllt. | |
Die Verhandlungen finden in düsteren 80er-Jahre-Interieurs statt, in denen | |
statt Bildschirmen noch Akten die Schreibtische bedecken. Gegenlicht aus | |
großen Fenstern macht es zusätzlich schwer, die Absichten der Menschen zu | |
erkennen. Und Jessica Chastain gibt rauchend unter blonder Perücke eine der | |
unheimlichsten Lady MacBeths der Filmgeschichte. | |
19 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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