# taz.de -- Kinofilm „Die Erfindung der Wahrheit“: Die Waffen weiblicher Er… | |
> In John Maddens Polit-Thriller gibt Jessica Chastain eine eisige | |
> Lobbyistin. Leider fehlt der Blick für die Möglichkeiten weiblicher | |
> Macht. | |
Bild: Geht über Leichen: Jessica Chastain als Lobbyistin | |
Ein Film über Lobbyismus in Amerikas Hauptstadt? Da weiß man doch schon | |
vorher, worauf es hinauslaufen wird: schmutzige Machenschaften und | |
Zynismus, was das Zeug hält. Um den Zuschauer für das Thema einzunehmen, | |
muss man, wie es heute so schön heißt, das Narrativ ändern: Statt des | |
üblichen smarten jungen Mannes steht in „Die Erfindung der Wahrheit“ eine | |
Frau im Zentrum, und weil sie von Jessica Chastain gespielt wird, fällt es | |
nicht schwer, bei der Stange zu bleiben, obwohl die ersten Sätze, die sie | |
spricht, aus Plattitüden bestehen. | |
Von wegen, dass es bei der Lobbyisten-Arbeit immer darum gehe, den Gegner | |
zu überraschen. Spannung erhalten diese Sätze, weil Chastain sie mit | |
Doppelbödigkeit spricht. Man hört Überzeugung heraus, aber zugleich auch | |
eine tiefe professionelle Ermüdung. Außerdem hilft, dass Chastain selbst | |
mit überschminkten Lippen noch eine Schönheit ist – stets die beste | |
Voraussetzung, um eisige Härte mit darunterliegender Fragilität attraktiv | |
erscheinen zu lassen. | |
Schnell stellt sich heraus, dass diese ersten Szenen Chastains Figur der | |
Elizabeth Sloane in der Bredouille zeigen. Die Lobbyistin muss sich einer | |
Kongressanhörung stellen. Trotz Briefings durch den Rechtsanwalt, sich | |
nicht selbst zu belasten, gelingt es dem vorsitzenden Senator, sie aus der | |
Fassung zu bringen. Woraufhin der Film einige Monate zurückdreht, um zu | |
zeigen, wie es so weit kommen konnte. Man sieht also Sloane auf der Höhe | |
ihrer Macht, eine Chefin, die auf ihrem Weg ins Büro Anweisungen in die | |
Menge schmeißt, als handle es sich um das Wurfmaterial eines | |
Karnevalsumzugs. Wobei jedes Bonbon zugleich eine Berufsweisheit enthält. | |
## Ein eisiges, kleines Wesen | |
Im Meeting mit einem potenziellen Kunden geht es ein weiteres Mal darum, | |
das „Narrativ zu ändern“: Die Waffen-Lobby hat entdeckt, dass Frauen nicht | |
auf ihre Argumente einsteigen. Ob Sloane da nicht Abhilfe schaffen könne? | |
Etwa mit einer Werbeaktion, die Waffen als „Werkzeuge weiblicher | |
Ermächtigung“ herausstelle? | |
Doch zur Überraschung des Kunden und ihrer eigenen Vorgesetzten vollzieht | |
Sloane eine 180-Grad-Wende, kündigt und schließt sich der Opposition an: | |
Von nun an kämpft sie für die gute Sache, eine Gesetzesinitiative für mehr | |
„background checks“ beim Waffenkauf. Allerdings mit der gleichen | |
Ruchlosigkeit, mit der sie vorher gegen die Einführung einer Palmölsteuer | |
vorging. | |
Leider setzen Regisseur John Madden („Shakespeare in Love“) und | |
Drehbuchautor Jonathan Perera zu sehr auf das Offensichtliche: Im | |
idealistischen Lager fallen Sloanes rücksichtslose Manöver umso mehr auf, | |
was die Dramatik des Films oft darauf reduziert, dass rund um Chastains | |
eisiges, kleines Wesen die Köpfe geschüttelt werden. Ob sie schon immer so | |
gewesen sei? Eine Antwort darauf bleibt der Film schuldig. Das wiederum | |
gehört zu seinen interessanteren Aspekten: dass mal kein „Daddy-Issue“ als | |
Erklärung für Sloanes Verhalten herhalten muss, erhält mit dem Rätsel auch | |
den Thrill aufrecht, der den Zuschauer hier bis zuletzt unterhält. | |
Trotzdem erscheint der Film als verpasste Chance, und damit ist nicht | |
gemeint, dass die Macher Trump und seine Präsidentschaft nicht | |
vorausgesehen haben. Vielmehr möchte man ihnen ankreiden, dass sie sich nur | |
wenig für die vorgebrachten Argumente interessieren. Auch für die | |
ambivalenten Wirkungen von weiblicher Macht haben sie kein Auge. Statt | |
auszuleuchten, welchen Antipathien und kleinlichen Angriffen auf Kleidung | |
und Frisur eine Figur wie Chastains Sloane in der realen Politikszene | |
ausgesetzt wäre, bietet „Die Erfindung der Wahrheit“ den im Kino üblichen | |
„competence porn“ über Leute, die unheimlich gut ihren tollen, miesen Job | |
machen: schön anzusehen, aber reine Fantasie. | |
5 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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