# taz.de -- Umgang mit Ebola in Afrika: Ein Virus fällt nicht vom Himmel | |
> Das Ebola-Virus ist nicht das einzige Problem. Fatal ist, dass | |
> afrikanische Erfahrungen im Umgang mit tödlichen Epidemien ignoriert | |
> werden. | |
Bild: Desinfektionsmittel würzen das Essen und erfreuen das Baby: Ebola-Bekäm… | |
BERLIN taz | Als im Norden Ugandas im Jahr 2000 Ebola ausbrach, | |
beobachteten eingeflogene Mediziner der Weltgesundheitsorganisation (WHO) | |
überrascht, wie die Bevölkerung Krankenwagen mit Steinen bewarf. Die | |
WHO-Experten heuerten den US-amerikanischen Ethnologen Barry Hewlett an, um | |
herauszufinden, was los war. | |
Beim Vorbereitungsgespräch fragte Hewlett: Wie nennen die Leute eigentlich | |
„Ebola“ in ihrer eigenen Sprache? Die WHO-Experten hatten keine Ahnung. | |
Das Fehlen von Verständnis und Verständigung ist im Kampf gegen Ebola ein | |
ebenso großes Hindernis wie das Fehlen von Personal und Material. Angst und | |
Vorurteile prägen die internationale Wahrnehmung der Seuche: ein | |
heimtückisches Virus aus dem finstersten schwarzen Afrika, das dank | |
barbarischer Gebräuche auf den Menschen überspringt und die Menschheit | |
dahinrafft, solange heldenhafte Wissenschaftler dagegen kein Wundermittel | |
finden. | |
Diese Sicht fördert Panik, Abschottung, Rassismus und Absurdität. Hingegen | |
formulieren Wissenschaftler und Mediziner, die mit Ebola zu tun haben, | |
nüchtern allgemeingültige Regeln, um „die Übertragungskette zu | |
durchbrechen“: Verdächtige bei den ersten Symptomen streng isolieren, jeden | |
Körperkontakt mit Kranken und Verstorbenen vermeiden, 21 Tage Quarantäne | |
einhalten. Das ist zwar effektiv, aber ausschließlich technokratisch und | |
ohne Bezug auf Erfahrungen und Kenntnisse der lokalen Bevölkerung. | |
„Alle früheren Probleme treten jetzt wieder neu auf“, mahnte der Ethnologe | |
Hewlett im August in einem Interview in der belgischen Zeitschrift Mo. Man | |
hatte ihn nach Parallelen zwischen früheren Ebola-Ausbrüchen und der | |
aktuellen Epidemie gefragt. „Seuchenausbrüche generieren Angst. Jeden Tag | |
sterben viele Menschen. Die Isolierstationen und Pfleger der Ebola-Kranken | |
sehen aus wie aus dem Weltraum gelandet. In Uganda dachten die Leute, dass | |
die internationalen Helfer in den Isolierstationen Körperteile verkaufen. | |
Es gibt zu wenig Vertrauen, widersprüchliche Informationen und keine | |
Heilung.“ | |
## Kranke nicht ernstgenommen | |
Schon seinerzeit in Uganda hatte Hewlett schonungslos aufgezeigt, was alles | |
falsch lief. Verdächtige wurden ohne Vorwarnung zwangsevakuiert und mit | |
Desinfektionsmitteln besprüht. Jeder, der mit ihnen Kontakt hatte, geriet | |
unter Verdacht und wurde stigmatisiert, so sehr, dass Patienten lieber aus | |
Krankenhäusern flohen, sobald ein Ebola-Infizierter eingeliefert wurde. | |
Überlebende wurden nicht in ihre Dörfer zurückgelassen. Ebola-Tote wurden | |
beerdigt, ohne dass die Angehörigen sie zu sehen bekamen, was Gerüchte über | |
den Verkauf von Organen oder Leichenteilen beförderte. Blutproben wurden | |
genommen, aber die Ergebnisse nicht mitgeteilt. | |
Verwandtschaftsbezeichnungen wurden nicht hinterfragt – beispielsweise, wer | |
nur als „Bruder“ bezeichnet wurde und wer ein wirklicher Bruder war. | |
Traditionelle Heiler wurden als Problem gesehen und ausgegrenzt, statt als | |
privilegierte Agenten von Aufklärung einbezogen. | |
Und das, obwohl es unter den Acholi, der größten Bevölkerungsgruppe im | |
Norden Ugandas, tradierte Erfahrungen im Umgang mit lebensbedrohlichen, | |
unheilbaren Krankheiten gibt. Wer an einem hämorrhagischen Fieber – einer | |
hochinfektiösen, von Blutungen begleiteten und durch Virusinfektion | |
verursachten Erkrankung – leidet, wird in einem Haus mindestens 100 Meter | |
von allen anderen Häusern entfernt isoliert. Nur Überlebende der Krankheit | |
pflegen den Kranken und bringen ihm Essen. Die anderen Dorfbewohner werden | |
dazu aufgefordert, das Dorf möglichst nicht zu verlassen und keine Nahrung | |
von außen anzunehmen. Von Geschlechtsverkehr, Festen und Konsum von Alkohol | |
und geräuchertem Fleisch wird abgeraten. | |
Im Todesfall wird der Kranke nicht im Dorf begraben, sondern außerhalb, und | |
zwar von seinem Pfleger, nicht von der Dorfgemeinschaft. Im Genesungsfall | |
bleibt er eine volle Mondperiode lang in Isolation. Das alles ist als | |
Ebola-Schutzmaßnahme tauglich, wird aber von den internationalen Helfern | |
ignoriert. | |
Hämorrhagische Fieber sind in Afrika durchaus bekannt. Das geläufigste ist | |
das Gelbfieber, Ebola ist das tödlichste. Wenn sie epidemisch werden, | |
treten diese Fieber meist an besonderen Orten und in spezifischen | |
Situationen auf. Orte sind beispielsweise die Regionen zwischen Wald- und | |
Savannengebieten, also dort, wo Menschen am ehesten auf unbekannte Flora | |
und Fauna stoßen sowie auf ungewohnte Erreger. Eine spezifische Situation | |
ist ein besonders abrupter Übergang von der Regenzeit zu einer heißen | |
Trockenzeit. Ein solcher Moment ist körperlich sehr belastend und erhöht | |
die Anfälligkeit für Infektionen. | |
## Lassa-Fieber in der Ebola-Region | |
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich Frühwarn- und Präventionsmaßnahmen | |
ableiten. Im Grenzgebiet von Guinea und Sierra Leone, wo Ende 2013 die | |
aktuelle Ebola-Epidemie Westafrikas begann, ist das Lassa-Fieber endemisch, | |
das ebenso wenig heilbar ist wie Ebola, sich auf ähnliche Weise | |
manifestiert und überträgt, aber viel seltener zum Tode führt. Lassa ist | |
für 16 Prozent aller Krankenhauseinweisungen in Sierra Leone und Liberia | |
verantwortlich, der Umgang damit den Ärzten vertraut. | |
Die Annahme, Ebola stelle die Gesellschaften Liberias, Sierra Leones und | |
Guinea vor nie dagewesene Probleme, ist also stark übertrieben – mit einer | |
wichtigen Ausnahme: die Heftigkeit und Dimension des aktuellen Ausbruchs. | |
Falsch ist auch die oft wiederholte Aussage, wonach Ebola zum ersten Mal in | |
urbanen Regionen wüte. Das war sowohl in Uganda als auch im Kongo schon bei | |
früheren Ausbrüchen der Fall. | |
Es besteht auch kein Grund, zu behaupten, dass nur grundlegenden | |
Verhaltensänderungen Ebola besiegen könnten. Nicht hilfreich, sondern sogar | |
schädlich sei es, einen „Ebola-Exzeptionalismus“ zu betreiben, schreibt die | |
britische Ethnologin Melissa Leach in dem Buch „Epidemics“. Bei anderen | |
Fieberkrankheiten beschränke man sich doch auch auf „soziale | |
Mobilisierung“, und selbst tradierte Verhaltensmuster afrikanischer | |
Gesellschaften seien viel flexibler, als die Forschung oft vermute. | |
## Krankenhäuser als Brutstätten? | |
Aber ohne Kommunikation zwischen Helfern und Betroffenen auf Augenhöhe | |
nützen all diese Erkenntnisse nichts. Viel zu wenig wird beachtet, worauf | |
die Erkrankten selbst den Ausbruch der Seuche zurückführen. Die meisten | |
wissen zwar, dass sie sich bei der Pflege eines Angehörigen angesteckt | |
haben; aber der Ursprung bleibt unbekannt. | |
In Zaire, wo 1996 hunderte von Menschen in der Stadt Kikwit an Ebola | |
starben, zogen die Leute einen fatalen Schluss aus dem Umstand, dass | |
Ebola-Todesfälle ausschließlich in Krankenhäusern bestätigt wurden: Sie | |
sahen, dass man nur im Krankenhaus an Ebola stirbt, und folgerten, das | |
Krankenhauspersonal sei die Ursache der Ansteckung. In Uganda hieß es, | |
zurückgekehrte Soldaten aus dem Krieg im Kongo hätten Ebola mitgebracht. In | |
Gabun wurden französische Truppen verdächtigt, in Kongo-Brazzaville Pygmäen | |
aus dem Wald. | |
In Nigeria hingegen, das dieses Jahr nur knapp der laufenden | |
westafrikanischen Epidemie entgehen konnte, herrschte von Anfang an völlige | |
Klarheit: Ein Reisender aus Liberia hatte unwissentlich Ebola mitgebracht, | |
das ihn behandelnde Personal steckte sich bei ihm an, in Windeseile gab es | |
mehrere Dutzend Fälle – aber dann endete die Ausbreitung. Warum? | |
Weil nicht ausländische Spezialisten ohne Kenntnisse der nigerianischen | |
Kommunikation für Aufklärung sorgten, sondern die gerade in der modernen, | |
globalisierten Metropole Lagos besonders hoch entwickelten sozialen | |
Netzwerke im Zusammenspiel mit klaren Handlungsanweisungen seitens der | |
Behörden. Inzwischen ist Nigeria wieder ebolafrei. | |
27 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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