# taz.de -- Ebola-Tagebuch - Folge 32: Mein Sohn hat Ebola überlebt | |
> Der Sohn eines liberianischen Mitarbeiters von „Ärzte ohne Grenzen“ ist | |
> der 1000. Ebola-Patient des Hilfswerks, der wieder von der Seuche genesen | |
> ist. | |
Bild: Alexander Kollie (links) mit seinem Vater in Foya, Liberia. | |
Ich werde den Samstag 21. September nie vergessen. | |
Ich ging meiner Arbeit als Gesundheitsaufklärer für „Ärzte ohne Grenzen“… | |
den Dörfern bei Foya im Norden Liberias nach: den Leuten erklären, wie man | |
sich und ihre Familien schützt, was sie bei Symptomen tun sollen, die | |
Nummer der MSF-Hotline weitergehen. | |
Meine Frau war in Monrovia geblieben mit drei unserer Kinder. Ich hatte sie | |
angefleht, zu mir in den Norden zu kommen. Aber sie wollte es nicht hören. | |
Am Abend dieses Tages rief mich mein Bruder aus Monrovia an. „Deine Frau | |
ist gestorben“, sagte er. „Bendu ist tot.“ | |
Ich ließ das Telefon fallen. Ich warf es weg, es zerbrach. Wir waren 23 | |
Jahre lang zusammen gewesen. Sie war die einzige, die mich verstand. Es | |
war, als hätte man mir mein Gedächtnis genommen. Meine Augen waren offen, | |
aber ich sah nichts. | |
Später bekam ich wieder einen Anruf. Mein Bruder, ein Krankenpfleger, hatte | |
meine Frau versorgt - er hatte sich angesteckt, und jetzt war er auch tot. | |
Dann kamen meine beiden jüngsten Töchter in Monrovia ins Ebola-Zentrum und | |
starben. Ich fühlte mich immer hilfloser. Nichts machte mehr Sinn für mich. | |
Mein ältester Sohn Kollie James war noch in Monrovia in unserem Haus. Er | |
rief mich an: „Alle sind krank geworden. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“ | |
Ich sagte ihm: Komm her, nach Foya. | |
Als er kam, wollten die Leute im Dorf uns nicht. Sie sagten uns: Eure | |
Angehörigen sind alle tot, bring Kollie wieder weg. Ich war wütend. Er | |
hatte keine Symptome. Er war für sie keine Gefahr. Aber wir durften nicht | |
bleiben. | |
Am nächsten Morgen sah mein Sohn sehr müde aus. Ich rief die Hotline an und | |
MSF brachte ihn ins Ebola-Zentrum in Foya, um ihn zu testen. | |
Er testete positiv. Die folgende Nacht war für mich eine Qual. Ich weinte | |
nur. | |
## "Papa, hör auf zu weinen" | |
Am nächsten Tag beruhigten mich die psychosozialen Berater bei MSF. Sie | |
sagten, ich müsse warten, Ruhe bewahren. Wir redeten und redeten. | |
Ich sah meinen Sohn durch den Zaun der Pflegestation. Er sagte mir: „Papa, | |
hör auf zu weinen. Ich werde nicht sterben. Meine Schwestern sind tot, aber | |
ich werde überleben.“ | |
Die Berater sahen mich jeden Tag und setzten sich mit mir hin. Ich wollte | |
meinen Sohn nicht dort drin sehen. Wenn ich ihn sah, dachte ich an seine | |
Mutter, die ich schon verloren hatte. | |
Nach einiger Zeit ging es ihm besser. Er konnte sich wieder bewegen. Ich | |
betete. Ich machte mir Sorgen, weil er noch rote Auge hatte. Dann geschah | |
etwas Unglaubliches. | |
## Wir haben so viele verloren | |
Er kam heraus aus dem Zentrum. Bis dahin hatte ich es nicht für möglich | |
gehalten. Ich hatte gesehen, dass Ebola-Kranke scheinbar zu Kräften zu | |
kommen und am nächsten Tag tot sind. Aber er kam heraus. Ich blickte ihn an | |
und er sagte: „Es geht mir gut.“ Ich umarmte ihn. Viele Leute kamen zu uns. | |
Dann sagte mir MSF: Kollie ist der 1000. Ebola-Überlebende. Aber ich fragte | |
mich: wieviele haben wir verloren? | |
Ich nahm ihn mit nach Hause. Er strahlte übers ganze Gesicht. Ich auch. Wir | |
hatten eine kleine Party. Seitdem machen wir alles zusammen. Ich fragte | |
ihn, was er nach der Schule machen will - er ist in der 10. Klasse. Er will | |
Arzt werden, sagte er mir. | |
Ich sagte: „Ich bin jetzt dein Vater und deine Mutter.“ Ich werde alles für | |
ihn tun. Er ist nicht mehr nur mein Sohn, sondern mein Freund, mit dem ich | |
reden kenn. Er ist als einziger übrig. | |
Mit freundlicher Genehmigung von Ärzte ohne Grenzen. Übersetzung, leicht | |
gekürzt: Dominic Johnson | |
22 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kollie | |
## TAGS | |
Ebola | |
Ebola-Tagebuch | |
Liberia | |
Ärzte ohne Grenzen | |
MSF | |
Ebola | |
Ebola | |
Ebola | |
Ebola | |
Ebola | |
Ebola | |
Ebola | |
Ebola | |
WHO | |
Ebola | |
Liberia | |
Liberia | |
Ebola | |
Ebola | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Umgang mit Ebola in Afrika: Ein Virus fällt nicht vom Himmel | |
Das Ebola-Virus ist nicht das einzige Problem. Fatal ist, dass afrikanische | |
Erfahrungen im Umgang mit tödlichen Epidemien ignoriert werden. | |
Kontakt in Ebola-Regionen: Kein Fußball, keine Arbeit | |
Kaum ein Reporter traut sich in die von Ebola betroffenen Länder. Aber man | |
kann den Menschen ja auch auf Facebook begegnen. | |
Ebola-Tagebuch – Folge 34: Ebola-Panik mal umgekehrt | |
Afrikanische Retourkutsche: In Ruanda mussten einige Tage lang Reisende aus | |
Spanien und den USA täglich ihren Gesundheitszustand melden. | |
Ebola-Tagebuch – Folge 33: Einsatz ohne Rückkehrrecht | |
Kuba hat mehr Ebola-Helfer nach Westafrika geschickt als so manche | |
westliche Nation. Es gibt ein Problem: Krank werden dürfen sie nicht. | |
Epidemie in Westafrika: Die Hoffnung heißt TKM-Ebola | |
Die Produktion eines Arzneimittels gegen Ebola hat begonnen. In den USA | |
gibt es bei der Behandlung von Patienten Fortschritte. In Deutschland | |
fehlen Helfer. | |
Ebola-Tagebuch – Folge 31: Europa kämpft gegen sich selbst | |
Der Kampf gegen Ebola braucht EU-weite Koordinierung. Am dringendsten ist | |
ein gemeinsames Prozedere zur Evakuierung erkrankter Helfer. | |
Kommentar Umgang mit Ebola: Das Virus und der Verstand | |
Die internationale Hilfe gegen die Epidemie lief viel zu spät an. Die | |
Reichen pflegen ihre irrationalen Ängste, doch ihr Geld allein hilft noch | |
lange nicht. | |
Ebola-Tagebuch – Folge 30: Kein Bett für Infizierte | |
Gesundheitsexperten bitten dringend um mehr Hilfe für Seuchenopfer und mehr | |
medizinisches Personal. In Liberia fehlen sogar Leichsäcke. | |
Ebola-Tagebuch - Folge 28: Auf dem Weg zur Staatskrise | |
Weitreichende Notstandsbefugnisse verlangt Liberias Präsidentin zum Kampf | |
gegen Ebola. Damit scheitert sie im Parlament in Monrovia. | |
Ebola-Tagebuch - Folge 26: Die Wut hinter den Schutzanzügen | |
Aus Protest gegen unzureichende oder gar nicht gezahlte Löhne tritt | |
Liberias Gesundheitspersonal in den Streik. Die Kranken sind sich selbst | |
überlassen | |
Ebola-Tagebuch - Folge 15: Tod im Ministerium | |
Ein Mitarbeiter der höchsten Gesundheitsbeamtin Liberias stirbt an Ebola. | |
Es ist nicht der erste Regierungsangestellte, der der Seuche zum Opfer | |
fällt. | |
Ebola-Tagebuch – Folge 5: Liebe Kanzlerin Merkel! | |
Liberias Präsidentin fordert in einem Brief direkte Hilfe aus Deutschland | |
für den Kampf gegen Ebola. Die taz dokumentiert das Schreiben. | |
Ebola-Tagebuch – Folge 2: Es könnte zu spät sein | |
„Wir wissen nicht, wie wir es aufhalten können“, klagt die erfahrene | |
Ebola-Bekämpferin Marie-Christine Férir. Liberia ist in seiner Existenz | |
bedroht. |