# taz.de -- Ethnologe über Protestwelle im Kongo: „Kabila hat willige Partne… | |
> Der belgische Stadtethnologe Théodore Trefon über die Demonstrationen in | |
> der Demokratischen Republik Kongo und die „skrupellose politische Kultur“ | |
> des Landes. | |
Bild: „Man darf nicht zu viel auf die Studenten projizieren“: Protest-Happe… | |
taz: Herr Trefon, im Januar zwangen mehrtägige Proteste im Kongo das | |
Parlament dazu, eine Veränderung des Wahlgesetzes zurückzuziehen, die die | |
für 2016 geplanten Wahlen wohl um mehrere Jahre verschoben hätte. Die | |
Opposition sieht darin einen Sieg über Präsident Joseph Kabila. Sie auch? | |
Théodore Trefon: Wenn, ist es ein sehr kleiner Sieg, denn Kabila ist nicht | |
im Begriff, die Macht abzugeben. Er testet, wie weit er gehen kann, und er | |
hat noch fast zwei Jahre bis zu den Wahlen. Die Wahlkommission hat noch | |
keinen Wahlkalender vorgelegt, der Senat – die zweite Kammer des Parlaments | |
– ist illegitim, da seine Amtszeit 2011 ablief; wir haben es insgesamt mit | |
sehr schwachen Institutionen zu tun, die sehr leicht manipulierbar sind. | |
Sie haben sich jetzt zu Wort gemeldet, aber sie sind kein Gegengewicht zu | |
Kabila, der über Geld und Gewaltmittel verfügt. | |
Aber es war diesmal schon anders als sonst. Von Beginn an wurden das | |
Internet und die SMS-Dienste im Kongo abgeschaltet, und das dauert bis | |
heute an. Die Proteste dauerten vier Tage und endeten erst, als der Senat | |
einen neuen Gesetzentwurf verabschiedete. | |
Kabila hätte mit der Unterdrückung weitermachen können, wenn er gewollt | |
hätte. Ich denke, er wollte einfach das Parlament ruhigstellen. Es war für | |
ihn keine Niederlage, eher ein taktischer Rückzug. Seine Strategie bleibt | |
hingegen intakt. | |
Sie haben in einem RFI-Interview gesagt, Kabila dürfte eher umgebracht | |
werden, als dass er die Macht freiwillig abgibt. Warum haben Sie das | |
gesagt? | |
Nicht, um diese Lösung zu empfehlen; das wäre eine Tragödie für den Kongo. | |
Aber wenn man sieht, wie hartnäckig Präsident Kabila an der Macht um jeden | |
Preis festhält, scheint es mir sehr unwahrscheinlich, dass er sie | |
freiwillig abgeben könnte. Im Kongo sind Morde ein Mittel der politischen | |
Veränderung - siehe Patrice Lumumba, siehe Kabilas Vater Laurent-Désiré | |
Kabila. Die Netzwerke der Macht im Kongo sind so komplex und | |
machiavellianisch, dass niemand einfach Macht und Reichtum aufgibt. | |
Während der jüngsten Proteste war die Opposition vereint. Ist das für Sie | |
ein Faktor des Wandels? | |
Es ist kosmetisch. Keiner der Parteiführer in der Opposition würde sich | |
hinter einen anderen stellen, bei Präsidentschaftswahlen beispielsweise. | |
Die Unruhen in Kinshasa und anderen Städten wurden vor allem von Studenten | |
getragen. Entsteht da etwas Neues? | |
Es ist interessant, aber man darf nicht zu viel auf die Studenten | |
projizieren. In Interviews wurde klar, dass manche gar nicht wussten, wieso | |
sie auf die Straße gingen. Es gab auch Plünderungen, zum Beispiel das Haus | |
des Musikers Koffi Olomide. Von dieser Art spontaner Mobilisierung auf der | |
Straße bis zu einer strukturierten politischen Bewegung ist es noch ein | |
weiter Weg. | |
Meinen Sie, Opportunisten nutzten die Proteste aus, um zu plündern? | |
Oder um gegen Kabila zu demonstrieren. Der Präsident ist in Kinshasa nicht | |
beliebt, er war es nie. Aber das ist noch keine nachhaltige Bewegung mit | |
einem politischen Ziel und einer Führung, die darauf aufbauen kann. Darum | |
geht es jetzt auch noch gar nicht, die Wahlen sind ja erst in zwei Jahren. | |
Wenn die Opposition so unstrukturiert ist, stimmen Sie dem katholischen | |
Erzbischof Laurent Monsengwo zu, der gesagt hat, es gebe im Kongo zu wenig | |
Menschen mit Rückgrat? | |
Er hat völlig recht – es gibt zu wenige, die bereit sind, die Stimme zu | |
erheben, Risiken einzugehen und eine langfristige politische Vision zu | |
entwickeln. Keine der Parteien tut das. Das hat mit der Wirtschaft zu tun: | |
die Macht kommt aus der Förderung von Rohstoffen – nicht aus | |
Dienstleistungen oder Handel oder Unternehmertum, also der Interaktion mit | |
anderen, sondern daraus, was man aus der Erde ausgräbt. Das beeinflusst die | |
Art, wie sich Politiker verhalten. | |
Kann die internationale Gemeinschaft für Kongos demokratischen Prozess | |
etwas tun? | |
Kongos westliche Partner haben sehr wenig zu sagen. Kabila braucht Belgien | |
nicht oder die USA oder die Weltbank. Er hat Rohstoffe, er hat willige | |
Partner wie China, Südafrika, Indien, Südkorea, und vor diesem Hintergrund | |
hat die Stimme der westlichen Demokratie in Kongos sehr skrupelloser | |
politischer Kultur wenig Gewicht. | |
4 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
François Misser | |
## TAGS | |
Joseph Kabila | |
Kongo | |
Kongo | |
Kongo | |
Kongo | |
Protest | |
Joseph Kabila | |
Hutu | |
Milo Rau | |
Goma | |
Ruanda | |
Katholische Kirche | |
Martin Kobler | |
Kongo | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Koffi Olomide misshandelte Frauen: Sänger im Kongo in Haft | |
Einer der berühmtesten Sänger der Demokratischen Republik Kongo wird im | |
Schnellverfahren verurteilt. Kenia hatte ihn zuvor ausgewiesen. | |
Streit um Wahlen im Kongo: Auf dem Weg zum Verfassungsbruch | |
Die UNO warnt vor Gewalt, die USA bestrafen den Polizeichef, Fischer finden | |
Leichen im Fluss: Die Spannung im Kongo steigt. | |
Protest im Kongo: Gewalt gegen Demonstranten | |
Es gibt landesweite Oppositionsproteste für eine termingerechte Wahl. In | |
Kinshasa enden sie mit Tränengas, in Goma mit Toten. | |
Mysteriöses Massengrab im Kongo: Faule Ausrede für „faulende Leichen“ | |
Ein Massengrab mit 425 Toten in Kinshasa erregt die Öffentlichkeit. Handelt | |
es sich um Opfer der Proteste vom Januar? | |
Vereitelte Konferenz im Kongo: Polizei sprengt Demokratie-Treffen | |
Aktivisten aus verschiedenen Ländern trafen sich in Kinshasa zum Austausch. | |
Kongos Regierung sah darin staatsfeindliche Umtriebe. | |
Kongos Krieg gegen FDLR-Rebellen: Die Strategie heißt Einkesseln | |
In den Bergen nordwestlich von Goma beginnt der Krieg gegen die ruandische | |
FDLR-Miliz. Die Armee geht ohne Rücksicht auf die Bevölkerung vor. | |
Das „Kongo-Tribunal“: Für nichts gestorben | |
Als Regisseur bin ich derzeit im Kongo unterwegs und bereite das Projekt | |
„Das Kongo-Tribunal“ vor. Davon werde ich regelmäßig in der taz berichten. | |
Wahlrechtsreform im Kongo: Erfolg für die Protestbewegung | |
Nach vier Tagen Unruhen schreibt das Parlament fest, dass die nächsten | |
Wahlen nicht verschoben werden dürfen. Ein Sieg für die Protestierenden. | |
Krieg im Kongo: „Ihr habt uns lang genug terrorisiert!“ | |
Die UNO im Kongo unternimmt einen letzten Versuch, die FDLR-Kämpfer zum | |
Ende des Krieges und zur Rückkehr nach Ruanda zu bewegen. | |
Proteste im Kongo: „Hört auf, euer Volk zu töten“ | |
Die mächtige katholische Kirche unterstützt jetzt die Proteste gegen | |
Kabilas Wahlrechtsreform. Die Gewalt in Kinshasa dauert an. | |
Konflikt im Ostkongo: Die UNO rüstet sich für den Krieg | |
Mit Militäroperationen soll die ruandische Hutu-Miliz FDLR im Osten | |
zerschlagen werden. Hilfsorganisiationen befürchten neue Flüchtlinge. | |
Machtkampf im Kongo: Moise und der „dritte Elfmeter“ | |
Moise Katumbi führt die reichste Provinz und den erfolgreichsten | |
Fußballclub. Jetzt bricht Katangas Gouverneur mit Präsident Kabila. |