| # taz.de -- Abfallmanagement und Big Data: Die twitternde Mülltonne | |
| > Aktive Sensoren in Abfallbehältern können helfen, die Umwelt zu schonen. | |
| > Aber ganz ungefährlich ist die neue Technologie nicht. | |
| Bild: Kann Sprechen, hat aber meist ziemlich schlechte Laune: Oscar. | |
| BERLIN taz | Das Internet der Dinge ist im öffentlichen urbanen Raum | |
| angekommen. Der Kühlschrank bestellt Bier nach, die leeren Flaschen werden | |
| in den Flaschencontainer gebracht und der meldet sich dann beim Abholer. | |
| Das macht eine finnische Firma möglich, die einen Sensor in Größe eines | |
| Eishockeypucks entwickelt hat, der in Abfallbehältern installiert wird. | |
| Der Ultraschallsensor gibt unter anderem aktiv per SMS den Füllstand an. So | |
| wird eine Überfüllung verhindert und die Tonne nur dann geleert, wenn es | |
| sich lohnt. Unnötiges Anfahren wird vermieden. Das verringert | |
| Kraftstoffverbrauch – und somit CO2-Emissionen –, Arbeitsaufwand, | |
| Verkehrsaufkommen und -lärm. Die Einsparung bei der Abfalllogistik beläuft | |
| sich laut Angaben des Herstellers Enevo auf rund 40 Prozent. | |
| Der Sensor gibt auch Auskunft über Temperatur und die Qualität der | |
| Internetverbindung. Die Temperatur des Mülls kann gerade im Sommer ein | |
| interessantes Kriterium für eine möglichst baldige Leerung sein. Für echte | |
| Fans: Unter [1][@trashcanlife] (Mülleimerleben) kann man auf Twitter | |
| automatisch generierten „trash talk“ von Mülltonnen aus der ganzen Welt | |
| verfolgen. Der Sensor kann in Recyclingtonnen für Glas-, Papier-, | |
| Textilien- und Elektroschrott- oder Biocontainern und bei Gemischtmüll | |
| eingesetzt werden. | |
| Hauptkunden sind industrielle, kommerzielle und öffentliche | |
| Abfallentsorger, die jeweils einen monatlichen Betrag an den Betreiber | |
| zahlen. Das Gerät kann aber auch im privaten Bereich eingesetzt werden. | |
| Zurzeit sitzen die meisten Kunden noch in Europa, vor allem in | |
| Skandinavien, aber auch in nordamerikanischen Großstädten wie Boston und | |
| New York und in Japan wird das Produkt vertrieben. | |
| ## Verdoppelung angestrebt | |
| Noch sind solche Systeme nur für Länder interessant, die bereits über ein | |
| ein entwickeltes Müll- und Recyclingmanagement verfügen. Aber Firmengründer | |
| Fredrik Kekäläinen sieht auch in den indischen Megastädten ein großes | |
| Potenzial. Enevo strebt 2015 eine Verdoppelung der jetzigen 200 Kommunen | |
| und privaten Großkunden in über 30 Ländern an. Der Sensor wird in | |
| Deutschland seit einem Jahr von German EcoTec vertrieben, in Finnland gibt | |
| es das Produkt seit 2013. Kunden in Deutschland sind zurzeit in 20 Städte | |
| und Kommunen sowie 12 private Entsorger, sagt German EcoTec-Geschäftsführer | |
| Andreas Rochlitz. | |
| Ganz neu ist die Idee mit den cleveren Tonnen allerdings nicht. So verkauft | |
| die Firma SmartBin aus Dublin bereits seit 2010 sensorbasierte | |
| Müllmonitoringsysteme und ist in über 30 Ländern vertreten. Unter anderem | |
| bieten auch die englische Firma „BigBelly“ und NEC ähnliche Systeme an. Das | |
| weiß auch Rochlitz: „Füllstandsensoren sind nichts Neues im Markt. | |
| Innovativ ist die 'Intelligenz im Netz'“ Das Herzstück des Systems: der | |
| Enevo-Server samt Routenplanungssoftware. | |
| Die Ergebnisse des „Herzstücks“ werden grafisch ansprechend aufbereitet. | |
| Auf der Website des Unternehmens heißt das dann martialisch [2][„War Room | |
| View“ (pdf.-Download)]. Der Monitor zeigt Füllstände sowie wo sich welche | |
| Fahrzeuge gerade befinden, daraus errechnet die Software dann die nächste | |
| Leerung sowie optimierte Routen. So kann laut Firmenangaben das | |
| Müllaufkommen der nächsten 30 Tage prognostiziert werden. Und je größer die | |
| Datenmenge, desto genauer die Vorhersagen: Big Data im Müllbusiness. | |
| ## Wie beim Fischen | |
| Der Sensor funktioniert ähnlich wie ein Gerät zum Auffinden von | |
| Fischschwärmen. Analog dazu macht der Sensor nicht am Rand der Tonne halt, | |
| sondern nimmt auch Bewegungen in der Umgebung war. Will man von einer | |
| Mülltonne beim Spazierengehen bemerkt werden? Das ist nicht das einzige | |
| Problem, das sich im Zusammenhang mit der Datenerhebung stellt. Enevo | |
| träumt von weiteren Geschäftsfeldern, bei denen es um die Erkennung von | |
| Trends im Müllmanagement, aber auch um den Weiterverkauf von Daten geht. | |
| Auch sind die in den Sensoren verbauten SIM-Karten – spätestens seit dem | |
| NSA-Skandal – nicht mehr sicher. | |
| Joachim Wuttke, Fachgebietsleiter “Kommunale Abfallwirtschaft, Gefährliche | |
| Abfälle, Anlaufstelle Basler Übereinkommen“ vom Umweltbundesamt befürchtet | |
| in Zukunft ein gläsernes Verbraucherverhaltens durch Analyse der Art und | |
| Zusammensetzung des Abfalls. Abgesehen von der Technologie, fordert er an | |
| erster Stelle die Vermeidung von Müll ein. | |
| Ronald Philipp vom „Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und | |
| Rohstoffwirtschaft“ (BDE) sagt, dass von den im BDE organisierten | |
| Unternehmen bei Privatkunden nur passive Transponder eingesetzt werden. 75 | |
| Prozent der Tonnen seien mit diesen Chips ausgestattet, die lediglich 50 | |
| Cent kosten und nur dann Informationen übermitteln, wenn die Tonne „fast | |
| direkten Kontakt“ zum Abholungsfahrzeug hat. Die passiven Transponder | |
| verbrauchen keine Energie und sind annähernd wartungsfrei. Übertragen | |
| werden lediglich folgende Informationen: „Ich bin eine Biotonne“, letzte | |
| Leerung/Leerungsintervall, Gewicht und eventuell der Besitzer. | |
| ## Zukunftsmarkt Abfallmanagement | |
| Phillipp sieht keinen „unmittelbare Notwendigkeit für die Einführung | |
| aktiver Transpondersysteme“. Auch er äußert Datenschutzbedenken beim | |
| Einsatz aktiver Sensoren. Für Kommunen ist das intelligente | |
| Abfallmanagement trotzdem ebenso interessant wie für Privatfirmen. Je nach | |
| Hersteller schwanken die Angaben zur Energie- und Kosteneinsparung zwischen | |
| 30 und 50 Prozent. | |
| Und auch für Investoren wird Abfall eines der großen Zukunftsfelder sein: | |
| Analysten der Bank of America und von Merrill Lynch schätzen den Wert der | |
| Müllmanagementindustrie zurzeit auf rund eine Billion Dollar und sagen in | |
| den nächsten zehn Jahren eine Verdoppelung voraus. | |
| 23 Feb 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://twitter.com/trashcanlife | |
| [2] http://www.enevo.com/wp/wp-content/uploads/2013/05/a4_enevo_general_en_v4.p… | |
| ## AUTOREN | |
| Patrick Loewenstein | |
| ## TAGS | |
| Recycling | |
| Müll | |
| Abfall | |
| Online-Shopping | |
| Abfall | |
| Schweiß | |
| Datenschutz | |
| Elektrogeräte | |
| Datenschutz | |
| Umwelt | |
| Müll | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| New York | |
| Ressourcen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Big Data für personalisierten Einkauf: Jeder hat seinen Preis | |
| Onlinehändler bieten verschiedenen Kunden dieselbe Pauschalreise zu | |
| unterschiedlichen Preisen an. Und das ist erst der Anfang. | |
| Deutsche Müllstatistik: Pflicht zur Biotonne zeigt Wirkung | |
| 462 Kilo Haushaltsabfall haben die Deutschen 2014 pro Kopf verursacht, | |
| etwas mehr als 2013. Deutlich gestiegen ist der Biomüll-Anteil. Und er wird | |
| noch größer. | |
| Künstler über Elektroschrott: „Das Gift bleibt auf einer Seite liegen“ | |
| In Delhi recyceln Tausende elektronischen Müll. Raphael Perret thematisiert | |
| das in einer Installation. Ein Gespräch über Geräte als Fetisch und Kunst. | |
| Einkaufen in Zeiten von Big Data: Wenn der Preis persönlich wird | |
| An der Supermarktkasse und im Taxi: Unternehmen können Kunden heute | |
| individuelle Preise vorsetzen – dank Big Data. Wer nicht aufpasst, zahlt | |
| drauf. | |
| Rückgabe alter Geräte an Händler: Regierung verordnet Elektroschrott | |
| In Elektrogeräten stecken nicht nur wertvolle Metalle, sondern auch viele | |
| Schadstoffe. Eine Gesetzesreform soll jetzt die Rückgabe beim Händler | |
| erleichtern. | |
| Grundverordnung der EU: Weichspüler für den Datenschutz | |
| Ein geleaktes Papier zeigt: Die EU-Regierungen sind dabei, die Prinzipien | |
| der Zweckbindung und der Datensparsamkeit aus der Grundverordnung zu | |
| streichen. | |
| Studie zu Plastikmüll im Meer: Wie Muscheln auf Sylt | |
| Acht Millionen Tonnen Plastik gelangten allein 2010 in die Ozeane. Die | |
| Folgen für Tiere und Menschen sind besorgniserregend. | |
| Recycling & Konsumverzicht: Saubere Sache | |
| Jeder macht Müll – in Deutschland fast 600 Kilo pro Jahr. Umweltschützer | |
| würden gern des Entsorgungssystem revolutionieren und die Warenwelt dazu. | |
| Industriedesigner über „Cradle to Cradle“: „Die Natur lebt von Verschwen… | |
| Konsum ohne schlechtes Gewissen verspricht das Konzept „Von Wiege zu | |
| Wiege“. Der Designer Michael Braungart erklärt, warum die Moral des | |
| Verzichts unötig ist. | |
| Hotdog-Reste auf New Yorks Straßen: Krabbelnde Müllabfuhr | |
| Hunderte Tonnen Abfall werden in New York jährlich von Insekten gefressen. | |
| Nützliche Nebenwirkung: Es bleibt weniger für Ratten. | |
| Europäische Woche der Abfallvermeidung: Nicht einfach in die Tonne | |
| Elf Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jährlich im Müll. | |
| Initiativen wie Foodsharing zeigen, dass das nicht sein muss. |