| # taz.de -- Kraftwerk Hamburg-Moorburg: Eine Tragödie in fünf Akten | |
| > Eines der größten Kraftwerke Europas geht an den Start. Egal ob es | |
| > unrentabel ist, gegen EU-Recht verstößt oder das Klima killt. | |
| Bild: Bagger im Kohlelager des Kraftwerks Hamburg-Moorburg | |
| HAMBURG taz | Hamburg-Moorburg ist ein gewaltiges Kraftwerk. Es kann den | |
| jährlichen Strombedarf der Stadt zu 90 Prozent decken. Es ist aber auch ein | |
| gewaltiger Kompromiss, und seine Geschichte liest sich wie eine | |
| Shakespeare-Tragödie. | |
| Für den Betreiber Vattenfall, weil es kaum Profite bringt. Für die Grünen, | |
| weil sie in ihrer Regierungszeit ein Kohlekraftwerk genehmigten, das mehr | |
| Strom produziert als die effizientesten Atomreaktoren der Welt. Mit | |
| Emissionen von 8,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr fördert es natürlich die | |
| Erderwärmung. „Im Nachhinein wären alle Beteiligten dankbar gewesen, wenn | |
| wir es geschafft hätten, Moorburg zu verhindern“, sagt Christian Maaß | |
| heute, früherer Staatsrat im Umweltsenat. | |
| ## Erster Akt | |
| 2004 hatte Vattenfall die Hamburgischen Electricitäts-Werke aufgekauft und | |
| begann, ein neues Kraftwerk am Moorburger Gelände zu planen. Die damalige | |
| Umweltstaatsrätin Herlind Gundelach (CDU) animierte den Konzern im Mai | |
| 2006, das Kraftwerk größer zu bauen als geplant. Vattenfall beschloss | |
| daraufhin, statt 700 Millionen Euro rund 1,7 Milliarden Euro zu | |
| investieren. Laut Senat waren die Anforderungen für die Genehmigung „höchst | |
| wahrscheinlich gegeben“. | |
| Im Hamburger Wahlkampf 2007 machten die Grünen, damals in der Opposition, | |
| den „Klimakiller“ zu ihrer Sache. „Keine Kohle für Ole“, schrieben sie… | |
| ihre Plakate und mobilisierten deutschlandweit Umweltverbände, um gegen | |
| Kohleenergie zu protestieren. | |
| ## Zweiter Akt | |
| 2008 war es so weit: Die CDU und die Grünen schmiedeten die erste | |
| schwarz-grüne Koalition Deutschlands. Die Grünen wollten ihre | |
| Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Die neue Umweltsenatorin Anja Hajduk und | |
| ihr Staatsrat Christian Maaß versuchten mit juristischen Kniffen zu | |
| verhindern, was Bürgermeister Ole von Beust (CDU), als er noch allein | |
| regierte, Vattenfall zugestanden hatte: die Genehmigung von Moorburg. | |
| Maaß hatte einen Verdacht: Die Genehmigung könnte den EU-Vertrag verletzen, | |
| genauer gesagt: die Naturschutzrichtlinie. Denn für mehrere Gebiete entlang | |
| der Elbe gelten besondere Regeln, da dort geschützte Fischarten wie Lachse | |
| und Meerneunaugen laichen. Diese passieren das Kraftwerk Moorburg. Wenn | |
| dort aber wie von Vattenfall geplant Wasser zum Kühlen aus der Elbe gesaugt | |
| wird, würden dabei die Fische verletzt oder getötet, vermutete Maaß. Also | |
| traf er sich in Brüssel mit Referenten der EU-Kommission. Sie stimmten ihm | |
| zu. Daraufhin zogen die Grünen vor das Hamburger Oberverwaltungsgericht, um | |
| den Energieriesen zu stoppen. Sie verloren. Juristisch war der Bau nicht | |
| mehr zu stoppen. | |
| Den Grünen blieb damit keine andere Wahl: Sie mussten eines der größten | |
| Kohlekraftwerke Europas genehmigen, gegen das sie einst in den Wahlkampf | |
| gezogen waren. Im Herbst 2008 hieß es, die einst rebellischen Grünen seien | |
| zu einem Klub der Ja-Sager geworden. Das wollten die Grünen nicht auf sich | |
| sitzen lassen und banden die Genehmigung an so hohe Auflagen, dass sie das | |
| Kraftwerk unrentabel machten. Vattenfall dürfe zum Schutz des Ökosystems | |
| nur eine bestimmte Menge an Elbwasser zum Kühlen verwenden, abhängig von | |
| Temperatur und Sauerstoffgehalt des Flusses. | |
| ## Dritter Akt | |
| Die Vattenfall-Chefs ärgerte das enorm. Die Vorgängerregierung hatte | |
| schließlich mündlich zugesagt. Die Millionen waren investiert. Vattenfall | |
| klagte gleich zweifach. Im Oktober 2008 vor dem Oberverwaltungsgericht in | |
| Hamburg gegen die Genehmigung. Und im April 2009 verklagte der Konzern | |
| Deutschland vor dem Internationalen Schiedsgerichtshof in Washington. Denn | |
| Deutschland und Schweden hatten 1994 die Energiecharta unterzeichnet. | |
| Dieser internationale Vertrag enthält das Investitionsschutz-Kapitel, das | |
| die EU-Kommission auch in das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA | |
| schreiben will. | |
| Es erlaubt ausländischen Investoren, Staaten in einem Verfahren unter | |
| Ausschluss der Öffentlichkeit zu verklagen, wenn sie sich ums Geld gebracht | |
| sehen. Bis dahin saßen vor allem Länder wie Turkmenistan auf der | |
| Anklagebank, weil sich ein deutscher Unternehmer geweigert hatte, die | |
| Regierung am Gewinn zu beteiligen – woraufhin seine Hühnerfarm mit Panzern | |
| niedergerissen wurde. Zum ersten Mal in der Geschichte musste sich nun die | |
| Bundesregierung wegen „Investitionsbehinderungen“ vor einem Schiedsgericht | |
| verteidigen. | |
| ## Vierter Akt | |
| Rund 1,4 Milliarden Euro Schadensersatz plus Zinsen forderte Vattenfall als | |
| Entschädigung. Zudem solle die Bundesregierung die Verfahrenskosten | |
| übernehmen. Die 27-seitige Klageschrift ist ein Vorgeschmack darauf, was | |
| auf Deutschland zukommt, wenn das Investitionsschutz-Kapitel in TTIP | |
| beibehalten wird: Wegen der Wasserschutzauflagen würde das Kraftwerk | |
| „unökonomisch“, heißt es darin. Die Umweltauflagen führten zu einem | |
| „signifikanten Wertverlust“. Der Hamburger Senat habe sich daher bei der | |
| Genehmigung „unvereinbar“ mit der Energiecharta verhalten. Schließlich habe | |
| er unter CDU-Führung noch gesagt, dass die Anforderungen für die | |
| Genehmigung „höchst wahrscheinlich“ gegeben seien. | |
| Den Streit regelte Vattenfall mit dem Bundeswirtschaftsministerium, das | |
| damals von der CSU geführt wurde, unter sich. Denn obwohl es bei einem | |
| solchen Verfahren um Steuergelder geht, ist die Öffentlichkeit davon | |
| ausgeschlossen. | |
| Die Umweltschützer wollten das nicht auf sich sitzen lassen. Der BUND | |
| wandte sich an das Schiedsgericht, in der Hoffnung, als dritte Partei im | |
| Verfahren angehört zu werden. Greenpeace berief sich auf das | |
| Informationsfreiheitsgesetz und forderte Akteneinsicht. Doch auch das | |
| brachte nichts – das Verfahren war schließlich noch am Laufen. Auch der | |
| Hamburger Staatssekretär Maaß erfuhr von den Vattenfall-Argumenten erst | |
| Jahre später, als der Schiedsspruch bereits gefallen war. | |
| Vor dem Schiedsgericht hatten sich Vattenfall und Deutschland auf einen | |
| Kompromiss geeinigt: Vattenfall kündigte an, einen 85 Meter hohen und 130 | |
| Meter breiten Kühlturm zu bauen, damit nicht so viel Wasser aus der Elbe | |
| genutzt werden muss. Das kostete 200 Millionen Euro mehr und wegen der | |
| zusätzlichen Verzögerungen stiegen die zu der Zeit geplanten Gesamtkosten | |
| von 2 Milliarden Euro um 30 Prozent auf 2,6 Milliarden Euro. | |
| Im Gegenzug erlaubte es die Bundesregierung dem Konzern, unter bestimmten | |
| Bedingungen auch mit Elbwasser zu kühlen. In dem einst grundsätzlich | |
| geführten Streit ging es jetzt nur noch darum: Ab welcher Flusstemperatur | |
| muss Vattenfall den Kühlturm anschalten? Wie niedrig darf der | |
| Sauerstoffgehalt im Fluss sein? Im August 2010 zog Vattenfall schließlich | |
| die Schadensersatzansprüche zurück. | |
| Es scheint, als habe Vattenfall gewonnen – doch Moorburg ist für den | |
| Konzern ein wirtschaftliches Desaster: Die Kosten für Vattenfall haben sich | |
| inzwischen auf über 3 Milliarden Euro beinahe verdoppelt. Die Erlöse für | |
| Strom aus Kohle hingegen sind gesunken. Wie viel der Konzern mit der Anlage | |
| verdient, wird auch davon abhängen, wie viel Strom zukünftig aus Wind- und | |
| Sonnenkraftwerken in Norddeutschland verbraucht wird – denn Ökostrom hat | |
| Vorrang bei der Einspeisung in die Netze. Eine Fernwärmetrasse, die dem | |
| Kraftwerk ursprünglich Gewinn abwerfen sollte, will der Konzern nun doch | |
| nicht bauen. Deshalb spekuliert man in Hamburg inzwischen darüber, ob | |
| Vattenfall das einstiges Prestigeprojekt gar loswerden will. | |
| ## Fünfter Akt | |
| Damit ist die Geschichte noch nicht vorbei. Denn die EU-Kommission | |
| entschied, dass die Einigung vor dem Schiedsgericht gegen die | |
| EU-Naturschutz-Richtlinie verstößt – jene Richtlinie, mit der die Hamburger | |
| Grünen das Kohlekraftwerk einst vor dem OVG stoppen wollten. | |
| Die Bundesregierung verteidigt sich im Dezember 2014 in einer Stellungnahme | |
| an Brüssel: Sie erkenne keinen Zusammenhang mit der laut EU-Kommission | |
| nicht korrekten Anwendung der Naturschutzrichtlinie und dem durch Vergleich | |
| beendeten Schiedsverfahren. Jetzt kann die Kommission Deutschland vor dem | |
| Europäischen Gerichtshof verklagen. Dann wäre der Fall definitiv ein | |
| internationaler Konflikt – und höchst peinlich für Brüssel. | |
| Denn die Kommission, die Deutschland verklagen würde, weil sie den | |
| Vergleich mit Vattenfall auf Basis des Investitionsschutzes für unvereinbar | |
| mit dem EU-Vertrag hält, ist dieselbe, die den Investitionsschutz in immer | |
| neue Handelsverträge schreibt. Sie könnte den Streit aber auch geräuschlos | |
| außergerichtlich klären. Dann müsste Deutschland zahlen oder sich mit der | |
| EU-Kommission auf einen neuen Kompromiss einigen. Denn die Kommission | |
| fordert keinen Betriebsstopp des Kraftwerks. Das wird so oder so ans Netz | |
| gehen – egal wie sich Berlin und Brüssel einigen. Und obwohl der Hamburger | |
| SPD-Senat klargestellt hat, Moorburg würde man heute so nicht mehr bauen. | |
| 27 Feb 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Maria Amberger | |
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